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  7. Ohrenbetäubender Lärm: RB Leipzig bei Besiktas: Timo Werners Kreislauf kapituliert im Champions-League-Hexenkessel von Istanbul

Ohrenbetäubender Lärm RB Leipzig bei Besiktas: Timo Werners Kreislauf kapituliert im Champions-League-Hexenkessel von Istanbul

Von Ullrich Kroemer 27.09.2017, 16:33
Leipzigs Spieler Timo Werner hält sich die Ohren zu.
Leipzigs Spieler Timo Werner hält sich die Ohren zu. dpa-Zentralbild

Leipzig/Istanbul - Als RB Leipzigs Spieler am Mittwochnachmittag direkt vom Flieger zum Auslaufen auf die Trainingsplätze kamen, fehlte Timo Werner. Der Goalgetter wurde nach seiner frühzeitigen Auswechslung beim 0:2 bei Besiktas Istanbul in der Akademie behandelt und werde in den nächsten Tagen durchgecheckt, sagte Trainer Ralph Hasenhüttl. Werners Einsatz am Sonntagabend beim 1. FC Köln (18 Uhr) ist offen.

Timo Werner ist Pfiffe gewohnt. Seit seiner Schwalbe im Dezember 2016 gegen den FC Schalke 04 wurde der Nationalstürmer immer wieder lautstark ausgepfiffen. In Ingolstadt, auf Schalke, auf nahezu allen Plätzen der Bundesliga, sogar beim Länderspiel in Tschechien, ehe er mit der Nationalelf in seiner Heimatstadt Stuttgart gefeiert wurde.

Spiel bei Besiktas Istanbul: Timo Werners Körper streikt

Doch bei dem Höllenlärm, den Besiktas Istanbuls Fans am Dienstagabend veranstalteten, streikte Werners Körper gegen die gellenden Pfiffe.

Die 41.000 fanatischen Besiktas-Fans machten das gesamte Spiel hindurch das Stadion zu einem Hexenkessel. Besonders in der Startphase pfiffen die türkischen Fans bei jedem Ballkontakt der Leipziger so ohrenbetäubend laut, dass Kommunikation auf dem Feld nicht mehr möglich war. Bereits in der 9. Minute hatte sich Werner von Teamarzt Dr. Frank Striegler Ohrenstöpsel geben lassen, später schmiss er sie wieder weg. Das hatte laut Hasenhüttl „nicht unmittelbar mit der Lautstärke zu tun, sondern mit dem Schwindelgefühl, dass er hatte. Aber es hat nicht genützt.”

Immer wieder griff sich Werner mit beiden Händen an die Ohren wie ein Tinnitus-Patient. Nach einer knappen halben Stunde signalisierte er mehrfach, dass er ausgewechselt werden müsse. Eigentlich hatte Hasenhüttl den Rot gefährdeten Naby Keita auswechseln wollen. Doch nach einigen Minuten verstand er Werners Gesten und Rufe. „Kommunikation war auf dem Niveau nicht mehr möglich”, erklärte der Trainer. „Ich habe das nur gedeutet, es war dann offensichtlich, dass er raus wollte.”

Ursprünglich wollte der Chefcoach seinen gefährlichsten Angreifer noch bis zur Halbzeitpause im Spiel lassen. „Aber wenn jemand keine Luft mehr bekommt und Schwindelgefühle hat, dann hat es keinen Sinn.”

Höllenlärm bei Besiktas: Werner mit Kreislauf- und Atemproblemen ausgewechselt

Eine genaue Diagnose steht noch aus. Fakt ist, dass Werner Kreislauf- und Atemprobleme hatte. Hasenhüttl erklärte: „Da kam viel zusammen: Zum einen hat er bisher eigentlich immer von Anfang an durchgespielt. Vielleicht war er drei Tage nach dem Spiel gegen Frankfurt nicht optimal regeneriert.” Dazu sei die „hitzige Atmosphäre” gekommen. „Gott sei Dank hat er gesagt, es geht nicht mehr. Er hätte sich ja auch irgendwo hinstellen können und warten, dass die 90 Minuten um sind. Das wäre noch schlimmer gewesen”, so der Österreicher.

Dass Werners Schwindelgefühle mit den gellenden Pfiffen und dem ohrenbetäubendem Lärm auf den Rängen zusammenhing, mochten sie bei RB nicht bestätigen. Doch da im Innenohr auch der Vestibularapparat liegt, der maßgeblich für den Gleichgewichtssinn zuständig ist, liegt der Verdacht nahe. Trainer Hasenhüttl verwies auf Mannschaftsarzt Striegler, der jedoch noch nicht zu sprechen war.

Professor Ingo Froboese von der Sporthochschule Köln erklärt auf Anfrage: „Wenn das in Kombination mit einem hohen Stresspegel des Spielers durch das Spiel und den Lärm auftritt, kann es durch die drastische stressbedingte Verengung der Blutgefäße durchaus zu Gleichgewichtsstörungen kommen.” Das Gleichgewichtsorgan sei durch viele, winzige Gefäße sehr anfällig. Beispiele dafür außerhalb des Leistungssports seien etwa Hörstürze bei gestressten Managern.

Der Chefcoach mochte die grenzwertige Stimmung nicht werten: Das sei „internationale Härte” – auch auf den Rängen. „Da gehört alles dazu”, sagte er. Gleichzeitig nahm er seine Spieler in die Pflicht: „Wir haben jetzt das Schlimmste erlebt auf internationaler Ebene, lauter geht’s nicht mehr. Alles, was jetzt kommt, ist Kindergarten dagegen. Die Ausrede zählt nicht mehr.”  (red)