Claudia Roth zur WM-Vergabe 2006 Claudia Roth zur WM-Vergabe 2006: "Dem deutschen Verband fehlt es an Transparenz"

Frau Roth, Sie engagieren sich seit vielen Jahren ehrenamtlich im DFB, unter anderem in der Kulturstiftung. Überdies sind sie mit dem einstigen Verbandspräsidenten Theo Zwanziger befreundet. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie erfuhren, dass bei der Vergabe der WM 2006 möglicherweise Schmiergeld geflossen ist?
Ich bin bislang immer davon ausgegangen, dass es die extrem korrupte Welt der Fifa gibt sowie die Welt des europäischen Verbands Uefa mit einem fragwürdigen Präsidenten Michel Platini an der Spitze. Und daneben die Welt des DFB, von dem ich immer noch hoffe, dass er mit all den dunklen Machenschaften nichts zu tun hat. Ganz ausgeschlossen ist das aber nicht: Auch dem deutschen Verband fehlt es an Transparenz.
Er hätte viel früher deutlich machen müssen, wie die Entscheidung für Deutschland als WM-Gastgeber 2006 zustande gekommen ist. Mich interessiert auch, wie Franz Beckenbauer abgestimmt hat, als Katar vom Fifa-Exekutivkomitee den Zuschlag für die Weltmeisterschaft 2022 bekam. Jetzt muss alles auf den Tisch. Und zwar wirklich alles, damit der DFB als einer der größten Sportverbände der Welt weiterhin eine Vorbildfunktion ausüben kann und zeigt, dass er nicht Teil ist des Systems aus Korruption und Mauschelei.
Der DFB und sein amtierender Präsident Wolfang Niersbach streiten ab, dass es Korruption und schwarze Kassen rund um die WM in Deutschland gab. Sie räumen aber ein, dass es eine ungeklärte Zahlung gibt. Wie glaubwürdig ist Niersbach?
Es gilt die Unschuldsvermutung. Aber es reicht nicht, wenn Wolfgang Niersbach versichert, alles sei mit rechten Dingen zugegangen. Ich will jetzt Beweise sehen, dass das tatsächlich so war. Der ominöse Privatkredit des einstigen Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus und die Art der Rückzahlung über ein zweifelhaftes Fifa-Konto werfen viele Fragen auf. Der DFB muss jetzt haarklein erklären, was das für Geld war und wofür es verwendet wurde.
Wir alle haben die WM 2006 als Sommermärchen im Gedächtnis. Müssen wir dieses Bild revidieren?
Das Turnier war ein tolles Sportfest, bei dem sich Deutschland als weltoffenes, fröhliches Land präsentiert hat. Es war ein Sommermärchen und wird in unserer Erinnerung zu Recht immer eines bleiben. Das heißt aber nicht, dass uns die Entstehungsgeschichte jetzt egal sein könnte und wir beide Augen zudrücken sollten, falls vorher krumme Dinger gedreht worden sind.
Auch das Argument, man könne nur große Sportveranstaltungen ins Land holen, wenn man sich den Gepflogenheiten der internationalen Verbände anpasse, zieht nicht. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Wenn es andere machen, müssen wir es ja nicht auch machen.
Der Fußball in Deutschland lebt nicht nur von der Nationalmannschaft und der Bundesliga, sondern vor allem vom Engagement vieler Millionen Ehrenamtlicher in den Sportvereinen vor Ort. Ist zu befürchten, dass diese Kultur des Miteinanders Schaden nehmen könnte?
Ich sehe zumindest die Gefahr, dass sich die Spitzenverbände des Fußballs immer weiter von ihrer Basis entfremden. Es kann nicht sein, dass sich Fifa, Uefa und Co. wie Organisationen aufführen, die über Recht und Gesetz stehen – und gleichzeitig ständig betont wird, wie wichtig der Sport für den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt ist.
Es kann auch nicht sein, dass man den Verbänden inzwischen alles zutraut. Nicht nur Spitzensportler, auch Spitzenfunktionäre sollten Vorbilder sein. Das sind sie all den aktiven Amateursportlern und Helfern schuldig, die sich Woche für Woche mit viel Herzblut für ihren Verein engagieren.