1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Anschlag auf Weihnachtsmarkt: Todesfahrer galt in seiner Klinik als unzuverlässig

Anschlag auf Weihnachtsmarkt Todesfahrer galt in seiner Klinik als unzuverlässig

Der Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt arbeitete als Arzt mit psychisch kranken Straftätern. Im Prozess gegen ihn berichten nun ehemalige Kollegen. Das ruft den Angeklagten auf den Plan.

Von dpa Aktualisiert: 19.11.2025, 15:49
Der Angeklagte Taleb al-Abdulmohsen wird von Polizeibeamten in den Gerichtssaal geführt.
Der Angeklagte Taleb al-Abdulmohsen wird von Polizeibeamten in den Gerichtssaal geführt. Simon Kremer/dpa

Magdeburg - Ehemalige Kolleginnen des Todesfahrers vom Magdeburger Weihnachtsmarkt haben ihn vor Gericht in seiner Tätigkeit als Arzt als ruhig, wenig kommunikativ und wenig engagiert beschrieben. Zudem habe es Fragen zu seiner fachlichen Eignung gegeben. Aus Sicht der späteren therapeutischen Leiterin, die ihn seit der Einstellung 2020 im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter kannte, war er bei Teamsitzungen eher passiv und lieferte wenig fachlichen Input. 

Sie habe sich entschlossen, al-Abdulmohsen nicht in der psychotherapeutischen Arbeit einzusetzen, er habe auch keine Einzelpatienten behandelt, so die Psychologin. „Er wirkte wenig interessiert an therapeutischen Themen.“ Er habe mehr über Abläufe in Saudi-Arabien gesprochen und weniger über die Krankheitsbilder der Patienten. Al-Abdulmohsen sei mit Blick auf Krankmeldungen unzuverlässig gewesen. Mitunter hätten die Kollegen auf den Stationen bis Mittag nicht von Krankmeldungen gewusst. 

In der Klinik hätten Kollegen den Psychiater an Aufgaben erinnert. Einige Patienten hätten sich nicht von al-Abdulmohsen behandeln lassen wollen. „Es wurde das Vertrauen in deine medizinische Behandlung moniert und hinterfragt“, sagte die leitende Psychologin zum Angeklagten. Dass er nicht mehr in der Klinik arbeite, habe weder fachliche noch menschliche Lücken hinterlassen, antwortete sie auf eine Nachfrage. 

Der Angeklagte ergreift immer wieder das Wort

Al-Abdulmohsen stellte - wie auch bei bisherigen Zeugen im Prozess - eine Reihe von Fragen an diese Zeugin. Er versuchte aus seiner Sicht das Bild, das von ihm entsteht, geradezurücken. „Das ist eine Art von Racheaktion“, sagte der 51-Jährige zum Gericht über die Zeugenaussage. 

Eine Krankenschwester sagte in Richtung des Angeklagten: „Auch wenn Sie da waren, waren Sie nie pünktlich.“ Man habe ihm immer hinterhertelefonieren müssen. Wegen unterschiedlicher medizinischer Ansichten bei der Behandlung von Patienten habe sie mehrfach andere Ärzte hinzugezogen.

Der Angeklagte widersprach auch ihr mehrfach mit Nachdruck und wurde vom Vorsitzenden Richter gebremst, er möge bei Fragen bleiben. Al-Abdulmohsen sagte, seine Kollegen würden nun wegen seiner Tat übertreiben. Damals war er am 20. Dezember mit einem 340 PS starken Mietwagen über den Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast. Es starben sechs Menschen, mehr als 300 werden verletzt. Al-Abdulmohsen hat die Tat gestanden.

Ein Satz macht die Runde - bleibt aber ohne Folgen

Ein Satz des heutigen Angeklagten zu Kollegen spielte in der Klinik eine Rolle, blieb aber letztlich folgenlos. Die Krankenschwester hatte in ihrer Aussage bei der Polizei davon berichtet, bei einer Rückkehr aus einer Krankschreibung habe ein Kollege al-Abdulmohsen gefragt, wie es ihm gehe. Er habe geantwortet, er befinde sich in einem Krieg, es helfe nur noch Sterben oder Umbringen. Im Gericht sagte die Zeugin, sie erinnere sich an den Wortlaut nicht mehr genau, erst nach dem Anschlag habe er wieder eine Rolle gespielt. 

Die leitende Psychologin, die damals von der Aussage informiert worden war, sagte, sie habe den Satz in Richtung des politischen Aktivismus von al-Abdulmohsen interpretiert. „Niemand von uns dachte, dass er plant, in der Lage ist, fähig ist, dieses grausame Attentat zu begehen“, so die Psychologin.

Video von der ersten Aussage des Täters nach dem Anschlag

Zwei geladene Zeugen - ebenfalls ehemalige Kollegen des Angeklagten - konnten nicht gehört werden. Um die Verhandlungszeit dennoch zu nutzen, wurde im Saal das Video der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten am Tag nach der Tat gezeigt. Zu sehen war, wie der Mann von seinen Streitigkeiten mit einer Flüchtlingshilfeorganisation, mit der Polizei, Gerichten und Behörden berichtet hatte. Wie auch schon im Gericht beschäftigte es ihn bei seiner Beschuldigtenvernehmung besonders, dass er als wirr eingestuft und mit diversen Anzeigen nicht ernst genommen wurde. Zur Fahrt über den Weihnachtsmarkt wollte er damals nichts sagen. 

2.800 Seiten Zeugenaussagen

In dem Prozess sind bislang Termine bis Mitte März angesetzt, zwei- bis dreimal pro Woche soll verhandelt werden. Eine Beschleunigung wird durch die Vereinbarung erreicht, dass Zeugen nicht aussagen müssen, die das nicht wollen. Stattdessen sollen ihre Aussagen im sogenannten Selbstleseverfahren eingeführt werden. Laut dem Vorsitzenden Richter Sternberg handelt es sich um insgesamt rund 2.800 Seiten. Zuvor war von 1.500 bis 2.000 Seiten die Rede gewesen. Mit dem Verfahren soll Betroffenen des Anschlags erspart bleiben, mit der Aussage im Verhandlungssaal das Erlebte nochmals berichten und dem Todesfahrer gegenübertreten zu müssen.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Dann sollen Polizeibeamte aussagen, die zum Anschlag ermittelt haben.