DHB-Präsident Michelmann im Interview DHB-Präsident Andreas Michelmann: "Das Siegergen steckt jetzt drin"

Herr Michelmann, welchen Eindruck macht die deutsche Mannschaft bei dieser WM bisher auf Sie?
Einen sehr guten und gefestigten. Sie wurde von Dagur Sigurdsson wieder perfekt eingestellt, wirkt total auf das Turnier fokussiert und hat die Verletzungen wichtiger Stammspieler – wie schon vor einem Jahr bei der EM in Polen – gut weggesteckt.
Damals gewann sie am Ende den Titel – was ist ihr diesmal zuzutrauen?
Wie schon in Polen: Alles! Und das vor allem deshalb, weil wir mittlerweile eine große Breite in der Spitze haben, wir können den Ausfall verletzter Spieler besser kompensieren als früher, und augenscheinlich macht es den Spielern mittlerweile auch wieder richtig Spaß, in der deutschen Nationalmannschaft zu spielen.
Ab wann ist die WM ein Erfolg?
Sie ist es schon dann, wenn ich sehe: Die Mannschaft hat alles gegeben. Du kannst ja Pech haben und einen absoluten Topfavoriten schon im Viertelfinale bekommen, oder Glück, dass du erst im Finale auf ihn triffst. Ich mache das nicht unmittelbar an einer bestimmten Platzierung fest.
Die DHB-Führung hat im Jahr 2013 als Ziel ausgegeben, dass die deutsche Nationalmannschaft bei Olympia 2020 Gold holt. Wie es aussieht, sind Sie ganz gut im Plan…
Wir sind im Soll, vielleicht sogar mehr als das, ein solcher Titelgewinn wie der vor einem Jahr war ja nicht einkalkuliert. Als wir uns damals, obwohl wir bei den Olympischen Spielen weder mit den Männern noch mit den Frauen in London qualifiziert waren, dieses hohe Ziel gesteckt haben und Bob Hanning das auch in der Öffentlichkeit formuliert hat, da klang das doch sehr mutig, für einige absolut verrückt oder sogar anmaßend. Inzwischen klingt es ziemlich realistisch. Wir sind auf Kurs.
Dachten Sie nie, man könnte sich mit einer solchen Vorgabe zu weit aus dem Fenster gelehnt haben?
Nein, nie. Nur wer sich bewusst solch hohe Ziele steckt, kann die Menschen auch emotional hinter sich versammeln.
Andreas Michelmann, geboren am 13. Oktober 1959 in Aschersleben/Sachsen-Anhalt; geschieden, zwei Kinder; studierte Germanistik in Leipzig; seit 1994 für die Wählerinitiative „Die Aschersleber Bürger“ (WIDAB) Oberbürgermeister von Aschersleben; wurde 2010 zum Präsidenten des Handball-Verbandes Sachsen-Anhalt und 2013 zum Vize-Präsidenten des Deutschen Handballbundes gewählt; seit 26. September 2015 DHB-Präsident. (CP)
Der jüngste Aufschwung ist eng mit Dagur Sigurdsson verknüpft, der nach dieser WM das Amt des Bundestrainers aufgeben wird. Könnte es dadurch nicht einen Bruch in der Entwicklung geben?
Zuerst einmal sind wir froh und dankbar für das, was Dagur dem deutschen Handball gegeben hat. Als wir uns 2014 für ihn entschieden, wurde das ja nicht von allen Seiten begrüßt. Inzwischen hat er der Mannschaft ein solches Selbstvertrauen gegeben, dass sie es gegen jede Mannschaft der Welt aufnehmen kann. Das Siegergen steckt da jetzt drin in dem Team, das nimmt der Dagur ja nicht mit, wenn er nach der WM geht.
