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Letztes Spiel der DDR-Elf Letztes Spiel der DDR-Elf: "Wir waren keine Blinden"

Von Karl Ebert 11.09.2015, 19:32
Der Hallenser Andreas Wagenhaus testet mit einem Freistoß die belgische Abwehrmauer. Der damalige HFC-Profi Dariusz Wosz (l.) lauert auf den Ball.
Der Hallenser Andreas Wagenhaus testet mit einem Freistoß die belgische Abwehrmauer. Der damalige HFC-Profi Dariusz Wosz (l.) lauert auf den Ball. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Es war der 9. September 1990, ein Sonntagabend, als Jens Adler vom Training nach Hause kam. Ein Telefon hatte er damals noch nicht, deshalb fand er einen Zettel an seiner Wohnungstür. Darauf stand: „Tasche packen! Morgen früh wirst du abgeholt. Mit Dariusz Wosz in die Sportschule Kienbaum zur Nationalmannschaft“, erinnert sich der heutige Torwarttrainer des Fußball-Drittligisten Hallescher FC.

Es wurde eine der intensivsten Wochen in der Karriere von Jens Adler - und aus heutiger Sicht auch eine historisch bedeutende für den halleschen Fußball. Denn heute vor 25 Jahren, am 12. September 1990, stand in Brüssel gegen Belgien das letzte Länderspiel einer DDR-Nationalmannschaft an. Im nur 14 Spieler umfassenden Kader von Nationaltrainer Eduard Geyer standen gleich sieben Akteure, deren Karrieren sich mit dem Halleschen FC und Post Halle verbinden lassen.

Jens Adler ging in die Fußball-Geschichte ein, weil er beim 2:0-Sieg des Geyer-Teams durch seine Einwechslung drei Minuten vor dem Abpfiff zum letzten Nationalspieler der DDR wurde. Wie er trugen auch Heiko Peschke, Andreas Wagenhaus und Wosz das Trikot des HFC Chemie. Jörg Stübner hatte als acht Jahre alter Knirps bei Post Halle begonnen und war mit 14 Jahren zu Dynamo Dresden delegiert worden. Und nicht zuletzt gehörten auch der vom HFC gerade neu verpflichtete Cheftrainer Stefan Böger und Detlef Schößler, der in der Saison 2006/07 bei den Rot-Weißen als Coach arbeitete, zur letzten DDR-Nationalelf.

Jens Adler (50) arbeitet heute als Torwarttrainer des HFC.

Stefan Böger (49) ist seit Mittwoch Cheftrainer des HFC.

Heiko Peschke (51) arbeitet als Sportlehrer in Krefeld.

Andreas Wagenhaus (50) war lange Trainer in Österreich und lebt seit Juli wieder in Halle.

Dariusz Wosz (46) gehört zum Trainerteam des VfL Bochum.

Jörg Stübner (50) ist arbeitslos und lebt in Dresden.

Detlef Schößler (52) ist Trainer der U 17 des FFV Leipzig.

Wie im richtigen Leben schließen sich so auch im Fußball immer wieder Kreise. Am 12. September 1990 beschlossen Stefan Böger und Jens Adler als Nationalspieler gemeinsam ein Stück Fußballgeschichte. Auf den Tag genau 25 Jahre später schlagen sie als Chef- und Torwarttrainer des HFC heute mit dem Drittliga-Spiel gegen den VfB Stuttgart II ein neues auf.

Erinnerungen sind präsent

Es ist überaus erstaunlich, die damaligen Spieler heute über das Belgien-Abenteuer sprechen zu hören. „Die Erinnerung an diese Partie ist noch hellwach“, erzählt Böger. „Als ich das Anderlechter Vanden-Stock-Stadion im letzten Jahr zusammen mit Ede Geyer noch einmal besucht habe, hatte ich Gänsehaut. Ich könnte jede Minute dieses Duells noch einmal spielen.“ So präsent sind die Bilder von damals.

Ursprünglich sollte es bei dem Spiel der Gruppe 5 um die Europameisterschafts-Qualifikation gehen, die erstmals seit der WM 1974 die Bundesrepublik und die DDR zu direkten Duellen zusammenführte. Doch da sich die deutsche Wiedervereinigung zum 3. Oktober 1990 schneller als erwartet vollzog, meldete der Fußballverband der DDR sein Team aus der EM-Qualifikation ab, so dass das letzte Treffen in Brüssel lediglich Freundschafts-Charakter trug.

