Bob-Weltmeisterschaft in Winterberg Bob-Weltmeisterschaft in Winterberg: Die drei Muske(l)tiere

Erfurt - Sie sind einfach nicht zu übersehen. Überall in der Leichtathletikhalle des Erfurter Olympiastützpunktes herrscht an diesem Tag emsige Betriebsamkeit. Auf dem Lauf-Oval wuseln Nachwuchsathleten, und gleich neben der Tür donnert einer aus der Werfer-Gilde immer wieder einen Medizinball gegen die Wand. Blickfang aber sind die Hünen an der Weitsprunggrube. Wenn sich Marko Hübenbecker aus der Hocke hochschraubt und seine 108 Kilo mit drei mächtigen Sätzen, sogenannten Schlusssprüngen, jenseits der Zehnmetermarke in den Sand wuchtet, sieht das in der Tat imposant aus. Selbst der Laie erkennt: Hier sind urgewaltige Kraft und explosive Schnelligkeit vereint.
Schattenmänner einer Sportart im Rampenlicht
Dabei sind Hübenbecker und seine Mitstreiter die Schattenmänner einer Sportart im Rampenlicht: Sie sind Anschieber im Bobsport, in dem alles immer nur von den Piloten spricht. Und das, obwohl der Anteil der Hintermänner an deren Erfolg oder Misserfolg unstrittig ist. Die Anonymität haben sie nicht verdient. Sportlich nicht. Und auch sonst nicht. Denn diese Männer haben Charisma.
Hübenbecker beispielsweise ist auch die personifizierte gute Laune. Immer für einen Spaß zu haben. Er hält mit 83,32 Metern den Weltrekord in der nicht ganz ernstzunehmenden Disziplin Handyweitwurf. Nun wirft der 1,99-Meter-Mann - obwohl geschafft nach zwei Stunden intensiver Schinderei - seinem nicht weniger athletischen Trainingsgefährten einen schelmischen Blick zu und fordert ihn heraus: „So Andy, jetzt du, zeig’ mal, dass du das besser kannst.“
Dieser heißt mit komplettem Namen Andreas Bredau. Ist in Großkayna ansässig und startet wie Hübenbecker für den Mitteldeutschen Sportclub. Weil sie zur Bundespolizei gehören, die ihre Schaltzentrale in Thüringens Landeshauptstadt hat, machen sie ihr Training nicht nur abwechselnd in Halle und Magdeburg, sondern auch in Erfurt.
Ab Donnerstag ist Schluss mit lustig. Dann beginnt die Bob-WM in Winterberg. Für Hübenbecker und Bredau ist das der Saisonhöhepunkt. Denn sie gehören zur Mannschaft des Piloten Nico Walther. Beide schieben den Schlitten des 24-jährigen Juniorenweltmeisters an, der in diesem Winter als Newcomer gefeiert wird.
Studium liegt auf Eis
Und noch ein Muskelmann kommt hinzu, flachst mit. Dabei gehört Thorsten Margis zur Konkurrenz. Der Hallenser ist seit diesem Winter der Mann hinter Weltmeister Francesco Friedrich im Zweier. Und er gehört auch zu dessen Viererteam. „Wenn man so viel Zeit wie wir miteinander verbringt, bleiben Freundschaften nicht aus“, sagt Margis, und erzählt, dass die drei nach dem Weltcup in Calgary gemeinsam auch mal Feiern waren. In der heißen Phase im kalten Winter sieht er Hübenbecker und Bredau öfter als seine Freundin Inken. Und auch sein Studium in Merseburg liegt zu dieser Zeit auf Eis, weil er sich ganz auf seine Arbeit in der Eisrinne konzentriert. Ist es da nicht ärgerlich, der große Unbekannte hinter Friedrich zu sein? „Ach, nein“, sagt Margis, „das geht so schon in Ordnung. Die Piloten haben schließlich die meiste Arbeit, das Drumherum würde ich mit meinem Studium gar nicht hinkriegen.“ Der 25-Jährige denkt schon an das Leben nach der Sportkarriere, die ihm bisher mehr gebracht hat, als er sich anfangs erträumen durfte. Als Zehnkämpfer, das weiß Margis, hätte er es nie bis zu einer WM geschafft. Der Schritt vom Leichtathletikstadion in den Eiskanal vor zwei Jahren ist ihm dennoch nicht leicht gefallen. Bereut hat er ihn nie.
Junger Pilot braucht die Schützenhilfe
Auch Bredau hat sich mit seiner anonymen Rolle arrangiert. Der frühere Diskuswerfer weiß ja, dass die Piloten die Arbeit ihrer Anschieber schätzen. In seinem Schlitten vielleicht sogar noch ein wenig mehr. „Normalerweise sagt der Pilot seinem Team, wer was zu tun hat. Bei uns läuft das ein bisschen anders“, erzählt der 30-Jährige. Ihr junger Pilot braucht die Schützenhilfe, auch wenn er als Ex-Rennschlittensportler vorbelastet ist. Der Routinier Bredau, 2011 schon einmal Weltmeister, ist der Bastler im Team. Die Einstellungen am Schlitten, die Präparationen vor Wettkampf und Training verlangen ein besonderes Gespür - das er hat.
Der zweifache Familienvater will gar keine Huldigungen. Was ihn erbost, sind öffentliche Demütigungen durch das Fernsehen. „Ich habe es schon erlebt, dass Anschieber aus dem Bild beordert worden sind,“ schimpft er. Dabei weiß jeder, dass es ohne sie nicht geht.
Kehrseite des Ruhms
Hübenbecker sieht aber auch die Kehrseite des Ruhms. Er erzählt, dass er als frischgebackener Weltmeister 2012 in einem Erfurter Café neben Eisschnelllauf-Ikone Gunda Niemann-Stirnemann gesessen hat. „Sie musste fast im Minutentakt Autogramme geben. Da schlürfe ich dann doch lieber in aller Ruhe meinen Kaffee“, sagt er.
Ein einziges mal war seine Anonymität aufgehoben. Bei Olympia letzten Winter hatte man ihn zum Sündenbock auserkoren. Platz sechs im Arndt-Schlitten wurde an seiner angeblich fehlenden Fitness festgemacht. Dabei wussten alle um die Materialnachteile und die Probleme der Deutschen am Start.
An den Schwachstellen ist in den letzten Monaten hart gearbeitet worden. Die Schlitten sind optimiert, auf den ersten Metern glaubt man sich nun konkurrenzfähiger. Die Stimmung unter den Bobsportlern jedenfalls ist prima. Die Muskelmänner halten es wie Musketiere: Einer für alle, alle für einen. Das soll sich nun auszahlen. (mz)