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USA USA: Im Haus der gefrorenen Leichen

Von Laszlo Trankovits 22.09.2005, 08:55
Der Sitz der Firma Alcor, der «Stiftung für Lebensverlängerung» in Scottsdale, Arizona. (Foto: dpa)
Der Sitz der Firma Alcor, der «Stiftung für Lebensverlängerung» in Scottsdale, Arizona. (Foto: dpa) Alcor Life Extension Foundation

Phoenix/dpa. - Denn wenn der «Kunde»endlich das Zeitliche segnet, muss alles sehr schnell gehen. So raschwie möglich muss der Tote in die Zentrale von Alcor, der «Stiftungfür Lebensverlängerung» in Scottsdale (Arizona) transportiert werden.Möglichst früh soll der Leichnam in Eis gelegt und gefroren werden.

«Nur wenn wir rasch handeln, alle Flüssigkeiten des Verstorbenenrechtzeitig entfernen und ihn dann mit flüssigem Stickstoff füllen,könnten Schäden an Zellstruktur und Gehirn minimiert werden», betontAlcor-Mediziner Michael Perry nüchtern. Alcor steht seit über 30Jahren für das Geschäft mit der bizarren Hoffnung auf ein Leben nachdem Tod. Sie nennen sich Kryoniker - Kryos bedeutet auf griechischKälte - und lassen sich einfrieren.

Alcor-Gründer Fred und Chamberlain war fest davon überzeugt, dasser einen uralten Menschheitstraum verwirklichen kann: die Hoffnungauf Unsterblichkeit. Die Kunden des größten Unternehmens derKryoniker-Branche lassen sich nach ihrem Ableben einfrieren - um aneinem fernen Tag, «an dem die Wissenschaft unheilbare Krankheiten wieAids oder Krebs besiegt hat und Zellen wiedererwecken und zum Wachsenbringen kann, wieder ein neues Leben zu beginnen», erläutert TanyaJones, Chefin des operativen Alcor-Geschäfts. Über 1000 Menschentragen in den USA das schwarze Plastikarmband von Alcor, auf dem -bei plötzlichem Tod - Ärzte und Polizisten aufgefordert werden,umgehend Alcor anzurufen. Jedes Jahr werden zwischen sechs und zwölfKunden ganz oder teilweise eingelagert für die besseren Zeiten.

Die schlichte Alcor-Zentrale an der staubigen Ausfallstraße vonScottsdale nahe Phoenix signalisiert herzlich wenig von demvisionären Projekt. Herzstück ist der Kühlraum, wo in vier Meterhohen, grau-glänzenden Stahlkanistern 19 Leichen und 50 Köpfe lagern.80 000 Dollar haben es sich die Enthaupteten kosten lassen, dass ihrKopf aufgehoben wird, 150 000 Dollar zahlen jene, die mit ihremganzen Leib bei minus 196 Grad Celsius konserviert werden wollten.«Manche lassen nicht wegen des Preisunterschieds ihren Kopfeinfrieren, sondern weil er nach heutiger Technik am besten zukonservieren ist und sich viele in ihrem neuen Leben auch einen neuenfrischen Körper wünschen», erklärt Tanya Jones.

Einträchtig liegen in den mächtigen Blechröhren Mensch und Tierzusammen: Denn manche Amerikaner haben ihre Hunde und Katzen(insgesamt 29) einfrieren lassen, damit sie gemeinsam mit ihrenFrauchen und Herrchen einmal zu neuem Leben erweckt werden können.

Der Ort der versprochenen Wiederauferstehung ist nüchtern bisleicht verschroben. Neben dem Kühlraum mit den zehn gigantischenBlechfässern voller Leichen, Köpfen und Haustieren befindet sicheines der Laboratorien. Der karge Raum wirkt wie eineZukunftswerkstatt in einem nicht sehr aufwendig gedrehten Science-Fiction-Film aus den 70er Jahren. Ein blechernes Gerät, das aussiehtwie ein überdimensionaler Kanister, ächzt und stöhnt. Aus einemkleinen Auspuff entweichen alle paar Sekunden winzige WölkchenWasserdampf. Auf dem Betonboden stehen Kübel mit Chemikalien. An denWänden verlaufen schmale Metallröhren in verschiedenen Farben. Aufeinem wackeligen Tisch steht ein mächtiger, etwas altmodischerComputer.