Stefan Kretzschmar hat vor wenigen Tagen in einem Interview kritisiert, der DHB habe nicht genug um Sigurdssons Verbleib gekämpft…
Wenn ich im Aufsichtsrat des SC DHfK Leipzig säße (in diesem Klub ist Christian Prokop, einer von zwei Wunschkandidaten des DHB für die Sigurdsson-Nachfolge, derzeit noch Trainer, Anm. d.Red.), hätte ich sowas vielleicht auch gesagt. Man sollte nicht immer darauf achten, wer was sagt, sondern wer warum was sagt. Im vorliegenden Fall stehen da Kretzsches begründete Vereinsinteressen dahinter, das ist ja in Ordnung.
In der Sache hat er Unrecht?
Natürlich. Als uns Dagur im Oktober vorigen Jahres eröffnet hat, dass er von seiner Option Gebrauch machen wollte, war schnell klar, dass für uns kaum noch eine Chance bestand, ihn zu halten. Das ist ja kein Zwölfjähriger, sondern ein erwachsener Mann, der genau weiß, was er will. Wer ihn persönlich gut kennt oder zum Beispiel seine Biographie gelesen hat, merkt ziemlich schnell, wie er seinen Lebensplan vorantreibt. Und wenn er mal eine Entscheidung für sich getroffen hat, dann zieht er sie auch durch, das ist ja auch ein Teil seiner Stärke. Trotzdem haben wir natürlich Angebote gemacht und sind dabei so weit gegangen, wie wir es verantworten konnten, aber das konnte ihn nicht umstimmen.
Wer wird neuer DHB-Trainer?
Mittlerweile ist klar, dass der DHB nach der WM bei der Besetzung des Bundestrainerpostens zwischen Christian Prokop aus Leipzig und Markus Baur vom TVB Stuttgart entscheiden wird. Musste die Nachfolgediskussion eigentlich so öffentlich geführt werden?
Wir haben uns ganz bewusst für diese Art von Transparenz entschieden, auch wenn wir schon ahnen konnten, dass das bei dem einen oder anderen für Kritik sorgen würde.
Und wer von beiden soll es denn nun machen ?
Zwei Worte: Kein Kommentar!
Anders gefragt: Was ist der entscheidende Faktor: Die Persönlichkeit oder das Konzept?
Es zählt nur das Gesamtpaket. Und natürlich – das muss man als Verband nun mal im Auge behalten – die damit verbundenen Kosten.
Im Ranking des Europäischen Verbandes steht Deutschland neuerdings auf Platz eins – das hat viel mit den jüngsten Erfolgen der Männer, aber eben auch mit dem Aufschwung der Frauen unter Bundestrainer Michael Biegler zu tun. Wie beurteilen Sie die Entwicklung dort, auch und gerade mit Blick auf die WM Ende dieses Jahres im eigenen Land?
Etwas grundsätzlich vorweg: Mir ist daran gelegen, in Diskussionen und Gesprächen über unsere Sportart mit den gigantisch überhöhten Unterschieden zwischen Frauen- und Männerhandball endlich aufzuhören. Im Übrigen sehe ich uns durch den jüngsten Personalwechsel auf einem sehr guten Weg, auch in Richtung WM, das hat ja schon der sechste Platz zuletzt bei der EM gezeigt, obwohl das ja nur eine Zwischenstation im Projekt WM 2017 war.
Nach Lage der Dinge wird es aber auch von der Frauen-WM keine Bilder im frei empfangbaren deutschen Fernsehen geben – der Vertrag, der das bereits für die laufende Männer-WM verhindert hat, gilt noch bis Ende des Jahres.
Mit unserem System der unverschlüsselten Übertragung über Satellit sind wir weltweit quasi alleine. Wir brauchen aber ein System, das auf der ganzen Welt kompatibel ist. Ich glaube, dass sich ARD und ZDF bei diesem Thema mal bewegen müssen, auch wenn sie das vielleicht viel Geld kostet. Ich freue mich aber über die Diskussion, die mittlerweile auch im politischen Raum über Handballübertragungen geführt wird. Vielleicht führt das ja dazu, dass sich da endlich mal etwas tut.