Zwischen Macho und Softie Zwischen Macho und Softie : Dieser Mann veranstaltet eine Männlichkeitskonferenz

Halle (Saale) - Vierhundert Männer schließen gemeinsam ihre Augen, schnaufen ein, schnauben aus, brummen, stellen sich vor, wie sie durch einen Dschungel streifen, auf der Flucht sind. Breitbeinig stehen sie da, in geduckter Haltung, lassen die Oberkörper wippen, die Arme baumeln, als hätten sie die letzten Evolutionssprünge verpasst. Es riecht nach Schweiß im Konferenzsaal, nach Männerschweiß.
Plötzlich der Ruf: „Ka mate!“ Ich werde sterben! Vierhundert Männer reißen ihre Augen auf, Hände klatschen auf Schenkel, der Haka beginnt, der Kriegstanz der Maori. Sie stampfen mit den Füßen, trommeln sich auf die Brust, strecken Zungen raus, schnaufen, schnauben, brüllen.
400 Männer nehmen an Männlichkeitskonferenz in Berlin teil
„Schau dem Bruder neben dir in die Augen“, sagt der Vortänzer auf der Bühne, „und fühle das Gefühl der Freiheit.“ Ich fühle mich als Eindringling, gefangen in meinem eigenen Rollenbild. Als Mann ohne kriegerische Eigenschaften. Ich meide den Augenkontakt. Ich bin kein Maori. Was will ich hier?
Ich bin bei der „Mannsein - Die Konferenz zu Männlichkeit“ in Berlin, mit Vorträgen von Männertrainern, Alltagsphilosophen, Flirtexperten, alles Buchautoren; Diskussionen über die Folgen traditioneller Männlichkeit, die Notwenigkeit einer Aussöhnung mit dem eigenen Vater, „Mutterchauvinismus“ in Erziehungsfragen, männliche Körperkraft und Seelenenergie. Im Bereich „Männerspielplatz“ wird Langhanteltraining angeboten, es gibt meditative Gruppenübungen, um zu lernen, wie man als moderner Mann in seiner Mitte steht - dazwischen der Haka, der hormonelle Höhepunkt.
Mein Stand nach dem ersten Tag: Unsicherheit, latentes Misstrauen - wozu braucht es eine Männerkonferenz? Warum, denke ich, sind hier Frauen unerwünscht? Haben Männer in der Vergangenheit nicht zu oft nur an sich gedacht? Sind wir uns nicht alle einig darüber, dass Gleichberechtigung ein noch lange nicht abgeschlossener Prozess ist, der Dialogbereitschaft voraussetzt?
Eigene Konferenz: Männer bleiben unter sich
Doch das ist ein Ort, an dem Männer nur aus Männersicht über Männersachen reden, Männerdinge tun. Sie wollen unter sich bleiben, eine Gemeinschaft aus Kerlen sein, keine Konkurrenten. Die Konferenz ist ein „Kräftemessen ohne Schwanzvergleich“, heißt es zur Begrüßung.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die meisten Männer hier haben nichts gegen Frauen, sie sind keine Antifeministen. Sie wollen gefühlvolle Partner sein, verlässliche Väter, aufmerksame Kollegen. Sie sind jung, alt, hetero, schwul. Manager, Studenten, Leute von nebenan. Im Konferenzsaal ziehen diese Männer ihre emotionalen Rüstungen aus, zeigen sich verletzlich, wollen Rat, Verständnis, dazu brauchen sie diese Mischung aus Schutzraum und Steinzeithöhle, ihr „Männerland“.
Männlichkeitskonferenz: Beharren auf Unterschiede zwischen Mann und Frau
Was die Teilnehmer eint, ist ein Beharren auf biologische Geschlechterunterschiede, die von den kulturellen überwogen werden; dazu eine Verlustangst, dass Männlichkeit abgeschaltet werden könnte wie ein Kohlekraftwerk. Weil sie als rückständig gilt, toxisch, schädlich für die Gesellschaft.
Vierhundert Männer bekommen hier praktische Lebenshilfen („Redet endlich über eure Probleme“), hören Erfahrungsberichte („Fremde Frauen trauen mir nicht zu, mein Kind richtig herum in den Kinderwagen zu legen“), manches ist gekoppelt an politische Forderungen („Wir brauchen mehr männliche Erzieher“) und immer wieder gibt es subtile Einladungen, an Spiritualität zu glauben, an das innere Kind, die vier Archetypen des Mannes: König, Krieger, Magier, Liebhaber. „Wir wagen es“, hatte John Aigner bei seiner Eröffnungsrede gesagt, „die Vielfalt einzuladen.“ Und: „Lasst uns Männer sein, die ganz Mensch sind.“
Aigner macht Männerarbeit, er ist Männercoach, Mentor, Typ großer Bruder, kinderlos. Er hat die MALEvolution mitgegründet, die Dachorganisation der Männerkonferenz; es ist die größte in Europa, sie fand nun zum sechsten Mal statt.
Ehemaliger Modefotograf organisiert Männlichkeitskonferenz in Berlin
Aigner war mal ein gefragter Modefotograf, GQ, Elle, Bunte, er hatte einen Auftritt bei „Germany’s Next Topmodel“. Fotografie, sagt er, sei Kommunikation und Realitätsflucht gewesen. Die Realität änderte sich, als ein Auto ihn erfasste: Schädelhirntrauma, fünf Wochen Koma, Überführung von Los Angeles nach Berlin, wo er seit fünfzehn Jahren lebt. „Eigentlich“, sagt er bei unserem ersten Treffen, „war ich tot.“ Der Unfall war eine Art Initiation, so sieht er das, ein ritueller Übergang in ein zweites Leben. Er habe dadurch mehr gewonnen als verloren. „Ich bin jetzt in der Bonusrunde.“ Aigner hatte schon vorher beschlossen, sein Alter nicht mehr in Jahren zu messen. Er sieht aus wie Mitte vierzig, mag Jeanshemden.
