Tourismus Tourismus: Von Thomas Cook zum Teutonengrill

Berlin/dpa. - «Neckermänner» hießensie in den 70er Jahren abschätzig, «Ballermänner» heißen sie heute.Dabei ist Pauschalurlaub keine Erfindung der Moderne. Thomas Cook,findiger Tourismus-Pionier, organisierte im Juli 1841 die ersteEisenbahnreise für 570 erlebnishungrige Engländer. Vor 165 Jahren gabes Schinkenbrote, Tee, Blasmusik - und Vorträge über die Übel desRauchens und Trinkens. Heute würde das vielleicht Wellness heißen.
Die Pauschalreise hat den Berliner Urlaubs-Forscher Hasso Spodeschon immer fasziniert. Der Dozent am Tourismus-Institut der FreienUniversität hat ein Buch über die Geschichte des Verreisensgeschrieben und auch eine Aufsatzsammlung mit dem hübschen Titel«Gebuchte Gefühle» mit herausgegeben.
Wenn es um Urlaub geht, kann Spode ganz weit zurückgreifen. DasWort hat seinen Ursprung im mittelhochdeutschen «urloup». «Dasbedeutet Erlaubnis», erläutert Spode. Urloup hieß, sich imObrigkeitsstaat vom Hof eines Herrschers oder von der Truppeentfernen zu dürfen. Mit einer Vergnügungsreise hatte es nichts zutun. Es ging um dringende Geschäfte oder Privatangelegenheiten.
Das Erlaubnis-Gebot betraf noch den Dichter Johann Wolfgangvon Goethe (1749-1832). Der urlaubte allerdings in Italien, ohneseinen Fürsten gefragt zu haben. «Aus Angst hat er sich ein Pseudonymzugelegt», ergänzt Spode. Doch Goethe war noch kein Pauschal-,sondern ein typischer Bildungsreisender. Zu seinen Lebzeiten entstanderst einmal das Wort Tourismus. Es kommt vom französischen «le tour»,das Reise oder Rundgang bedeutet. Zuerst ist «tourism» um 1800 imEnglischen belegt, 1813 «tourisme» in Frankreich und 1830 «Tourismus»in Deutschland.
Doch dieser Tourismus ist noch keine Massenbewegung. In weitenTeilen der arbeitenden Bevölkerung gibt es noch nicht einmal eineVorstellung von freier Zeit. Die «Grand Tour» beschrieb vielmehr dieReisen junger, vermögender Adligen, die ähnlich wie Handwerker aufder Walz die Welt erkundeten. «Es ging darum, Beziehungsnetze zuknüpfen und Lebenserfahrung zu sammeln», sagt Spode. Die Idee vomReisen um des Vergnügens Willen stammt erst aus der Epoche derRomantik. «Rousseau ist ein Tourist im heutigen Sinne», sagt Spode.Er ließ es sich wohl sein in der Natur.
Erst Thomas Cook, bis heute Namensgeber des zweitgrößten deutschenReiseveranstalters, hat den Tourismus für den wohlhabenden Teil derBevölkerung kommerzialisiert. An seinem Prinzip der Pauschalreise, inder Transport, Unterkunft, Versorgung und Vergnügen für eine Gruppeorganisiert sind, hat sich bis heute nicht viel verändert. Auch dieVor- und Nachteile sind geblieben: Der Pauschaltourist hat esbequemer, billiger - nur eben nicht sehr individuell.
Cooks Idee fand so viel Zuspruch, dass er bereits 1872 eine 222-tägige Weltreise organisierte. Ein jährliches Verreisen war an derWende zum 20. Jahrhunderts aber noch immer nur für einen kleinen Teilder Bevölkerung möglich, zeitlich und finanziell. In den Fabriken gabes keinen geregelten Urlaub. «Junge Leute hatten selten frei, auchdie Älteren höchstens eine Woche im Jahr», berichtet Forscher Spode.Nur die Beamten kannten schon Urlaub von bis zu 6 Wochen pro Jahr.
Erst in der Zeit der Weimarer Republik setzten die Gewerkschafteneinen festen Urlaubsanspruch durch. Der erste Großanbieter für die«kleinen Leute» war die nationalsozialitische Organisation «Kraftdurch Freude». Sie baute - allerdings unter ideologischen Vorzeichen- zum Beispiel die Massenquartiere in Prora auf Rügen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sei der Pauschaltourismus erst mit denBilligflügen in den 1970er Jahren ein Massenphänomen geworden, sagtder Berliner Tourismus-Kenner. Doch die Deutschen in Ost und Westfuhren auch gern mit dem eigenen Auto weg, die Wessis RichtungItalien, die Ossis ins «sozialistische Ausland», zum Beispiel Ungarn.
Auch wenn sich die Reisegewohnheiten der Deutschen seit der Wendeangeglichen haben, sind die Urlaubswünsche heute sehr verschieden -von der Daueranimation im Robinson-Club bis zum Fasten im Kloster.Nach Schätzungen des Deutschen Reisebüroverbandes buchten aberimmerhin 37 Millionen Deutsche 2005 eine Pauschalreise. DieForschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen geht davon aus, dass dieDeutschen in diesem Jahr rund 60 Millionen Reisen planen, diemindestens 5 Tage dauern. Damit geben sie ihr Geld am liebsten fürUrlaub aus. Und der «Teutonengrill» auf Mallorca bleibt desPauschaltouristen liebstes Ziel - laut Marktführer TUI.