USA USA: Ungewöhnliches «Klassentreffen» auf Alcatraz

San Francisco/dpa. - «Jetztwerden wir wie Prominente hofiert», grinst der ergraute 73-Jährige.Für das ungewöhnliche «Klassentreffen» am Sonntag hat er sich ineinen grauen Anzug geworfen und Goldringe angesteckt. 1959 wurde derhartgesottene Bankräuber und Ausbrecherkönig auf das Eiland verbannt,das von 1934 bis zur Schließung 1963 als das ausbruchsichersteZuchthaus Amerikas galt. Nun schäkert er mit früheren Wärtern,tauscht alte Geschichten aus und verteilt Autogramme an Touristen.
Zum ersten Mal trafen sich frühere «Alcatraz»-Bewohner im August1984, um den 50. Jahrestag der Gefängnisgründung zu begehen. Indiesem Jahr reiste der 83-jährige John Banner eigens aus Arizona an,um seine alte Zelle zu inspizieren. Nach mehreren Banküberfallenlandete er 1954 als Häftling Nr. 1133 in dem Hochsicherheitsknast. Erzeigt auf eine verrostete Gittertür in der zweiten Etage desmonotonen Zellenblocks. «Das war meine Zelle, mit Blick auf dieStadt». Sechzehn Stunden habe er jeden Tag auf der harten Pritschegelegen und sei dabei fast durchgedreht, erzählt er heute ganzgelassen. Nach vier Jahren wurde er in ein anderes Gefängnis verlegt.
«29 Tage im Block D, in einer bitter-kalten Dunkelzelle ohne einenLichtstrahl», sind Coons schlimmste Erinnerung. Er war mit einemMesser erwischt worden, dass er sich zur Selbstverteidigung besorgthatte, packt er bereitwillig vor einer Gruppe neugieriger Besucheraus, die mit leichtem Schauder zuhören. Frank Heaney kennt die altenStorys. Der heute 79-Jährige schob mit 21 Jahren als jüngster Wärterauf der Insel-Festung seinen Dienst. Damals hielt er die Männer miteinem Maschinengewehr in Schach, heute verteilt er freundlicheKlapse. «Sie haben ihre Strafe verbüßt und ihr Leben in Ordnunggebracht. Sie sind jetzt meine Freunde», versichert der pensionierteAufpasser.
Banner und Coon waren Schwerverbrecher, aber keine Mörder, wieihre berüchtigten Mitbewohner, Al Capone, George «Machine Gun» Kelly,Alvin «Creepy» Karpis oder Robert Stroud, der legendäre Vogelmann vonAlcatraz. «Ich war sprachlos und voller Ehrfurcht, als ich mit 17 vorder Zelle vom Birdman stand», erinnert sich Phil Dollison, der alsSohn des stellvertretenden Gefängnisleiters zehn Jahre auf der Insellebte. Kindern war der Zugang zu den Zellen strikt untersagt, aberder Vater hatte eine Ausnahme gemacht. «Angst hatten wir eigentlichnicht», sagt der 69-Jährige über das Leben im Schatten des Knasts. 60Familien wohnten auf der schroffen Insel mit dem «schönsten Blick derWelt».
Er erinnert sich aber noch an die «aufregende Suche» nach dreigeflohenen Häftlingen, die 1962 durch die Wände ihrer Zellen einenTunnel gruben und in einem selbst gebauten Schlauchboot entkamen. Dadie Ausbrecher an Land keinerlei Spuren hinterlassen hatten, wurdeangenommen, dass sie den gefährlichen Strömungen in der Bucht zumOpfer gefallen waren. Coon, der die Ausbrecher mit Werkzeugenversorgt hatte, traut ihnen aber insgeheim zu, dass sie es ans Uferschafften und dann schnell untertauchten.
Alcatraz lebt heute vor allem von seinem Mythos, berühmt durchGangstergeschichten und Abenteuerkrimis mit Filmstars wie ClintEastwood und Burt Lancaster. Mit über einer Million Besuchern im Jahrzählt «The Rock» zu den beliebtestens Touristenattraktionen inKalifornien.
Coon erlebte 1963 die Schließung des Gefängnisses mit. DieBetriebskosten waren zu hoch geworden, die Lebensbedingungen alsunmenschlich unter Beschuss gekommen. Jeder sollte sich diesen Ortzur Abschreckung anschauen, empfiehlt der frühere Häftling. Er wohntjetzt in San Francisco, nur wenige Blocks von dem Hafen-Pierentfernt, wo täglich die Fähren nach Alcatraz ablegen. «Es isteindeutig besser, von hier auf die Insel zu schauen, als umgekehrtder Blick aus der Zelle auf die Stadt».