1. MZ.de
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. Fußball
  6. >
  7. EM-Vorbereitung: DFB-Team: Wie die Vorbereitung auf die Em 2016 in Evian läuft

EM-Vorbereitung DFB-Team: Wie die Vorbereitung auf die Em 2016 in Evian läuft

Von Jan Christian Müller 08.06.2016, 08:18
Die Nationalmannschaft bei der Ankunft in Evian.
Die Nationalmannschaft bei der Ankunft in Evian. imago sportfotodienst

Evian - Zwei Jahre ist es her, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft mit einem treffenden WM-Slogan in ein großes Turnier zog. „Bereit wie nie“ - das hatte sich der Generalsponsor Mercedes seinerzeit ausgedacht. Und so war es dann tatsächlich: Deutschland wurde Weltmeister, Bundestrainer Joachim Löw hatte das Team perfekt vorbereitet.

Der „Spiegel“ schenkte dem Weltmeister-Coach eine Titelgeschichten-Huldigung mit der Überschrift „Der Spieler“ - Unterzeile: „Die kühnen Strategien des Joachim Löw.“ Vor dem Turnier hatte dasselbe Blatt Löw noch gegen dessen Vorgänger Jürgen Klinsmann geschnitten - den Hinterwäldler gegen den Weltmann.

Zwei Jahre später wirkt Joachim Löw weltmännischer, tiefenentspannter und genießerischer denn je. Er hat es sich eingerichtet in seiner fabelhaften Fußballwelt. Das Motto, mit dem sein Team in die EM in Frankreich zieht, heißt jetzt „Vive la Mannschaft“. Das klingt eher feierlich als kämpferisch. Doch der Sponsor-Slogan trifft die Stimmung am Tag der Ankunft in Frankreich im und um das Team recht präzise.

Natürlich hat Joachim Löw im Trainingslager in Ascona am Nordufer des Lago Maggiore voller Akribie gearbeitet. Natürlich war der Platz nahtlos gemäht und sorgsam bereitet wie ein Putting Green im Golf, selbstverständlich war die Herberge Spitzenklasse. Und diesmal gab es noch nicht einmal aktuelle Crash-Szenarien. Nicht auf dem Platz, nicht daneben.

Mercedes und der DFB hatten auf den Unfall bei einer Kollision einer auch mit Nationalspielern besetzten Nobelkarosse mit einem dadurch schwer verletzten deutschen Touristen vor zwei Jahren im Passeiertal reagiert. Produktvorstellungen dieser Art fanden 2016 im Tessin nicht mehr statt. Zudem: Der Krankenstand im Team lichtete sich vor EM-Beginn, es gab keine Pinkelaffäre wie 2014 um den inzwischen nicht mehr zum Kader gehörenden Kevin Großkreutz, und auch von undiszipliniertem Fahrverhalten des Bundestrainers im Straßenverkehr mit der Folge des Führerscheinentzugs wurde nichts bekannt.

Chaos-Camp 2014

Alles anders also als vor zwei Jahren. Da schrieben die Medien von „Chaos-Camp“, „Skandal im Sperrbezirk“, die „FAZ“ diagnostizierte einen „Verlust von Bodenhaftung“. Die Nationalmannschaft, die laut ihrer Werbestrategen als amtierender Weltmeister nur noch „Die Mannschaft“ heißen soll, hatte die Berichterstattung damals als übertrieben aggressiv empfunden, sie hatte sich eine Wagenburgmentalität zugelegt, sich verschanzt und die böse Welt da draußen verdammt. Vermutlich haben „diese Störfeuer von außen“, wie sie Manager Oliver Bierhoff nannte, die ihren Ursprung aber tatsächlich innen hatten, den Spielern und dem Trainerteam zusätzliche Kraft und Motivation gegeben und sie noch enger zusammenrücken lassen.

Dieses Momentum fehlt 2016. Alles ist ein wenig seicht im Fluss, die individuelle Qualität der Mannschaft erscheint allen Beteiligten ausreichend, um nach 1996 mal wieder einen EM-Titel nach Deutschland zu holen. Die Medien begleiten die Mannschaft in einem entspannten Modus. Es haben sich nirgendwo Gräben aufgetan, im Gegenteil, es hat wegen des verbalen Angriffs von AfD-Mann Gauland auf den Verteidiger Jérôme Boateng diesmal sogar eine Art Solidarisierung der Presse mit der Nationalmannschaft gegeben. Der Bundestrainer lächelte die Reporter so entspannt an wie nie, früher empfand er große Turniere als Druck, mittlerweile als reine Freude. Er lässt sich von Stimmungen außerhalb der Wagenburg nicht mehr beeinflussen, der 56-Jährige lebt im Tunnel.

