Tote Kinder Elias und Mohamed Tote Kinder Elias und Mohamed: Mutter erschrocken über so viel Emotionslosigkeit

Potsdam - Um 10.31 Uhr betritt Silvio S. an diesem Dienstagvormittag über einen Seiteneingang den Saal 8 des Landgerichts Potsdam, das an diesem Tag einer Festung gleicht. Es hat Drohungen gegen den Angeklagten gegeben, deswegen die scharfen Sicherheitsvorkehrungen. Sechs Polizisten und vier Justizbeamte in schusssicheren Westen sind im Saal, um Silvio S. zu beschützen – den mutmaßlichen Mörder der beiden Kinder Elias und Mohamed, gegen den an diesem Tag der Prozess beginnt.
Elias Mutter ist die erste Zeugin
Silvio S. hält sich eine Aktenmappe vor das Gesicht. Er trägt Handschellen. Als er die Mappe sinken lässt, kommt ein schmales Gesicht mit wachen Augen hinter einer schmalen Brille mit runden Gläsern zum Vorschein. Der 33-Jährige wirkt nicht unsympathisch und keineswegs beeindruckt von dem, was hier geschieht. Er schaut jeden direkt an: die Mutter des vierjährigen Flüchtlingsjungen Mohamed, die in dem Verfahren Nebenklägerin ist, den Staatsanwalt, als dieser die Anklage verliest, und auch die Mutter des sechsjährigen Elias, die in dem Verfahren als erste Zeugin auftritt. Er schaut, und er schweigt.
Anita S., Elias’ Mutter, setzt sich neben ihre Anwältin, sie trägt schwarz und spricht leise. Die 26-jährige Übersetzerin erzählt von ihrem Sohn, dem Erstklässler, der am 8. Juli 2015 spurlos in Potsdam-Schlaatz verschwand, und den eine ganze Stadt wochenlang suchte. Elias sei noch sehr kindlich gewesen und gerne zur Schule gegangen, sagt sie. Er habe freudestrahlend erzählt, wenn er in der Schule wieder etwas gelernt hatte. Aber sie habe ihn auch vor bösen Menschen gewarnt, sagt die Mutter. Elias sollte Fremden nicht die Tür öffnen. Und er wurde jeden Tag zur Schule gebracht und auch wieder abgeholt. „Zur Sicherheit“, wie Anita S. sagt.
Beim Spielen verschwunden
Die junge Frau lebte mit Elias und ihrem Lebensgefährten erst seit einer Woche in der Wohnung am Inselhof. Der 8. Juli war einer der ersten Tage, an denen der Junge allein nach draußen gehen durfte, sich aber beim Spielen im Blickfeld der Mutter aufhalten sollte. Sie habe immer wieder aus dem Fenster nach ihm geschaut, erzählt Anita S. Gegen 18.45 Uhr habe sie ihr Kind zum Abendessen holen wollen. Doch da war Elias verschwunden. Um 19.11 Uhr rief Anita S. die Polizei.
Als eine großangelegte Suche nach dem Kind begann, war Elias vermutlich schon tot. Laut Anklage wurde er noch am Tag seines Verschwindens ermordet. Silvio S. soll Elias in ein Auto gelockt und betäubt haben. Dann soll er dem Kind eine Gesichtsmaske und einen Knebel angelegt haben, um es sexuell missbrauchen zu können. Als Elias erwachte und schrie, soll Silvio S. ihn erdrosselt haben.
Zwei lebensfrohe Kinder
Silvio S. hört jedem Zeugen aufmerksam zu, als beträfe das alles gar nicht ihn: dem Lebensgefährten von Elias’ Mutter, der den Jungen als wissbegieriges und neugieriges Kind bezeichnet, der Erzieherin, die Elias einen Wildfang nennt. Ab und zu wandert der Blick auch zu Aldiana J. Die Mutter von Mohamed sitzt Silvio S. gegenüber. Sie wird später aussagen.
Ihr kleiner Sohn verschwand am 1. Oktober 2015 vom Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit. Silvio S., so die Anklage, hat den Vierjährigen mit einem Kuscheltier in sein Auto gelockt. Er fuhr mit ihm ins brandenburgische Kaltenborn, wo Silvio S. im Haus seiner Eltern lebte. Am nächsten Morgen soll er sich an dem Jungen vergangen und den Missbrauch gefilmt haben.
Auch Mohamed soll sich gewehrt und nach seiner Mutter gerufen haben. Aus Angst vor Entdeckung, so die Anklage, betäubte Silvio S. den Jungen mit Chloroform und fesselte ihn. Am Nachmittag soll er das Kind mit einem Gürtel stranguliert haben.
„Mohameds Mutter wollte den Prozessbeginn unbedingt miterleben“, erzählt ihr Anwalt Khubaib Ali Mohammed. Sie habe den Mann sehen wollen, der ihrem Sohn so Furchtbares angetan hat. Sie war erschrocken über so viel Emotionslosigkeit.