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Böse Buben und Bastarde EM2016: Was Italien so stark macht

Von Matti Lieske 16.06.2016, 16:56
Präsentieren sich als Einheit: Die Spieler der italienischen Nationalmannschaft.
Präsentieren sich als Einheit: Die Spieler der italienischen Nationalmannschaft. Getty Images Europe

Paris - Das hat den Italienern gut gefallen, als die französische Sportzeitung „So Foot“ ihre Abwehrreihe mit Filmfiguren von Quentin Tarantino verglich und als Bastarde bezeichnete. Gleich produzierte die „Gazzetta dello Sport“ eine Titelseite mit Giorgio Chiellini, Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci, Gianluigi Buffon und als Chef der Einheit Trainer Antonio Conte als Filmplakat von Tarantinos „Inglourious Basterds“.

Als „Quadratrücken“ hatte zuvor schon Bonucci die Defensivformation von Juventus Turin charakterisiert. Sie mögen es, sich als böse Buben zu inszenieren, ähnlich wie die deutschen Handballer als „Bad Boys“ bei ihrem EM-Gewinn. Nur mit dem Unterschied, dass die Italiener, anders als die milchgesichtigen Handballbubis, auch über die entsprechende Physiognomie verfügen.

Erinnerungen an die Veteranen von 2006

In Italien, aber auch im restlichen Europa, war das italienische Team vor der EM als chancenlos angesehen worden. Alt, uninspiriert, nach dem Abgang der Generation von Andrea Pirlo, Antonio Cassano, Francesco Totti und dem Formabfall von Mario Balotelli ohne technische Qualität, so hieß es. Das erinnerte die Veteranen im Team an 2006, als sie auch abgeschrieben waren und dann den WM-Titel holten. Vor allem Torhüter Buffon, 38, sagte vor dem Turnier, er träume davon, es erneut allen zu zeigen. Der mit Kälte, taktischem Geschick und großem Aufwand herausgespielte 2:0-Sieg gegen Belgien hat nun für Euphorie im Land gesorgt.

WM 2014 als Warnung

Nicht nur Conte, auch Bonucci warnte umgehend: Beide erinnerten an die WM 2014, als Italien auch das erste Spiel gegen England 2:1 gewonnen hatte, bereits als kommender Weltmeister gefeiert wurde und dann nach Niederlagen gegen Costa Rica und Uruguay in der Vorrunde ausschied.

Die Gefahr ist groß, dass der erste Sieg überschätzt wird, weil die Belgier in Italien als nahezu übermächtiger Favorit gehandelt wurden, wovon in Lyon dann aber nichts zu sehen war. Beim Spiel gegen Schweden am Freitag (15 Uhr, ZDF) mit dem in Italien gefürchteten Zlatan Ibrahimovic, der bei Juventus Turin, AC Mailand und Inter Mailand erfolgreich war, geht es darum, die Ambitionen zu untermauern.

Zweite Spiele bei Turnieren sind nicht gerade die Stärke der Italiener, seit 2002 gab es dabei fünf Unentschieden und zwei Niederlagen. Dem künftigen Chelsea-Coach Conte wird jedoch einiges mehr zugetraut als seinen Vorgängern. Der 46-Jährige gilt als Workaholic, der jeden Tag stundenlang Videos sichtet, Spielzüge hundertfach üben lässt und das Team sowie jeden Spieler mit klaren Aufgaben in die Partie schickt, quasi als seine Marionetten. „Er weiß, genau, wie er die richtigen Fäden bei seinen Jungs ziehen muss“, sagt Verteidiger Mattia De Sciglio. Andrea Pirlo berichtet in seiner Autobiografie aus seiner Zeit bei Juventus Turin, wie Conte auch in der Halbzeit von Partien, in denen das Team 3:0 führte, tobte und mit Wasserflaschen warf.

Ähnlich wie Bundestrainer Joachim Löw besitzt Conte die Fähigkeit, ein Team in der Vorbereitung zu einer Einheit zu verschmelzen. „Lasst mich drei Wochen arbeiten“, hatte er nach einigen Pleiten gesagt, etwa dem 1:4 gegen Deutschland im März, „dann werdet ihr schon sehen.“ Italiens Team, so Conte, sei wie eine Klubmannschaft, mit einstudierten Systemen und Bewegungen. Trotz des höchsten Durchschnittsalters bei dieser die Mannschaft keineswegs Altherrenfußball. Im Gegenteil. In ihrem ersten Spiel liefen die Italiener 119,702 Kilometer, damit lagen sie nach der ersten Gruppenrunde weit an der Spitze.

Läuferische Überlegenheit

Der unterlegene Gegner Belgien, bei dem Coach Marc Wilmots gegenüber Conte wie ein Schülerpraktikant wirkte, war sogar gut zwölf Kilometer weniger gelaufen, eine gigantische Differenz.

Keine guten Aussichten jedenfalls für Schweden, das in dieser Statistik mit 101,466 Kilometern auf dem letzten Platz aller 24 Teams lag. Die intensive Laufarbeit ist essenziell für das Spiel der Squadra Azzurra von Antonio Conte, in der das Fehlen von überragenden Talenten durch kollektives Handeln, taktische Finesse und physische Robustheit aufgefangen wird, Eigenschaften, die den begabten belgischen Ballkünstlern den Spaß am Spiel gründlich verleideten.

Wichtig für die Italiener ist auch ein guter Zusammenhalt im Team, der in Brasilien vor zwei Jahren nicht da war. „Wir sind eine großartige Gruppe“, sagte Reservist Alessandro Florenzi und führte als Beweis eine Szene an, in der Belgiens Jan Vertonghen an der Seitenlinie Teammanager Gabriele Oriali geschubst hatte. „Lorenzo Insigne und ich sind gleich auf ihn losgegangen“, sagte der Spieler vom AS Rom, „dabei sind wir beide nicht größer als ein belgisches Bein.“