DFB-Elf nach 1:1 gegen Irland DFB-Elf nach 1:1 gegen Irland: Die deutsche Mannschaft und Spieler wie Durm und Rüdiger brauchen Zeit

Köln - Mats Hummels ist bekannt dafür, nach Fußballspielen in der Regel die richtigen Worte zu finden und sich mitunter selbstkritisch zu äußern. So auch am Dienstagabend. „Wir hätten den Ball am Fuß behalten müssen“, sagte der Innenverteidiger des BVB. Natürlich ging es um die Schlussphase des Länderspiels gegen Irland, das für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft mit einem Gegentor in der vierten Minute der Nachspielzeit und damit mit einem 1:1 statt eines Sieges geendet war.
Der späte Ausgleich der Iren war die Folge einer auf den ersten Blick rätselhaft erscheinenden Passivität der DFB-Elf in den letzten sieben, acht Minuten des Spiels. Da hatten sie gegen die leidenschaftlich und tief verteidigenden Gäste über 80 Minuten lang den Ball zirkulieren lassen, wenn auch ohne die ganz zündenden Ideen gegen die irischen Defensivspezialisten – plötzlich aber gab es überhastete Befreiungsschläge und rätselhafte Fehlpässe zu sehen.
Es schien, als würden einige Spieler wie Toni Kroos plötzlich nicht mehr alles investieren, die drei Punkte über die Zeit zu retten. Selbstverständlich hätte das gut gehen können, aber der späte Schock zeigt: Wenn die Abläufe nicht stimmen, kann die Müdigkeit nicht kompensiert werden. Da, wo normalerweise ein eingespielter Verwaltungsmodus gegriffen hätte und vor einigen Wochen noch Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira für Ordnung gesorgt hätten, gab es plötzlich bloß noch Spieler, die sich zwar gut aus dem Training kennen, aber den Ernstfall in dieser Formation noch nicht erlebt haben.
Den einzelnen Akteuren ist nicht einmal ein Vorwurf zu machen; Erik Durm, Antonio Rüdiger, Sebastian Rudy – sie alle sind mehr oder weniger neu in der Nationalelf. Diese Veränderungen haben eben auch Auswirkungen auf gestandene Spieler, die dann plötzlich selbst die Ruhe verlieren. Und schon werden die Bälle nach vorn geschlagen. Abläufe geben Sicherheit, ein Mangel an Automatismen sorgt für zarte Panik.
Die merkwürdigen Schlussminuten sind aber nur ein kleiner Aspekt dieses Spiels gegen Irland. „Wenn das Tor in der letzten Sekunde nicht fällt, sagen alle: «Alles richtig gemacht, abgezockt!» So ist es zu wenig“, sagte Mats Hummels.
Stimmt irgendwie. Und natürlich steht Joachim Löws Mannschaft jetzt, da sie mit nur vier Punkten aus den ersten drei Spielen in die Qualifikationsrunde zur Europameisterschaft 2016 in Frankreich gestartet ist, in der Kritik. Zuletzt beschränkte sich das auf bestimmte Spieler, die neuen Außenverteidiger Durm und Rüdiger etwa. Und schon musste sich auch der Bundestrainer selbst einiges anhören, wie etwa vom ehemaligen Nationaltorwart Jens Lehmann, der nach dem 0:2 in Polen nörgelte: „Ihr hattet jetzt acht Wochen. Trotzdem ist auf den Außenverteidigern nicht zu erkennen, wer dafür infrage kommt. Da hätte man sicherlich ein bisschen was entwickeln können.“
Einerseits: Ja. Andererseits: Die Zukunft braucht Zeit. Es muss sich zeigen, ob Spieler wie Durm, Rüdiger, Rudy oder Matthias Ginter nationalmannschaftstauglich sind. Aber gibt es eine besser Möglichkeit, sich davon zu überzeugen, als im Laufe einer Qualifikation, nach der sogar die besten Gruppendritten zum Start beim anstehenden Turnier berechtigt sind? Zumal etliche Leistungsträger verletzt fehlen. Eine gute Gelegenheit, die jungen Männer in Pflichtspielen zu testen.
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Die deutsche Mannschaft befindet sich im Umbruch, der mit den Rücktritten der Herren Lahm, Mertesacker und Klose begonnen hat und spätestens nach der EM fortschreiten wird, wenn möglicherweise Spieler wie Schweinsteiger und Podolski abtreten. Insofern arbeitet Joachim Löw mit überraschenden Nominierungen auch am Projekt „Zukunft“. Er studiert und probiert, um zu sehen, auf wen er dann setzen kann, wenn es ernst wird. Christoph Kramer und Karim Bellarabi sind gute Beispiele für Spieler, die sich im Verein ordentlich präsentiert und dann auch gleich in der Nationalmannschaft überzeugt haben. Aber es gibt nicht nur Kramers und Bellarabis. Manche werden länger brauchen, andere den Sprung auf die höchste Stufe nicht schaffen.
Natürlich ist dabei ohnehin das Verletzungspech nicht außer Acht zu lassen: Schweinsteiger, Khedira, Kramer, Mesut Özil, André Schürrle, Marco Reus, Mario Gomez, Benedikt Höwedes, Marcel Schmelzer – nur eine Auswahl derer, die am Dienstag gefehlt haben. Sollte der Großteil der Genannten bis zur nächsten ernsthafteren Herausforderung in Georgien Ende März nächsten Jahres wieder an Bord sein und das dann auch bleiben, wird die Qualifikation nicht gefährdet sein. Und bis dahin ein wenig ausprobieren – warum nicht?
Diejenigen, die jetzt den Bundestrainer und die deutsche Mannschaft kritisieren, wünschen sich am wenigsten, dass es mit der DFB-Elf über die EM hinausgedacht so läuft wie mit den vorangegangenen Weltmeistern. Sie alle haben vor allem auf Bewährtes gesetzt – und sind damit gescheitert. Frankreich: Weltmeister 1998, Vorrunden-Aus 2002. Brasilien: Weltmeister 2002, Viertelfinal-Aus 2006. Italien: Weltmeister 2006, Vorrunden-Aus 2010. Spanien: Weltmeister 2010, Vorrunden-Aus 2014.
Natürlich ist es nicht verkehrt, auf etablierte Kräfte zu vertrauen, aber eine gesunde Mischung kann nicht schaden. Neue Impulse – im Zweifel nur, um den Konkurrenzkampf zu erhöhen und gestandenen Spielern zu vermitteln, dass sie ihr Engagement nicht herunterfahren dürfen. Schließlich ist auch für einen Weltmeister jeder Sieg harte Arbeit – von Spielen gegen Gibraltar, San Marino oder Lichtenstein einmal abgesehen – nur nach harter Arbeit zustande kommt.
Wie sagte Hummels noch? „Nüchtern betrachtet war es auch bei der WM in fünf von sieben Spielen knallharte Arbeit, die uns die Siege beschert hat. Alles raushauen, was geht, und am Ende auch ein wenig Glück haben. Das darf man nicht vergessen.“ Auch die Spieler selbst nicht. Denn insgesamt klingt das nach einem recht sinnvollen Plan für die Zukunft, die ja gar nicht so düster aussieht, wie manch einer gerade befürchtet oder glaubt.
