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«Was bin ich für ein Wesen?» «Was bin ich für ein Wesen?»: Kölner Prozess lenkt Blick auf Zwitter

Von Yuriko Wahl 12.12.2007, 14:53

Köln/dpa. - Sie hat das Gesicht eines Mannes und sie spricht wieein Mann, doch sie fühlt sich eher wie eine Frau. «Ich habe mich meinLeben lang gefragt: Was bin ich eigentlich für ein merkwürdiges Wesen- innerlich war ich immer auf der Flucht», sagt Christiane V., dieoffiziell Thomas heißt. Die Medizin bezeichnet sie als intersexuell.Seit Mittwoch klagt die 48 Jahre alte Krankenpflegerin vor dem KölnerLandgericht gegen einen Chirurgen, der ihr vor 30 Jahren intakteEierstöcke und Gebärmutter entfernte. Ihre Forderung: 100 000 EuroSchmerzensgeld. Mit ihrem Prozess lenkt die Klägerin den Blick aufdas noch weitgehend unbeachtete Schicksal vieler anderer Zwitter.

Unterschiedlichen Schätzungen zufolge leben bis zu 100 000intersexuelle Menschen in Deutschland. Nach Angaben vonSelbsthilfegruppen werden fast alle Betroffenen mit uneindeutigenGenitalien schon im Babyalter operiert, haben aber später oftIdentitätsprobleme, leiden unter psychischen und physischenProblemen. Für zwischengeschlechtlich Geborene könne es der völligfalsche Weg sein, eine eindeutige Geschlechtsidentität zugewiesen zubekommen, sagt die Sprecherin des Vereins Intersexuelle Menschen.

Christiane kämpft seit Monaten darum, im Personenstandsregisterals weiblich eingetragen zu werden - in ihrem Pass steht Thomas V.«Die Behörden stellen sich quer und behandeln mich wie einenTranssexuellen», kritisiert die Krankenpflegerin am Rande desProzesses. Bei ihrer Geburt wurde sie als männlich identifiziert,weil die Klinik damals eine vergrößerte Klitoris fälschlicherweisefür einen Penis gehalten hatte. Damit begann ihre Tragödie.

«Ich habe schon als Kind gespürt, dass ich ein Mädchen bin», sagtChristiane. Sie glaubt, dass es vielen Intersexuellen ähnlich geht.Aber sie wurde als Junge großgezogen, bekam Hormonpräparate, littunter mehreren Krankheiten und hörte viel zu früh auf zu wachsen. Bisheute schmerzen ihre Knochen. «Bei mir sind so viele fatale Fehlergemacht worden und falsche Diagnosen gestellt worden, es ist eineeinzige Katastrophe.» Der größte Fehler sei aber gewesen, dass ihrder Chirurg im Alter von 18 Jahren ohne Aufklärung intakteGebärmutter und Eierstöcke entfernt habe. Weitere Eingriffe habe siespäter über sich ergehen lassen, um aus ihrem Genital einen normalenPenis zu machen, was nicht gelungen sei.

Biologisch sieht sich Christiane unumkehrbar und gegen ihrenWillen zum Mann gemacht. Der Anwalt des Arztes weist alle Vorwürfezurück. Das Kölner Landgericht steht vor einem ungewöhnlichen undvöllig beispiellosen Fall. «Soll ich Sie als Herr oder Frauanreden?», fragt der Vorsitzende Richter Dietmar Reiprichzuallererst. Weil Akten fehlen und der lang zurückliegende Fall kaumrekonstruierbar erscheint, macht er der Klägerin zunächst wenigHoffnung auf einen Sieg. «Wir müssen das juristisch bewerten - dasmenschliche ist eine ganz andere Sache.»

Die Klägerin will - unabhängig vom Prozessausgang - Menschen mitähnlichem Schicksal Mut machen. «Ich bin seit 30 Jahren isoliert,einsam und habe nicht gewusst, was ich überhaupt bin und in welcheSchublade ich passe.» Es sei wichtig, sich aktiv mit seinem Schicksalauseinanderzusetzen. «Ich hoffe, dass andere Betroffene meinemBeispiel folgen.»