Das Interesse der Stars hielt sich deshalb in Grenzen. Andreas Thom, Thomas Doll, Ulf Kirsten oder Rainer Ernst meldeten sich ebenso aus fadenscheinigen Gründen ab wie die Torhüter Perry Bräutigam und Dirk Heyne. Deshalb rückte Adler nach. Der heute 50-Jährige erinnert sich. „Gleich 22 Absagen hatte sich Geyer eingefangen. Von den ganz Großen, und das ist er für mich auch heute noch, kam nur Matthias Sammer vom VfB Stuttgart.“

Als der am Montag vor dem Abflug in der Sportschule Kienbaum eintraf und sah, mit wem er da gegen die belgische Weltklasse um Michel Preud’homme, Enzo Scifo, Franky van der Elst, Jan Ceulemans und den späteren Schalker Marc Wilmots antreten sollte, machte Sammer aber auf dem Absatz kehrt, fuhr zurück nach Berlin und wollte wieder nach Stuttgart fliegen. Weil er aber keine passende Maschine fand, stand er am Dienstagmorgen wieder in der Sportschule. Zu seinem eigenen Glück. Denn mit seinen beiden Toren zum späteren 2:0-Erfolg trug sich der heutige Sportvorstand des FC Bayern München schließlich in die Fußball-Geschichtsbücher ein.

Das letzte Spiel der DDR-Fußball-Nationalmannschaft fand am 12. September 1990 im Constant Vanden Stock Stadion vor 12.000 Zuschauern in Brüssel gegen Gastgeber Belgien statt.

Belgien spielte mit folgender Aufstellung:

Michel Preud'homme - Nico Broeckaert, Michel de Wolf, Pascal Plovie, Bruno Versavel (68. Danny Boffin) - Jan Ceulemans (46. Philippe Albert), Stephane Demol (46. Marc Degryse), Lorenzo Staelens - Enzo Scifo (46. Marc Wilmots), Francky van der Elst, Erwin Vandenbergh

Trainer des Teams war Guy Thys

Die DDR spielte mit folgender Aufstellung:

Jens Schmidt (Jens Adler) - Detlef Schößler, Andreas Wagenhaus, Heiko Peschke, Heiko Scholz (85. Torsten Kracht) - Matthias Sammer, Dariusz Wosz, Jörg Schwanke, Heiko Bonan, Jörg Stübner (26. Stefan Böger) - Uwe Rösler

Trainer der Mannschaft war Eduard Geyer

In einem fairen Fußballspiel musste Schiedsrichter John Blankenstein keine Karten verteilen.

Die DDR gewann am Ende durch zwei späte Tor mit 2:0.

0:1 Matthias Sammer (74.)

0:2 Matthias Sammer (89.)

Immer, wenn wieder einmal fünf Jahre vergangen sind, eine Fünf oder eine Null dieses denkwürdige Datum als Jubiläum ausweist, ist Jens Adler ein gefragter Mann. „Jemand, der zehn Länderspiele bestritten hat, wird weitaus weniger angerufen als ich“, sagt er. Aber wohl gerade deshalb sind ihm die Ereignisse von damals noch so klar im Gedächtnis.

Intensive Woche

„Montags ging es in die Sportschule, am Dienstag flogen wir nach Belgien, am Mittwoch war das Spiel, am Donnerstag kamen wir zurück und schon am Freitagmorgen ging es wieder in den Bus und mit dem HFC zum Abendspiel unter Flutlicht bei Hansa Rostock, wo wir 1:1 gespielt haben“, erzählt Adler. In einem Punkt allerdings widerspricht der Hallenser seinem damaligen Nationaltrainer Geyer, der dieses Spiel in seinem neuen Buch „Einwürfe“, das am 16. September beim Verlag Neues Leben erscheint, als „Himmelfahrtskommando“ bezeichnete. „Wir waren vielleicht die zweite Reihe, aber wir waren keine Blinden. Alle 14, die dort mitgespielt haben, haben später auch noch Bundesliga gespielt.“

Wenn Adler erzählt, ist jedes Detail präsent von jenem Ereignis, mit dem sich die DDR von der Fußball-Welt verabschiedete. Nur eines, das weiß der HFC-Torwarttrainer bis heute nicht. Wer hat ihm seinerzeit den Zettel an die Wohnungstür geklemmt?