Am Dienstag reiste das deutsche Team nach Frankreich. Zittern, dass das Camp rechtzeitig fertig wird wie vor zwei Jahren im Fischerdörfchen Santo André an der brasilianischen Atlantikküste, musste diesmal niemand. Die Herberge im mondänen Evian-les-Bains am Genfer See steht schon seit mehr als hundert Jahren auf festem Fundament, soll sogar mit einem Schutzraum ausgestattet sein. „Es ist hoch gelegen, es hat beim Blick hinunter auf den See eine Weite und ein tolles Licht“, lobt Bierhoff. Am Dienstagabend stellte sich die Nationalmannschaft dem örtlichen Publikum in einem öffentlichen Training vor.

Doch die Unterkunft liegt auch weit weg von den Vorrunden-Spielorten Lille und Paris, und das zudem in einem Ort, der eher das gediegene Flair eines Schweizer Feriendomizils für Besserbetuchte verströmt als urtümliche französische Atmosphäre. Anreise und Abreise per Bus und Flug mit einem kleinen Charterflieger dauern so jeweils knapp drei Stunden, optimal ist das nicht, das räumt auch Manager Bierhoff ein: „Gerade die Rückfahrt kann ein bisschen nervig werden.“

Optimal sollen allerdings die Bedingungen im Basecamp „Hotel Ermitage“ sein, 125 Meter über dem See in einer 19.000 Quadratmeter großen Parkanlage gelegen, in der sich auch ein Hubschrauber-Landeplatz sowie der Trainingsplatz befindet.

Man wird sehen, ob die Wahl ähnlich klug war wie vor zwei Jahren in Brasilien oder ähnlich unklug wie vor acht Jahren in Ascona, als sämtliche EM-Vorrundenspiele sowie das Finale im fernen Österreich stattfanden und der Trainingsplatz erst nach einer 20-minütigen Fahrt erreicht werden konnte. „Wenn wir zwei Mal am Tag Training hatten, waren wir fast zwei Stunden unterwegs“, erinnert sich der Bundestrainer mit Grausen. Die Spieler waren entsprechend genervt. Die miese Stimmung gipfelte im öffentlichen Zwist zwischen Bierhoff und Kapitän Michael Ballack unmittelbar nach dem verlorenen Finale gegen Spanien.

2016 liegt der Fokus ganz auf der sportlichen Vorbereitung. Für die drei Vorrunden-Spiele gegen die Ukraine, Polen und Nordirland und für das Achtelfinale erwartet der Bundestrainer extrem defensive Gegner: „Das wichtigste Thema für uns lautet deshalb: Wie können wir gegen eine Wand von neun oder zehn Mann angreifen und gleichzeitig gefährliche Konter vermeiden?“ Denn auch Polen sieht Löw in der Vorrunde erst einmal als Betonmischer an, die er weniger mit dem Presslufthammer angreifen will als mit feinem Meißel.

Startelf ähnlich wie 2014

Die Struktur der Startelf dürfte sich dabei zunächst von der des Weltmeister-Teams nur unwesentlich unterscheiden. Das Fundament bilden Welttorhüter Manuel Neuer, Weltklasseverteidiger Jerome Boateng, die Weltklasse-Mittelfeldspieler Sami Khedira, Toni Kroos und Mesut Özil sowie Weltklassestürmer Thomas Müller. Darauf lässt sich aufbauen.

Fünf Positionen sind umkämpft. Im Angriff zwischen Mario Götze und Mario Gomez, links vorn zwischen André Schürrle, Lukas Podolski, Julian Draxler und Leroy Sané, auf den hinteren Außenpositionen zwischen Jonas Hector, Emre Can, Benedikt Höwedes und Joshua Kimmich. In der Zentrale neben Boateng zwischen Höwedes und Shkodran Mustafi - bis Mats Hummels fit ist.

Der Kader erscheint gut austariert. 14 Spieler von vor zwei Jahren sind noch im EM-Aufgebot, aber zumindest Bastian Schweinsteiger und Hummels, zwei Helden von Rio, werden in Frankreich erst einmal fehlen. Über die Perspektive des zuvor drei Monate verletzten Schweinsteiger hat Löws neuer Assistent Marcus Sorg den verräterischen Satz formuliert, der ständig Lädierte solle „im Laufe des Turniers eine wertvolle Ergänzung werden“. Das klingt nicht nach Führungsspieler. Diese Rolle dürfte Sami Khedira zukommen, der schon warnend meinte: „Wir müssen diesen Hunger entwickeln, unbedingt gewinnen zu wollen.“ Dieses „Bereit wie nie“, es fehlt noch.

Traumhafte Kulisse, hoch über dem Genfer See trainierte die deutsche Mannschaft am Dienstag.
Traumhafte Kulisse, hoch über dem Genfer See trainierte die deutsche Mannschaft am Dienstag.
rtr
Ein Willkommensgruß für die deutsche Nationalmannschaft in Evian-les-Bains am Genfer See
Ein Willkommensgruß für die deutsche Nationalmannschaft in Evian-les-Bains am Genfer See
dpa