Nach Ausschreitungen Nach Ausschreitungen: 43 Russen in Gewahrsam genommen

Paris - Die französischen Behörden haben am Dienstag 43 russische Staatsbürger in Gewahrsam genommen, die in Verbindung mit den blutigen Ausschreitungen am vergangenen Samstag rund um das Vorrunden-Spiel der Fußball-EM zwischen England und Russland (1:1) in Marseille stehen könnten. Das teilte die Polizei der Nachrichtenagentur AFP mit.
Sechs Russen waren bereits am Vormittag festgesetzt worden, ihnen droht die Ausweisung. Die Behörden hatten einen Reisebus kontrolliert, zunächst hatten sich die Insassen geweigert, ihre Personalien anzugeben. Die Polizei-Aktion im Süden Frankreichs folgt auf die Krawalle am Samstag, bei denen mindestens 35 Menschen verletzt worden waren.
Ein Engländer befindet sich weiterhin in kritischem Zustand. Täter mit russischer Nationalität waren von der Polizei bislang nicht gefasst worden.
EM-Ausschluss auf Bewährung
Die UEFA hat die Rote Karte für Russland schon in der Hand, doch auch die letzte Ermahnung vor dem angedrohten Ausschluss von der EURO 2016 lässt die Provokateure kalt. Ein bekannter Rechtsaktivist reist mit russischer Akkreditierung durch Frankreich, ein hochrangiger Funktionär fordert weitere Opfer, Dutzende Hooligans rüsten sich schon für die nächsten Ausschreitungen: Am Tag, an dem die Disziplinarkommission der UEFA ihr Urteil fällte, erreichten weitere Horror-Nachrichten die Fußball-EM.
„Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Eher im Gegenteil. Bravo, Jungs. Macht weiter so!“, twitterte Igor Lebedew, ein Vorstandsmitglied des russischen Verbandes RFS. Eigentlich unfassbar. Zeitgleich kämpft einer der britischen Fans, die am vergangenen Samstag bei den schweren Krawallen in Marseille schwer verletzt wurden, weiter um sein Leben.
Für die Krawalle nach dem 1:1 gegen England im Stadion verhängten die UEFA-Richter einen Ausschluss auf Bewährung. Heißt: Fliegen in einem der Stadien, in denen Russen bei der EM noch spielen werden, wieder die Fäuste, ist die Sbornaja raus.
„Wir sind sicher, dass wir nicht rausgeworfen werden. Unsere Fans werden keinen Grund für einen Ausschluss liefern“, behauptete Nationaltrainer Leonid Sluzki. Angreifer Artjom Dschjuba von Zenit St. Petersburg appellierte an die Fans, „sich darauf zu konzentrieren, uns zu unterstützen, wir wollen nicht disqualifiziert werden“. Zugleich betonte er: „Es sind nicht nur Russen schuld.“
Einige Anhänger wurde sofort ausgewiesen
Am Dienstag verzeichnete die französische Polizei einen Teilerfolg: Die Behörden griffen nahe Marseille eine kleinere Gruppe russischer Fans auf, die sich offenbar auf den Weg nach Lille machen wollte, wo Russland am Dienstag (15.00/ZDF) gegen die Slowakei spielt. Einige der Anhänger, die als „Risiko“ für die öffentliche Sicherheit identifiziert wurden, wurden sofort ausgewiesen. Alle wird die Polizei aber kaum erwischen können, die russischen Hooligans sind offenbar perfekt organisiert und kampferfahren.
Deshalb droht am zweiten Gruppenspieltag der nächste Schlagabtausch mit viele Verletzten: Lens, wo einen Tag nach dem Spiel der Russen gegen die Slowaken England auf Wales trifft (15.00/ARD), ist gut eine halbe Stunde mit dem Auto von Lille entfernt.
Ausschreitungen sind „absolut inakzeptabel”
„Auf eine solche Chance habe ich zehn Jahre gewartet. 120 Russen haben 2000 Engländer in die Flucht geschlagen, und die ganze Welt hat es gesehen“, sagte ein russischer Hooligan, der unerkannt bleiben wollte, der französischen Nachrichtenagentur AFP in einem Interview in Moskau: „Wir sind hingegangen und haben gezeigt, dass die Engländer Mädchen sind.“
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow verurteilte die Ausschreitungen in Südfrankreich als „absolut inakzeptabel“. Russland richtet 2018 die WM aus - für den allmächtigen Staatschef Waldimir Putin ist die Frankreich-Krise deshalb ein PR-Desaster. Die russische Delegation in Frankreich scheint das nicht zu kümmern.
Sicherheitsmaßnahmen sind nicht ausreichend
Laut des britischen Guardian reist der bekannte Rechtsaktivist Alexander Schprygin, Gründer einer sehr zweifelhaften Fan-Vereinigung und in der Vergangenheit unter anderem mit dem Hitler-Gruß aufgefallen, mit einer offiziellen Akkreditierung des Riesenreichs durch Frankreich. Er ist Lebedews Assistent. Und für den Funktionär sind nicht die Fans Schuld an dem, was in Marseille und anderen französischen Städten geschehen ist, sondern die Unfähigkeit der Veranstalter. Lebedew kritisierte „die Politiker und Funktionäre, die unsere Fans verurteilen“. Die Organisatoren kritisierte auch Greg Dyke, der Vorsitzende des englischen Verbandes (FA).
Die Sicherheitsmaßnahmen seien „inakzeptabel“ gewesen, schrieb Dyke in einem Brief an die UEFA. Er habe deshalb „große Bedenken“ angesichts des Sicherheitskonzepts für die nächste Partie gegen Wales, bei der 40.000 bis 50.000 Fans aus Großbritannien erwartet werden. Der frühere DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (65) hat sich derweil trotz der offiziellen UEFA-Warnung gegen einen EM-Ausschluss ausgesprochen. „Wie sollen Verbände verhindern, wenn ihre Hooligans, die meist noch nicht einmal eine Karte fürs Stadion haben, in der Stadt randalieren?“, fragte Niersbach, der im UEFA-Exekutivkomitee sitzt, in der Sport Bild. (sid)