Aigner war immer da, wenn ein Mann mit ihm reden wollte. Freunde und Bekannte vertrauten ihm ihre Sorgen an, sprachen über Beziehungsprobleme, Kränkungen, sexuelle Frustration, die innere Zerrissenheit zwischen Arbeit und Familie, abwesende Väter. Aigner spricht von „Funksprüchen aus der Männerwelt“, die er abhörte, sammelte, in ihnen Muster erkannte, diese mit eigenen Erfahrungen verknüpfte: Vaterkonflikt, kaum männliche Mentoren, Sehnsucht nach Gemeinschaft, Grenzerfahrungen, Natur.
Aigner las Bücher, die an seine Ausbildung zum Jugendgruppenleiter andockten, sein Studium der Sexualwissenschaft und Psychologie vertieften. Er entwickelte eine Therapietechnik, die er „Male Depth“ nannte, die sich mit der Tiefe der Männlichkeit beschäftigt, einen archaischen Kern herausschält und Männer mit der „ganzen Bandbreite der Gefühle“ vertraut macht.
John Aigner arbeitet als Männercoach
Aigner begann als Männercoach zu arbeiten. Im Grunde kann das jeder. Coaching ist kein geschützter Begriff, es gibt über zwanzig Berufsverbände. Es ist eine boomende Branche, mit Männerproblemen kann man Geld verdienen. Wochenendseminare kosten ein paar Hundert Euro. Aigner bietet Einzelcoachings an, die ein Jahr dauern können, und Seminare, die „Ketten sprengen“ (drei Tage für 349 Euro) oder „Cosmic Sex“ (fünf Tage für 850 Euro) heißen; es geht um emotionale Hemmschwellen oder heilsame Masturbation.
Immer im Dezember fährt Aigner mit einer Männergruppe nach Thailand: reden, zuhören, klettern, schwimmen, Feuer machen, Motorrad fahren, ringen am Strand. „Der Ausgangspunkt ist“, sagt er, „wir sind Männer, wir sind froh darüber, wir feiern das Mannsein und fragen uns: Welche Chancen liegen darin?“
Erfüllte Männer sind Gewinn für Beziehungen
Erfüllte Männer sind empathisch, so sieht er das, ein Gewinn für alle zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Spaltung der Gesellschaft verortet er nicht zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen Männern und Frauen, die ihre Geschlechterrollen nicht reflektieren, nicht widersprechen, wenn es heißt: So isser, der Mann. Die Männlichkeitsskala, denke ich, reicht nicht mehr von Macho bis Softie, beides schließt sich nicht aus. Aigners Männer wollen weinen und wüten zugleich. Sie wollen nicht als überforderte Trottel verspottet, diskriminiert werden wie in dem Edeka-Werbespot zum Muttertag, als ein Kind sagt: „Danke Mama, dass du nicht Papa bist.“
Abgeschiedenheit und Ausgrenzung sind zwei Möglichkeiten, sich selbst zu definieren, und eine Männermode, nachdem der amerikanische Lyriker Robert Bly vor dreißig Jahren Grimms „Eisenhans“ in eine Bestsellerparabel der Mannwerdung verwandelt hatte. Aus dem Märchenstoff leitete Bly vier Archetypen des Mannes ab, erkannte einen „primitiven, haarigen“ Kern. Das Buch löste eine Bewegung aus, Männer zogen sich trommelnd und meditierend in die Wälder zurück, um ihre Männlichkeit zu vermessen. Sie erfanden neue Initiationsriten, bestanden alte Mutproben. Männer fühlten sich auf einmal als eine in ihrem Wesen unterdrückte Minderheit, einige wurden zu frauenfeindlichen Männerrechtsaktivisten.
Aigner organisiert Eisenhanscamps, man kann sie nur auf Empfehlung buchen. Teilnehmer schweigen über die Inhalte. Man müsse, sagen sie, es schon selbst erleben.
John Aigner organisiert Runden speziell für Männer
Bei unserem dritten Treffen begrüßt mich Aigner wie einen alten Freund. Wir umarmen uns, vier, fünf, sechs Sekunden lang. Seine Männer tun das auch mal eine Minute lang, sie streicheln sich gegenseitig über den Rücken, reden oder ringen miteinander, nehmen sich in den Arm oder in den Würgegriff, sie geben sich Halt oder eine Massage. Wie beim Männerpicknick.
An einem Abend im August sitzen dreißig Männer auf Decken, haben Bier, Weintrauben, Selbstgebackenes mitgebracht, niemand rührt meine Chips an. Einmal im Monat kommen sie zusammen. Aigner nennt das Sozialabgleich. Zur Begrüßung sagt er: „Das ist eine unmoderierte Sache hier, es hängt von dir ab, ob du Hallo sagst und Männergespräche führst, die vielleicht etwas tiefer gehen, als du es sonst gewohnt bist aus deinem Leben.“ Und dann reden wir. Über Sorgen, Ängste, Autos, Männerhandtaschen. Fremde werden vertraut, es entstehen Freundschaften für einen Abend.
Männerarbeit, dachte ich, das ist Stahlkochen oder Presslufthämmern. Als ich das Picknick verlasse, weiß ich: Es ist ein Gesprächsangebot für Männer, die gelernt haben zu schweigen, Dinge zu ertragen, aus Angst, Schwäche zu zeigen, zu scheitern an einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung, an sich selbst. (mz)
John Aigner im Netz: http://mannsvolk.net/johnaigner