Eine Raum weiter befinden sich der schlichte Operationsraum, indem auf einem OP-Tisch die Leichen präpariert werden. Schnelligkeitheißt der Schlüssel für den Erfolg: Kryniker meinen, dass das dasGedächtnis eines Menschen bis zu 24 Stunden nach dem Herzstillstandbewahrt werden könne. «Die Logistik und der Transport sind zentraleHerausforderungen für uns», berichtet Bill Voice, einer der Expertendes zwölfköpfigen Alcor-Teams in Scottsdale. Im Durchschnitt dauertes keine 17 Stunden, bis der Leichnam eines Alcor-Kunden im OP-Saaldes Hauses landet. Damit nicht nur Amerikaner in den Genuss derKryoniker-Kunst kommen, plant Alcor künftig Australier oder Briteneingefroren in die USA transportieren zu lassen.

Sobald die Toten im OP-Raum liegen, werden die Körperflüssigkeiten- vor allem Blut - entfernt und durch eine Art Frostschutzmittelersetzt. Mediziner und Techniker arbeiten hier Hand in Hand, um dieKörper auf die große Reise durch die Zeit vorzubereiten. Danachwerden die Körper in die Stahlkanister verfrachtet. Noch nie haben,glaubt man Alcor, Journalisten bei dieser Prozedur zusehen dürfen.

Im Arbeitszimmer von Ausbildungschef Voice liegen lebensgroße,rosa Puppen. Sie dienen zum Training für die Alcor-Teams, damit siemit den Toten möglichst sachgerecht umgehen. Denn Alcor-Mitarbeitermüssen Spezialisten sein: «Vor allem das sachgerechte Abtrennen desKopfes ist eine heikle Angelegenheit», so der freundliche, gemütlichwirkende Fachmann für den sachgerechten Umgang mit Leichen.

Wissenschaftler halten die Kryoniker mehr oder minder für Spinner.«Das ganze scheint im Grunde kaum mehr zu sein als Hokuspokus»,meinte der Neuropathologe Prof. Michael Norenberg (University ofMiami). Zwar werden schon seit langem Spermien, Eizellen und Bluttiefgefroren gelagert und dann wieder benutzt. Aber die einfachstenVersuche, winzige Tiere einzufrieren und dann wieder zum Leben zuerwecken, sind bisher kläglich gescheitert. Selbst das Einfriereneinzelner menschlicher Organe für mögliche Transplantationenfunktioniert nicht.

Ursache ist der Schaden an den Zellen, der durch die extreme Kältebeim Einfrieren entsteht. «Es ist, als ob man aus einem Hamburgerwieder ein Kuh machen wollte», lautet die am häufigsten zitierteAussage über die Kunst der Kryoniker. Dieses böse Zitat stammt vondem Kältebiologen Arthur Rowe. «Beim Tod wird jede einzelne Zelle desOrganismus zerstört... und zwar vollständig, und insbesondere die inihr enthaltenen DNA-Informationen». Allerdings hat Alcor neueMethoden entwickelt, um die Schäden gering zu halten. Ein neuesVerfahren namens «Vitrifikation» soll die Kristallbildung beimEinfrieren verhindern. Alcor hofft zudem auf rasche Fortschritte inder Nanotechnologie und Stammzellenforschung, die Schäden reparabelmachen könnten.

Die Kunden des Unternehmens sind eine bunte Mischung aus allenBevölkerungsgruppen, die sich die Hoffnung auf ewiges Leben zumindestfinanziell leisten können. Der älteste ist 92 Jahre alt, aber auchviele junge wollten ihre Hoffnung auf die Wissenschaft setzen. NeuenAuftrieb erhielt die Branche, als 2002 der legendäre Baseballstar undKriegsveteran Ted Williams nach seinem Tod im Alter von 84 Jahrenseinen Kopf Alcor verschrieb und ihn einfrieren ließ. In einemaberwitzigen Rechtsstreit versucht die Familie des US-Sportheroen,den in Scottsdale eingelagerten Kopf nach Florida zu holen - wo dasprivate Lagern von Toten oder Leichenteilen verboten ist. EinGerichtsurteil ebnete nun im Juni den Weg zu einer Kryoniker-Firmaauch in Florida und damit die mögliche Heimkehr des «Redsox»-Stars -zumindest die seines Kopfes.

Zuweilen können es manche gar nicht erwarten, bis sie eingefrorenauf ein neues Leben warten können. «Es gab einige, die haben Essenund Trinken verweigert, um möglichst rasch sterben zu können, auchdamit die Krankheit sie nicht weiter zerstört,» berichtet TanyaJones. Alcor ermutige aber niemals Kunden, dies zu tun. Für diemeisten Sterbenden sei es ein beruhigendes Gefühl, das «bestensausgebildete Alcor-Team» in unmittelbarer Nähe zu wissen. Denn nachdem «ersten Leben» könnten sofort die Vorbereitungen für das «zweiteLeben» beginnen.