Wissenschaft Wissenschaft: Vor 25 Jahren wurde das erste Retortenbaby geboren

London/dpa. - Einst galt sie als medizinisches Wunder - Louise Brown, das erste Retorten-Baby. Als sie am 25. Juli 1978 geboren wurde, meinten viele Wissenschaftler, künstliche Befruchtung werde immer nur eine Ausnahme-Erscheinung bleiben. Sie haben sich gründlich geirrt: 25 Jahre später leben nach Auskunft des Bundesverbandes reproduktionsmedizinischer Zentren allein in Deutschland etwa 100 000 Retorten-«Babys».
Weltweit hat die Reproduktionsmedizin Hunderttausenden von Paaren, die sonst kinderlos geblieben wären, ihren oft sehnlichsten Wunsch erfüllt. Dennoch sehen viele Pioniere der Fruchtbarkeitsforschung die Entwicklung heute kritisch. Im Nachhinein geben manche sogar den Kirchen Recht, die 1978 gewarnt hatten, es werde ein Geist aus der Flasche gelassen, dem nie mehr Herr zu werden sei.
Professor Robert Edwards, der 1978 zusammen mit dem Gynäkologen Patrick Steptoe das erste menschliche Leben aus der Petrischale geschaffen hatte, betrachtet die heutigen «Babyfabriken» mit Entsetzen. «Seit sich die künstliche Befruchtung ausgebreitet hat, ist sie zum pharmazeutischen Unfug verkommen», meint er. Den Frauen würden viel zu hohe Hormondosierungen verabreicht. Phänomene wie die Leihmutterschaft habe er in keiner Weise vorausgesehen.
Robert Winston, Professor für Fruchtbarkeitsstudien, Lord im Oberhaus und beliebter Wissenschaftsjournalist des britischen Fernsehens, wirft vielen Privatkliniken «kommerzielle Ausbeutung der schlimmsten Art» vor. Sorgen macht ihm auch die in Großbritannien verbreitete Praxis, Embryonen vor der Verpflanzung einzufrieren. Die möglichen Folgen könnten nicht abgeschätzt werden.
Noch weit umstrittener sind die in den USA gar nicht mehr so ungewöhnlichen «Designer-Babys»: Dabei wählen die Ärzte nach einer künstlichen Befruchtung einen Embryo mit bestimmten Merkmalen aus. Manche Eltern, deren erstes Kind todkrank ist, sehen darin den einzigen Weg, dessen Leben zu retten: Das «selektierte» Geschwisterchen soll zum Beispiel geeignete Stammzellen aus der Nabelschnur für eine Transplantation spenden. Kritiker sprechen von «menschlichen Ersatzteil-Lagern», von «Kannibalismus». Die Eltern fragen zurück, ob die Kritiker auch so hart urteilen würden, wenn es um das Leben ihres eigenen Kindes gehen würde.
Mittlerweile wird sogar erforscht, ob sich die Eizellen abgetriebener Babys für künstliche Befruchtungen nutzen lassen. Die biologische Mutter so gezeugter Kinder wäre dann nie geboren. «Wir machen vor fast nichts Halt», sagt der Londoner Fruchtbarkeitsmediziner Sammy Lee selbstkritisch. «Ist denn gar nichts mehr heilig?» fragt die konservative Zeitung «Daily Mail».
Bei all dem verwundert es nicht, dass an Louise Brown kaum noch jemand interessiert ist. So ungewöhnlich ihre Entstehung war, ihr Leben ist es nicht. Am bezeichnendsten ist vielleicht noch, was sie selbst über das Kinderkriegen sagt. Mit 18 Jahren wollte sie noch unbedingt welche, «koste es, was es wolle». Heute ist sie sich da nicht mehr so sicher.