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Per Mertesacker im Interview Per Mertesacker im Interview: "Ronaldo ist schwierig zu verteidigen"

Von Jan Christian Müller 13.06.2014, 15:45
Per Mertesacker
Per Mertesacker AFP Lizenz

Herr Mertesacker, Ihr langjähriger Nationalmannschaftskollege Bastian Schweinsteiger wird regelmäßig schon vor sieben Uhr morgens mit einem Kaffee in der Hand am Strand gesichtet. Geht bei Ihnen der Tag auch so früh los?

Per Mertesacker: Die ersten Tage bin ich sehr, sehr früh aufgewacht. Aber es hat sich inzwischen verbessert. Von vier, fünf, sechs, sieben Uhr auf jetzt halb acht.

Was haben Sie gemacht um vier Uhr nachts?

Mertesacker: Erst mal blöd geguckt, als ich die Zeit auf dem Wecker gesehen habe. 4.44 Uhr, ich kann ich mich genau erinnern. Ich habe dann händeringend versucht, wieder einzuschlafen. Aber es ist mir nicht recht gelungen.

Sie sind es aus der Premier League auch gewöhnt, schon mittags zu spielen, wie am Montag gegen Portugal. Hilft Ihnen diese Erfahrung mit dem FC Arsenal?

Mertesacker: Man gewöhnt sich nie dran. Ich hatte zuvor seit der A-Jugend niemals mehr mittags gespielt. Ehrlich gesagt: Es ist für mich keine typische Anstoßzeit, an der ich gerne spiele.

Was ist das Problem?

Mertesacker: Dass man unbedingt vorher zwei Mahlzeiten zu sich nehmen muss. Es wäre zu wenig, angesichts der körperlichen Anstrengung am Morgen nur zwei Brötchen zu essen. Dann läufst du Gefahr, am Ende des Spiels in Not zu geraten und Schwindelgefühle zu bekommen. Das habe ich alles schon erlebt. So ab der 80. Minute. Und gerade in der Schlussphase kann jeder Fehler entscheidend werden. Jede falsche Wahrnehmung kann tödlich sein.

Kann man den ungewohnten Tagesablauf seriös simulieren, so wie Sie es derzeit versuchen?

Mertesacker: Man kann es versuchen, aber ich kann Ihnen auch verraten: Am Spieltag ist es dann aufgrund der Anspannung wieder etwas ganz anderes.

Um das Campo Bahia ranken sich wahre Mythen. Wie geht es dort zu?

Mertesacker: Es ist relativ eng und offen, alle sind irgendwie beieinander im Fußmarsch von nur 50 Metern; es herrscht eine gute Atmosphäre und reger Verkehr zwischen den Häusern. Die einen legen sich auch gern mal an den Pool, die anderen ziehen sich lieber zurück.

Was tun Sie?

Mertesacker: Ich bin eher der Typ, der sich zurückzieht.

Der Teamgeist ist bei Ihnen im Kreis ein großes Thema. Kann man vor dem ersten Spiel beurteilen, ob der Teamgeist tatsächlich gut ist?

Mertesacker: Schwierig. Klar merkt man, dass ein guter Spirit da ist. Aber der wird nun natürlich auf die Probe gestellt. Denn wie gut er tatsächlich ist, merkt man erst, wenn Entscheidungen getroffen worden sind, die dem ein oder anderen wehtun. Es wäre wichtig, dass in alle Köpfe reingeht, dass hier aufgrund der Bedingungen jeder einzelne benötigt wird.

Sie haben dieses Thema nach der EM 2012 mehrfach angesprochen, als Sie nach längerer Verletzung seinerzeit nur auf der Bank saßen und es Ihnen natürlich sehr schwer gefallen ist, nur zuschauen zu dürfen.

Mertesacker: Ich war persönlich enttäuscht und am Anfang sauer, ganz klar. Und ich hatte auch das Gefühl, dass der Trainer mir nicht vertraut. Aber dieses Gefühl muss man absolut beiseite räumen. Die 23 Kräfte, die Deutschland hier vertreten, haben ja schon allein deshalb Vertrauen erfahren, weil sie überhaupt dabei sind. Man muss sich befreien von persönlichen Befindlichkeiten. Das ist Käse. Ich habe gelernt, auch dann Unterstützung zu geben, wenn ich nicht spielen durfte.

Wie haben Sie das getan, mal abgesehen davon, dass Sie im Vergleich zu anderen Ersatzspielern auffällig oft an der Seitenlinie auch die Trinkflaschen gereicht haben?

Mertesacker: Ich habe schnell den Blick nach vorne gerichtet, nachdem ich den ersten Schmerz überstanden hatte. Es geht dann auch darum: Wie lebt die Bank? Freut sie sich über Tore? Unterstützt sie die anderen Spieler vor dem Spiel und in der Halbzeit?

Es deutet sich an, dass Ihr Team mit vier Innenverteidigern die Viererkette bildet. Es wird schon über den „Ochsenspieß“ gewitzelt. Was ist der Vorteil, wenn man vier solcher Kanten hinten drin hat?

