Wieder Ermittlungen an Odenwaldschule Wieder Ermittlungen an Odenwaldschule: Früher Missbrauch, heute Kinderporno-Besitz?

Berlin/MZ - Vor vier Jahren erst wurde der systematische sexuelle Missbrauch ehemaliger Schüler der Odenwaldschule durch ihre Lehrer bekannt. Jetzt ist das Internat im hessischen Ober-Hambach mit einem weiteren Skandal konfrontiert. Gegen einen Lehrer der Schule wird wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie ermittelt. Bereits vor knapp zwei Wochen durchsuchten Polizeibeamte die Wohnung des Lehrers für Mathematik, Chemie und Physik. Erst am Sonnabend vergangener Woche machte die Schulleitung den Vorfall öffentlich. Eine Sprecherin teilte mit, dem Lehrer sei fristlos gekündigt und ein Hausverbot erteilt worden.
Aufgedeckt wurde der Fall demnach durch einen Hinweis australischer Behörden, die gegen einen Kinderporno-Ring ermittelten. Sie waren auf die Internetadresse des Lehrers aufmerksam geworden. Die Schulleitung erklärte am Sonnabend, die Eltern der Odenwaldschüler seien umgehend über die Vorwürfe gegen den Lehrer informiert worden. Die Öffentlichkeit dagegen erreichte die Nachricht erst mit zehn Tagen Verspätung. Der Mannheimer Morgen hatte am Sonnabend über die Hausdurchsuchung berichtet, bei der Dateien sichergestellt worden seien.
Schule: Bislang kein Hinweise, dass Schüler zu Schaden gekommen sind
Die Präventionsbeauftragte der Schule, Regina Bappert, erklärte am Wochenende, es gebe keine Hinweise darauf, dass Schüler zu Schaden gekommen seien. Sollte sich in Gesprächen nach den Osterferien etwas anderes herausstellen, werde auch dies den Ermittlern sofort mitgeteilt, versicherte sie.
Die Odenwaldschule will offenbar den Eindruck vermeiden, dass sie die Aufklärung eines weiteren Skandals verzögert. Bereits 1999 hatte die Frankfurter Rundschau Berichte eines ehemaligen Schülers über Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule veröffentlicht. Der Schüler, Andreas Huckele, hatte die Odenwaldschule von 1981 bis 1988 besucht. In seinem Bericht beschuldigte er den damaligen Schuldirektor Gerold Becker, in den 70er und 80er Jahren mehrere Schüler sexuell missbraucht zu haben.
Aufarbeitung der Missbrauchsfälle erst im Jahr 2010
Huckele hatte sich schon ein Jahr zuvor in zwei Briefen an den damaligen Rektor Wolfgang Harder gewandt. Als weitere ehemalige Schüler den Bericht Huckeles bestätigten, legte der beschuldigte Gerold Becker seine Funktionen und Aufgaben im Trägerverein und im Förderkreis der Odenwaldschule nieder.
Zu einer Aufarbeitung der Missbrauchsfälle kam es jedoch erst im Jahr 2010, als die damalige Schulleiterin Margarita Kaufmann eine erneute Untersuchung der Fälle anstrengte. Erst im März 2010 gab Gerold Becker sexuelle Verfehlungen zu und bat die Betroffenen um Entschuldigung. Becker starb im Juli 2010. Im selben Jahr gründete sich der Verein „Glasbrechen“ als Vertretung der Betroffenen. Der Vorsitzende des Vereins, Adrian Koerfer, fordert nun eine Schließung der Schule, vor allem aber der familienähnlichen Wohngruppen, in denen sechs bis zehn Schüler von inzwischen zwei Lehrern betreut werden. „Die Missbrauchsmöglichkeiten an der Odenwaldschule sind systemimmanent“, erklärte Koerfer dem Mannheimer Morgen, „und die Täter suchen sich solche Orte immer ganz genau aus.“
Schulschließung gefordert
Adrian Koerfer plädiert dafür, alle derzeitigen Schüler der Odenwaldschule noch bis zu ihrem Abschluss zu betreuen und die Schule dann „tatsächlich zu schließen“. Es könne keine Rede davon sein, dass die Schüler von dem Kinderporno-Verdacht gegen ihren Lehrer nicht betroffen seien, so Koerfer. Schließlich habe der Lehrer mit ihnen gelebt. „Ob er sie anfasst oder nicht.“
Der Rechtsanwalt der Opfer, Thorsten Kahl, schloss sich Koerfers Forderungen an. Schon vor vier Jahren hätte man einen Schlussstrich ziehen müssen, erklärte Kahl. Auch seine Mandanten seien damals für eine Schließung der Schule gewesen.