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Fußball  Fußball : Spargelstechen für den Mindestlohn

Von Fabian Wölfling 29.04.2020, 08:39
Arnold Schunke bei seinem Einsatz als Spargelstecher in Langeneichstädt.
Arnold Schunke bei seinem Einsatz als Spargelstecher in Langeneichstädt. Schunke

Langeneichstädt - Plötzlich sind da ganz neue, ungewohnte Arten von Muskelschmerzen. Sonst zwickt es mal in der Wade. Oder im Oberschenkel. Körperregionen eben, die beim Fußball auf leistungsorientiertem Niveau besonders beansprucht werden. Gerade spürt Arnold Schunke, Kapitän und Abwehrchef des Oberligisten VfL Halle 96, aber vor allem seine Handgelenke. „Das kommt von der Stechbewegung“, erklärt der 24-Jährige. Hundertfach macht er gerade täglich den einen, immer gleichen präzisen Handgriff.

Durch die Ausbreitung des Coronavirus ist der Einsatz von Arnold Schunke als Fußballer gerade nicht gefragt. Die Oberliga hat, wie sämtliche Sportligen im Land, ihren Spielbetrieb seit März eingestellt. Wie lange, ist offen. Wahrscheinlich aber bis in den Herbst. Schließlich droht der aktuellen Saison der Abbruch - und der Beginn der neuen Spielzeit wird sich auf unbestimmte Zeit verschieben.

Also suchte der Nebraer (siehe auch Kasten „HFC, Halberstadt, KSC“), der inzwischen in Halle lebt, eine andere Möglichkeit, um seine Körperkraft einbringen zu können, und er hat einen Bereich gefunden, wo sie gerade besonders benötigt wird. Seit mehr als einer Woche ist Arnold Schunke Spargelstecher auf einem Hof in Langeneichstädt.

Richtige Technik entscheidend

„Vor drei Wochen bin ich über eine Onlineplattform darauf gestoßen, dass in der Landwirtschaft Arbeitskräfte gesucht werden“, erzählt er. Der Grund: Saisonarbeiter, die sonst zu Hunderttausenden vor allem aus Osteuropa nach Deutschland kommen, können dies durch die aktuellen Grenzschließungen nur schwer oder überhaupt nicht. Auch wenn die Einreisebestimmungen inzwischen etwas gelockert wurden, werden in Deutschland noch bis zu 90.000 Saisonkräfte gesucht.

Schunke ist nun einer von vielen Neulingen, die versuchen, die Lücke zu schließen. „Ich habe vorher noch nie Spargel gestochen“, erzählt er. Wie beim Fußball für einen gelungenen Kopfball oder Torschuss kommt es auch beim Spargelstechen auf die richtige Technik an. „Man muss schon ordentlich buddeln und dann genau zustechen“, erklärt Schunke, der, so sagt er, im Gegensatz zu den Handgelenken trotz seiner 1,90 Meter Körpergröße mit dem Rücken keine größeren Probleme hat. Genau 24 Zentimeter muss eine Stange lang sein. „Damit sie in der Produktion auf 22 Zentimeter gekürzt werden kann.“ Das gewünschte Gardemaß für das in Deutschland so beliebte Gemüse.

Für Schunke beginnen die Tage nun früh. Bereits um 7 Uhr geht es mit dem Stechmesser auf das Feld. So wird die Mittagswärme vermieden. „Wenn es warm ist, ist es anstrengend“, erzählt der talentierte Kicker, der in der Jugend des HFC ausgebildet wurde, für Halberstadt auch schon in der Regionalliga gespielt hat und seit 2017 beim VfL ein Leistungsträger ist. Seit 2019 ist er der Spielführer des Oberligisten.

Das Fußballfeld ist gerade aber ganz weit weg, das Spargelfeld nun sein Zuhause. Fünf, sechs Stunden arbeitet Schunke täglich in Langeneichstädt. „Die Saison hat gerade erst angefangen“, erzählt er. Zu Hochzeiten befördern geübte Spargelstecher aus Osteuropa stündlich bis zu 20 Kilogramm der weißen Stangen aus dem Boden. „Das schaffen wir Neulinge nicht“, sagt Schunke. Aber einige Kilo kommen bei ihm nach gut einer Woche Übung inzwischen auch schon zusammen.

„Das macht demütig“

Gemeinsam mit anderen Not-Erntehelfern - so arbeiten etwa auch zwei derzeit beschäftigungslose Köche in Langeneichstädt mit - hilft Schunke, die Ernte und damit die Existenz des Spargelhofs zu sichern. Dafür bekommt er den gesetzlichen Mindestlohn, das sind 9,30 Euro die Stunde. Für ihn ein wichtiger Verdienst. Zwar bekommt Schunke derzeit noch Geld vom VfL, das der Lehramtsstudent für Geografie und Sport im vierten Semester etwa für die Miete oder Spritkosten fest eingeplant hat. Allerdings ist ungewiss, wie lange der Oberligist die Zahlungen aufrechterhalten kann, wenn der Spielbetrieb tatsächlich bis in den Herbst ausfällt und dem Traditionsverein dadurch Sponsorengelder wegbrechen. Das Problem: Im Gegensatz zu den Profis in den oberen Ligen erhält beim VfL kein Spieler mehr als 450 Euro. Es sind sozusagen Minijobs. Deshalb ist die Beantragung von Kurzarbeitergeld nicht möglich.

Weshalb Arnold Schunke die freigewordene Zeit durch den Wegfall von festen Vorlesungszeiten, Training und Spielen nun mit Spargelstechen füllt. „Am Wochenende hole ich dann Studienstoff nach, unsere Dozenten stellen gerade Vorlesungen online“, erzählt er. Nach sechs Stunden Spargelstechen fehlt ihm dazu unter der Woche die Energie.

Der Sport spielt dagegen gerade nur noch eine Nebenrolle. „Ich halte mich schon noch fit, gehe laufen und Fahrradfahren“, erzählt Schunke. Einen Fußball hat er aber seit dem letzten Training beim VfL nicht mehr berührt.

Dafür hat er die Arbeit der Erntehelfer aus Osteuropa umso mehr zu schätzen gelernt. „Ich weiß jetzt, was da für eine Arbeit dahintersteckt, das macht einen schon demütig und lässt einen den Spargel viel mehr schätzen“, sagt der Nebraer. „Die Deutschen wissen gar nicht, was sie an den Arbeitern haben, die die ganze Ernte für wenig Geld reinbringen. Hut ab, was die leisten.“

Beim Oberligisten VfL Halle 96 - hier in einem Punktspiel gegen die SG Union Sandersdorf - ist der Nebraer Arnold Schunke (Mitte) Kapitän.
Beim Oberligisten VfL Halle 96 - hier in einem Punktspiel gegen die SG Union Sandersdorf - ist der Nebraer Arnold Schunke (Mitte) Kapitän.
Holger John