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Übergriffe in Köln Übergriffe in Köln: 18-Jährige soll Vergewaltigung in der Silvesternacht erfunden haben

Von Sarah Brasack 28.07.2016, 11:19
Szenen aus der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof.
Szenen aus der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. dpa

Köln - Eine der beiden Frauen, die sich bei dem Kölner Verein „Lobby für Mädchen“ nach der Silvesternacht beraten ließen, soll ihre Vergewaltigung erfunden haben.

Das berichtet die „Kölnische Rundschau“, die dies aus Justizkreisen erfahren haben will. Die 18 Jahre alte Frau soll demnach bei der Polizei zugegeben haben, sich ihre angebliche Vergewaltigung vor dem Kölner Hauptbahnhof nur ausgedacht zu haben.

Die Schilderung des Falls durch „Lobby für Mädchen“-Mitarbeiterin Frauke Mahr hatte im Düsseldorfer Silvester-Untersuchungsausschusses für Aufsehen gesorgt. Mahr will sich zu der Möglichen Falschaussage nicht äußern.

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Jetzt hilft nur noch eine Kampagne – und zwar eine bundesweite. Bis das Gesetz geändert wird, das Frauenberatungsstellen dazu verpflichtet, der Polizei Namen von Opfern sexueller Gewalt preiszugeben. In diesem Punkt sind sich die drei Beraterinnen einig, die in dem Frauenberatungszentrum am Friesenplatz 9 an einem Tisch sitzen. Sie haben zum Gespräch eingeladen, um über die in ihren Augen prekäre Situation zu berichten.

Der Fall hatte in der vergangenen Woche Schlagzeilen gemacht: Frauke Mahr, Mitarbeiterin von „Lobby für Mädchen“ in Köln, hatte vor dem Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag ausgesagt, ihr Verein habe zwei in der Silvesternacht vergewaltigte Frauen telefonisch beraten.

Womit sie nicht rechnete: Kurz darauf wurde sie von der Polizei vorgeladen und aufgefordert, die Namen der betroffenen Frauen preiszugeben, obwohl diese ausdrücklich keine Anzeige erstatten wollten.

Rechtlich gesehen ist das sauber: Die Polizei muss ermitteln, wenn eine Straftat öffentlich bekannt wird. Und die Beraterinnen können sich, anders als Journalisten, Priester oder Ärzte, nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Ob dies aber auch im Interesse der Betroffenen ist? Keinesfalls, finden die Frauen.

Mahr ist deutlich anzumerken, dass die vergangene Woche keine leichte für sie war. Sie hat den Mitgliedern des Ausschusses einen Brief geschrieben, um mitzuteilen, welche Folgen ihre Aussage gehabt hat. Über den konkreten Fall möchte sie nicht reden, „mein Verein ist jetzt schließlich Teil einer polizeilichen Ermittlung“.

„Unglaublich bedauerlich“ finde sie es, „was über mich, den Verein, vor allem aber die beiden Frauen gekommen ist. Daran habe ich sehr schwer zu tragen.“ Zwar habe sie in den vergangenen Tagen viele Solidaritätsbekundungen bekommen. Aber sie rechne auch damit, noch öffentlich in die Kritik zu kommen. In Form von Anschuldigungen, dass sie die Beratungen eben hätte verschweigen müssen, um die beiden Frauen nicht in den Fokus zu rücken. „Dabei war ich doch vor dem Untersuchungsausschuss zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet.“

Einig sind sich die drei Frauen auch darin, dass ein derartiger Fall in ihrem Berufsleben noch nicht vorgekommen ist. Obwohl die Polizei wisse, dass in ihren Beratungsstellen auch sexuell missbrauchte Frauen Hilfe suchten, die bei der Polizei nicht vorstellig würden – rund die Hälfte, schätzen die Beraterinnen – sei bislang nie ermittelt worden. Der Untersuchungsausschuss und die Silvesternacht aber hätten ein bislang nicht gekanntes Interesse an derartigen Fällen hervorgebracht – und offenbar einen gewissen Handlungsdruck.