Mertesacker: Vier Spieler, die besonders zweikampf- und kopfstark sind, bringen natürlich Vorteile bei Standardsituationen mit sich, egal ob für oder gegen die eigene Mannschaft. Innenverteidiger haben auch aufgrund ihrer Position ein gewisses Verantwortungsbewusstsein. Ich glaube, wir werden uns von der Spielweise her auch anpassen müssen an das, was hier passiert. Es gibt in dieser Abwehrbesetzung aber auch Nachteile. Wir haben in dieser Formation erst ein Spiel bestritten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite:
Mertesacker über Cristiano Ronaldo und den FC Arsenal

Jérôme Boateng wird rechts gegen Cristiano Ronaldo spielen, Sie werden dem Portugiesen als halbrechter Verteidiger auch begegnen. Was ist zu tun?

Mertesacker: Wir müssen in höchster Alarmbereitschaft sein, selbst wenn wir in Ballbesitz sind. Zwei bis drei Augen müssen immer auf Ronaldo gerichtet sein. Das Schlimmste ist, wenn er dir im Rücken weghuscht. Oder wenn er dir das Gefühl gibt, ihn zu sehen, das aber in Wirklichkeit nur spärlich der Fall ist.

Ronaldo ist einer, der sich gern im Schatten aufhält und lauert, sagt Ihr Chefscout Urs Siegenthaler. Das mache ihn so ungeheuer gefährlich.

Mertesacker: Es ist schon schwierig. Wenn also Ronaldo vorne stehen bleibt und sich Jérôme in unser Angriffsspiel einschaltet, dann bin ich für ihn verantwortlich. Da brauche ich dann auch noch eine Absicherung von der anderen Seite. Da gibt es viele Überlegungen, die wir ins Auge fassen müssen. Wir brauchen einen ganz genauen Plan, wie wir uns zuordnen. Denn zehn der letzten zwölf Tore hat Portugal aus Kontersituationen erzielt. Wenn man an das Playoff-Spiel gegen Schweden zurückdenkt, diese drei Tore von Ronaldo – das waren richtig gute Beispiele für schnelles Umschalten. Wie Ronaldo im letzten Drittel abgeht und allein aufs Tor läuft – so ein Weltklassefußballer ist schwierig zu verteidigen.

Sie sagten, man muss hier das Spiel umstellen. Muss man mehr defensiv denken und nicht wie bislang vor allem offensiv?

Mertesacker: Uns sind besondere Herausforderungen gestellt. Ich glaube schon, dass es extrem wichtig ist, wie wir gegen den Ball verteidigen. Wie hoch stehen wir? Wie weit vorne greifen wir an? Wann gehen wir ins Pressing und wann nicht? Das sind ganz elementare Dinge, die uns jeden Tag begleiten und die darüber entscheiden, wie erfolgreich wir sind.

Wer gibt die Kommandos? Sie oder Ihr Nebenmann Mats Hummels? Gibt es da eine Arbeitsaufteilung?

Mertesacker: Ich glaube, wir geben alle Kommandos. Es kommt immer darauf an, in den Rücken welches Verteidigers die Stürmer laufen. Da sind alle gefordert, klare Signale zu geben. Jeder braucht die Sicherheit, von seinem Partner kommunikativ unterstützt zu werden.

Würden Sie sagen, dass Sie in England ein ganz klar besserer Spieler geworden sind?

Mertesacker: Ich glaube schon. Die Herausforderung kam für mich zum richtigen Zeitpunkt. Nach einer schönen Zeit in Bremen hatte ich gemerkt, dass jetzt die Zeit für eine Veränderung da ist – persönlich und als Fußballer. Jetzt nach drei Jahren kann ich sagen, dass es für mich der richtige Schritt war. Im ersten Jahr hatte ich ein paar Probleme, im zweiten hatte ich mich freigeschwommen. Und im dritten merkte ich, dass ich mir Respekt verschafft habe.

Sie werden in England ehrfurchtsvoll „The big fucking German“ genannt!

Mertesacker: Ich zahle jetzt mit Leistung das Vertrauen in der Eingewöhnungszeit zurück, die ich gebraucht habe. Den Schritt nach vorne habe ich in diesem Jahr extrem gemerkt. Was man auch daran sieht, dass ich verletzungsfrei geblieben bin und den eigenen Standard übers ganze Jahr halten konnte. Das waren gute Indikatoren dafür, dass ich wirklich angekommen bin und mich weiterentwickelt habe.

Ist es normal, dass man so lange braucht?

Mertesacker: Aus meiner persönlichen Erfahrung: Ja! Die Vorzeichen waren ja keine einfachen. Ich kam spät, galt als Notkauf, die Tabellensituation war schlecht. Das hat mich im ersten Jahr viele Nerven gekostet und zu Fehlern geführt. Besonders geholfen hat mir das Vertrauen des Trainers, der trotzdem immer auf mich gesetzt hat. Man braucht einfach Unterstützung – besonders im Ausland.

Das Gespräch führte Jan Christian Müller

Jerome Boateng (l.) und Per Mertesacker
Jerome Boateng (l.) und Per Mertesacker
dpa Lizenz