Dopingverdacht Dopingverdacht: Pechstein vor wegweisendem Gerichtsurteil

Köln - Ihre zweijährige Sperre hat Eisschnellläuferin Claudia Pechstein längst abgesessen, doch abgehakt ist ihr vermeintliches Dopingvergehen für die inzwischen 42 Jahre alte Berlinerin nicht. Seit fünfeinhalb Jahren kämpft um ihre Reputation, nun steht eine wegweisenden Entscheidung des Oberlandesgerichts München bevor. Am heutigen Donnerstag wird dort verkündet, ob Pechsteins Klage gegen den Eisschnelllauf-Weltverband (Isu) angenommen wird. Worum es geht und was bisher geschah – wir fassen zusammen.
Wurde Pechstein jemals des Dopings überführt?
Nicht zweifelsfrei. Die fünfmalige Olympiasiegerin wurde 2009 auf Grund auffälliger Blutwerte von der Isu für zwei Jahre gesperrt. Ein positive Dopingprobe hat es nie gegeben, Pechstein wurde als eine der ersten Sportlerinnen weltweit auf Grund von Indizien im Blutpass überführt. Die Berlinerin bestreitet, jemals gedopt zu haben. Sie legte ein Gutachten vor, das ihre extremen Werte mit einer durch ihren Vater vererbten Blutanomalie erklärt. Bis heute sind sich die Experten uneins, ob Pechsteins Verurteilung gerechtfertigt war.
Wie beurteilten die Gerichte ihre Rechtfertigung bisher?
Pechstein wandte sich zunächst an die zuständige Sportgerichtsbarkeit, so ist es üblich im Spitzensport und durch so genannte Schiedsvereinbarungen festgelegt, die jeder Athlet vor der Teilnahme an Wettkämpfen unterschreiben muss. Die Sperre wurde durch das Isu-Schiedsgericht ausgesprochen, Pechstein ging beim Internationalen Sportgerichtshof (Cas) dagegen vor. Dieser bestätigte die Sperre. Pechstein zog vor das Schweizer Bundesgericht (zuständig, da der Cas in Lausanne sitzt), doch dieses sah die Sperre ebenfalls als rechtmäßig an. Auch mit einem Revisionsverfahren hatte die Eisschnellläuferin keinen Erfolg – und damit war sie am Ende der Berufungsmöglichkeiten für einen Sportler angelangt.
Erkannte Pechstein das an?
Nein. Und sie kritisiert in dem Entwurf für das von ihr stets geforderte Anti-Doping-Gesetz in Deutschland den Paragrafen 11, mit dem klar festgeschrieben werden soll, dass sich Athleten der Sportschiedsgerichtsbarkeit unterwerfen. Sie sagt: „Uns soll verboten werden, vor einem ordentlichen Gericht um unser Recht zu kämpfen. Dabei hat dieses Recht laut Grundgesetz jeder Bundesbürger.“ Mit ihrer Schadenersatzklage gegen die Isu, die sie nach dem Scheitern vor der Sportgerichtsbarkeit vor dem Landgericht München einlegte, kämpft Pechstein um dieses Recht.
Kann Pechstein trotz ihrer Athletenvereinbarung auf die Entscheidung eines ordentlichen Gerichts hoffen?
Das ist die entscheidende Frage, die das Oberlandesgericht (OLG) München mit seinem Urteil am heutigen Donnerstag beantworten wird. Das Landgericht München hatte Pechsteins Schadenersatzforderungen zwar abgelehnt, erklärte aber gleichzeitig die Schiedsvereinbarung für unwirksam. Und die OLG-Richter scheinen das nun ähnlich zu sehen, das ließen sie bereits durchblicken. Die Schiedsgerichtsbarkeit an sich sei zwar eine anerkannte rechtsstaatliche Einrichtung, doch der Cas habe wegen der Monopolstellung der Sport-Verbände strukturelle Defizite. Eine gesicherte Rechtsstaatlichkeit des höchsten internationalen Sportgerichts sei aber unbedingt notwendig, wenn den Athleten grundsätzlich verwehrt wird, vor ein Zivilgericht zu ziehen. Es geht am heutigen Donnerstag also weniger um Pechstein und ihre Schadenersatzforderungen als vielmehr um die Zulässigkeit des im Sport bestehenden Rechtssystems, das vor allem bei Dopingvergehen und Transferstreitigkeiten gefragt ist.
Wie wird es für Pechstein weitergehen?
Lässt das OLG München ihre Klage gegen die Isu (es geht um 4,4 Millionen Euro Schadenersatz) wie erwartet zu, hätte der Weltverband vier Wochen Zeit, vor dem Bundesgerichtshof in Revision zu gehen oder sich mit Pechstein auf einen Vergleich zu einigen.
Wie sehen Sportrechtler das bevorstehende Urteil?
Manch einer, etwa der Heidelberger Anwalt Michael Lehner, sieht den 1984 ins Leben gerufenen Cas in seinen Grundfesten bedroht. Lars Mortsiefer dagegen, Justiziar und Vorstandsmitglied der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada), sieht die Situation gelassener: Der Entwurf des nationalen Anti-Doping-Gesetzes sehe eine gesetzliche Verpflichtung zur Anerkennung der Sportgerichtsbarkeit vor und er glaube nicht, dass sich daran etwas ändern wird – egal wie das Urteil im Fall Pechstein ausfallen wird. Mortsiefer sagt: „Es handelt sich hier ja um einen Einzelfall bezüglich eines Schadensersatzanspruchs, das darf man nicht ausblenden. Wir müssen das Ergebnis abwarten.“ Man müsse die Bedenken der Richter ernst nehmen und die Sportschiedsgerichtbarkeit entsprechend verbessern. „Wir können Regeln infrage stellen, aber an der Institution an sich mit ihrem weltweit einheitlichen System für die Rechtsprechung im Sport sollten wir nicht rütteln.“