Nun fürchten die Frauen gravierende Konsequenzen für ihre zukünftige Arbeit. „Anonym“ und „selbstbestimmt“ seien Begriffe, die in der Beratung an erster Stelle stünden. „Wir bieten einen Schutzraum. Es wäre schlimm, wenn wir den nicht mehr gewährleisten könnten“, sagt Elisabeth Faßbender vom Frauenberatungszentrum.

Ob Anzeige erstattet werde, müsse die Frau selbst entscheiden. Warum einige es nicht täten? „Sie fürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird, sie haben Angst, dass der Täter am Ende nicht bestraft wird, sie schämen sich“, fasst Margret Schnetgöke vom Kölner Verein Frauen Leben die Gründe zusammen.

Zwar hätten die Beraterinnen mit der Kölner Polizei bislang nur positive Erfahrungen gemacht. „Aber die Anzeige ist ja erst der Anfang.“ Käme es zum Prozess, stünde unter Umständen ein Glaubwürdigkeitsgutachten an. Die Gegenseite versuche, die Opfer in ein schlechtes Licht zu rücken. Auch die Öffentlichkeit sei belastend für die oft traumatisierten Frauen. Zudem seien sie vor Gericht bis zur jüngsten Verschärfung des Sexualstrafrechts oft eindringlich dazu befragt worden, ob sie sich auch genügend gewehrt hätten. „Der Täter und sein Verhalten werden jetzt hoffentlich mehr in den Fokus rücken“, sagt Schnetgöke.

Mahr treibt eine weitere Sorge um: Beratungsstellen müssten Öffentlichkeitsarbeit betreiben, um für ihre Anliegen und finanzielle Unterstützung zu kämpfen. „Streng genommen können wir das jetzt nicht mehr machen aus Sorge vor Ermittlungen.“ Schon gar nicht könne man Opfer mit deren Einverständnis noch anonym an die Presse vermitteln, um damit Empathie für ein wichtiges Thema zu wecken. „Das Thema sexuelle Gewalt droht aus der Öffentlichkeit zu verschwinden.“ Auch deshalb wünscht sie sich einen breiten Schulterschluss aller Beratungsstellen – nicht nur der für Frauen.

Groß sei die Hoffnung gewesen, dass die Silvesternacht Aufmerksamkeit für Opfer sexueller Gewalt längerfristig geweckt habe. „Wenn Frauen jetzt wahrnehmen, dass sie nicht selbstbestimmt über sich entscheiden können, ist das ein Rückschritt“, sagt Faßbender. Apropos Silvesternacht: Nachdem ein Kölner Frauenaktionsbündnis im Frühjahr gefordert hatte, an einem Runden Tisch mit der Stadt Schutzkonzepte für Großveranstaltungen erarbeiten zu dürfen, habe es zwar ein Gespräch mit der persönlichen Referentin der Oberbürgermeisterin gegeben. Seitdem aber sei nichts mehr passiert. „Es geht alles sehr langsam“, so Mahr.

Nun aber wollen sich die drei Frauen – auch mit Hilfe des Bundesverbands der Beratungsstellen – mit ihrem Anliegen einer Gesetzesänderung Gehör verschaffen. Wie zuversichtlich sind sie, dass sie etwas erreichen? „Ich bin eine unheilbare Optimistin“, antwortet Mahr ohne Zögern. „Wenn wir nicht wie schon immer alles versuchen würden, wären wir nicht da, wo wir heute sind“, sagt Faßbender.

Schnetgöke: „Mit der Kampagne »Nein heißt Nein« hatten wir ja auch Erfolg. Das Sexualstrafrecht wurde geändert – auch wenn furchtbarerweise die Ereignisse der Kölner Silvesternacht dabei mitgeholfen haben.“