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USA USA: Ort Gilchrist ist nach Hurrikan «Ike» verschwunden

Von Gonzalo Espáriz 17.09.2008, 09:51
Eine Orgel wurde durch den Hurrikan «Ike» aus der Kirche in Crystal Beach, Texas, geschleudert. (Foto: dpa)
Eine Orgel wurde durch den Hurrikan «Ike» aus der Kirche in Crystal Beach, Texas, geschleudert. (Foto: dpa) EPA

Gilchrist/Houston/dpa. - Das Naturschauspiel kann aber kaumdarüber hinwegtrösten, dass Hurrikan «Ike» von dem Touristenort mitbisher 750 Einwohnern südöstlich von Houston so gut wie nichts mehrübrig gelassen hat.

Nur einige wenige Gebäude haben der Kraft des Sturmsstandgehalten, aber auch sie sind schwer beschädigt. Die anderen etwa200 Häuser des Ortes sind spurlos verschwunden. Sie wurden vomHurrikan mit Windgeschwindigkeiten von 175 Kilometern pro Stunde undriesigen Wellen mit einer Höhe von bis zu acht Metern weggerissen.

Es sind keine Telegrafenmasten mehr zu sehen und auch keineFundamente. Auch Verkehrs- und Straßenschilder sind weg. Nur noch dasNavigationsgerät im Auto verrät, dass es rechter Hand einmal in dieStraßen Paisley, Mabry oder Van Zant ging. Der Ort, an dem sich bisvor kurzem Gilchrist befand, ist nur noch eine große Brachfläche mitviel Sand, viel Gestrüpp und viel Wasser.

Den Ort umgab im Umkreis von 20 Kilometern bis zur vergangenenWoche eine idyllische Landschaft, in der Kuhherden weideten. Nungleicht die Gegend eher einem immensen Reisfeld. Einige Cowboysversinken bis zur Hüfte im Schlamm, während sie versuchen, dassichtlich geschockte Vieh zu retten. Nachts sind streunende Kaimanedie Herren der überfluteten Weiden. Die Reptilien greifen sogarRettungsfahrzeuge auf den halb unter Wasser stehenden Zugangsstraßenan.

«Es ist alles in den Golf von Mexiko oder in die Bucht gefegtworden», erklärt Aaron Reed, der Sprecher der Behörde des US-Bundesstaates Texas für Nationalparks. Unter normalen Umständen ister mit ganz anderen Aufgaben beschäftigt, aber wegen des Hurrikanssind seine Motorboote für Rettungsaufgaben abgestellt worden.

Mit Hilfe der flachen, für sumpfige Gewässer geeigneten Boote sindschon 30 Überlebende aus dem äußersten Südosten der Bucht vonGalveston, etwa 100 Kilometer von Houston entfernt, in Sicherheitgebracht worden. Allein am Montag waren es vier Mitglieder einerFamilie, die sich mit ihren Hunden und Katzen ins Dachgeschoss ihresunter Wasser stehenden Hauses geflüchtet hatten.

Von den Bewohnern von Gilchrist ist nichts mehr zu sehen. DieBehördenvertreter beten, dass sich alle rechtzeitig in Sicherheitgebracht haben. Aber insgeheim wissen sie, dass hier genauso wie inallen anderen der von «Ike» heimgesuchten Gebiete ein Rest vonDickköpfen vermutlich zurückgeblieben ist. Ihre Überlebenschancenwaren gleich null: «Uns sind Fälle von Vermissten bekannt. Wenn dasWasser zurückgeht, werden wir vermutlich einige Leichen finden», sagtReed.

Die größten Befürchtungen hatten die Behörden für Galveston, woder Hurrikan in der Nacht zum Freitag der vergangenen Woche auf Landtraf. Doch am schlimmsten sind die Verwüstungen und Schäden auf derHalbinsel Bolívar. Gilchrist ist völlig zerstört, in High Island sindviele Häuser beschädigt, und die örtliche Tankstelle steht eineinhalbMeter tief unter Wasser.

Zum Rest der Halbinsel sind bisher nur Rettungsmannschaftenvorgestoßen. Und sie berichten von weiträumigen Zerstörungen. «InCrystal Beach stehen nur noch einige wenige Häuser, und auch in PortBolivar hat es schwere Schäden gegeben», berichtet Reed.

In Gilchrist ist es schon tiefe Nacht, als sich plötzlich in derFerne die Scheinwerfer eines Fahrzeugs abzeichnen. Es nähert sich ausSüdwesten, aus einer Richtung, aus der es eigentlich nichts kommendürfte. Denn die Brücke, die dort die beiden Teile der Halbinselverbindet, ist weitgehend zerstört. Aber Bobby Anderson hat es dochirgendwie geschafft, seinen Kleinlastwagens in der Dunkelheit überdie Brückenreste zu steuern. Der Überlebende des Hurrikans isthungrig und durstig, nachdem er sich tagelang nur von rohem Fleischund dem Kondenswasser des Kühlschranks ernährt hat.

Der 56-jährige Maurer berichtet, dass ihn während des Sturms eineRiesenwelle ins Meer spülte. Er schaffte es jedoch, zum Haus einesNachbarn zu schwimmen. Dort verkroch er sich, bis sich der Sturmgelegt hatte. Eine Begleiterin schaffte es nicht bis zu dem Haus undgilt nun als vermisst. Aber darüber will Anderson nicht sprechen.Stattdessen zieht er über die Rettungsmannschaften her, die ihm vordem Sturm Lebensmittel verweigerten, um ihn zum Gehen zu animieren.Und warum blieb er trotz der Warnungen? «Mir gefiel die Vorstellungeinfach nicht, dass ich von einem Ort zum nächsten geschickt werdensollte, ohne zu wissen, wo ich gerade bin», sagt Anderson. In seinemHeimatort ließ er etwa 20 Nachbarn und Freude zurück, die sich in dieKirche von Crystal Beach geflüchtet hatten. «Ich hoffe, dass ich siewiedersehe», sagt Anderson.

Vor diesen drei Häuser im texanischen Ort Gilchrist führte vor dem Hurrikan «Ike» ein Highway lang. (Foto: dpa)
Vor diesen drei Häuser im texanischen Ort Gilchrist führte vor dem Hurrikan «Ike» ein Highway lang. (Foto: dpa)
EPA