Tragödie in Sachsen Tragödie in Sachsen: Rätselhaftes Drama im Schnee
Groitzsch/MZ. - Die vier Körper lagen übereinander im Schnee, ganz oben die Mutter. Ulrike B. hielt ihre Töchter Franzi, Charlotte und Sophine eng umschlungen. Einen Tag, nachdem der 40-jährige Roland B. seine Frau und die drei gemeinsamen Kinder bei der Polizei als vermisst gemeldet hatte, fand ein Spaziergänger die 38-Jährige und ihre drei, acht und zehn Jahre alten Mädchen: Erfroren auf freiem Feld zwischen dem Örtchen Pegau und dem Groitzscher Wohngebiet Fritzenberg, in dem Familie B. seit vier Jahren in einem schmucken Häuschen mit Pool wohnt.
Ein Drama aus heiterem Himmel für alle, die Ulrike B. kannten. "Sie war eine ganz liebe, freundliche Frau", sagt Marga Heinze, die Ulrike B. bei Frauentreffen in der evangelischen Gemeinde des Ortes im Leipziger Westen immer wieder über den Weg lief.
"Sie kannte jeden Weg"
Seit die Familie aus den alten Bundesländern nach Sachsen kam, weil der ehemalige Bundeswehr-Offizier Roland B. nach einer Ausbildung zum Diplom-Kaufmann eine Stelle als Verwaltungsleiter der Helios-Kliniken im nahen Borna angenommen hatte, habe sich seine Frau um die Kinder der Gemeindemitglieder gekümmert. "Sie war immer da, wenn jemand gebraucht wurde." Ulrike B. sei eine tiefgläubige Frau gewesen, die Gottes Wort auch im Alltag ernst genommen habe. "Sie kann sich nur verirrt haben", sucht Marga Heinze nach einer Erklärung für das schreckliche Drama.
Nachbar Rudolf Schumann aber mag das nicht glauben. "Selbst wenn man sich da draußen verläuft", sagt er, "kann man doch die Lichter von Groitzsch nicht übersehen." Von Pegau nach Groitzsch quer über die Feldwege seien es kaum drei Kilometer, zudem habe Ulrike B. wie alle Anwohner häufig ihre Runde durch die nahe Elsteraue gemacht. "Sie kannte bestimmt jeden Weg und jeden Steg."
Umso rätselhafter scheint das Geschehen. Nach Angaben des Leitenden Kriminaldirektors Bernd Merbitz deuten alle Tatumstände auf einen so genannten erweiterten Selbstmord hin. "Nach unseren ersten Ermittlungen sind alle vier erfroren", sagt er. Es gebe keinerlei Zeichen äußerer Gewaltanwendung an den Körpern der Kinder, auch Hinweise auf eine Vergiftung fanden sich bislang nicht. Derzeit würden die Leichen gerichtsmedizinisch untersucht, erst nach Abschluss der Obduktion könnten neue Fakten ein anderes Licht auf die Stunden werfen, in denen Ulrike B., die kleine Franzi (3) und ihre Schwestern Charlotte (8) und Sophine (10) draußen auf dem tief verschneiten Feld eng umschlungen und vor Kälte zitternd auf den Tod warteten.
Ein Selbstmord aber scheint den Menschen, die Ulrike B. kannten, ebenso ausgeschlossen. "Unser christlicher Glaube verbietet uns das", sagt Johanna Böhme, die wenige Schritte neben dem Haus der B.s wohnt und Mitglied in der Groitzscher Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist. "Frau B. war nie in unserer Gemeinde", sagt die 82-Jährige, "aber ich kenne sie als ernsthafte Christin, die nie durch eine solche Tat gegen die Gebote verstoßen würde." Auch könne sie sich nicht vorstellen, dass die beiden großen Mädchen ihrer Mutter widerspruchslos in den Tod gefolgt wären: "Mit zehn Jahren hat man doch einen eigenen Willen, da läuft man doch weg und holt Hilfe." Weil das nicht passierte, jagen sich am Tag danach die Gerüchte. Die Frau sei womöglich aus Liebeskummer in den Tod gegangen, munkeln die einen. Ulrike B. sei Angehörige einer Sekte gewesen, tuscheln andere. Als Beleg werden im Dorfklatsch aus einer Bibel, die die Lutheranerin laut Kripo in der Tasche trug, gleich "mehrere heilige Bücher".
Kein Abschiedsbrief
"Das ist völliger Unsinn", versichert der zuständige Polizeisprecher. Auch wenn spirituelle Motive nicht ausgeschlossen werden könnten und die Frau zuletzt "psychisch auffällig" gewesen sein soll. Noch könne nur mit Sicherheit gesagt werden, dass bei den Leichen kein Abschiedsbrief gefunden worden sei. Und auch den Verdacht, der Ehemann könne von den Plänen der Frau gewusst haben oder womöglich selbst etwas mit der Tragödie zu tun haben, hält der Beamte für absurd: "Dafür gibt es nicht den geringsten Hinweis."