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Thüringen Thüringen: Mutter lässt ihr Baby verdursten

15.12.2006, 06:35
Ein Frau stellt am Freitag (15.12.2006) in Sömmerda (Thüringen) eine Kerze vor einem Hauseingang ab. Ein zehn Monate altes Baby ist hier in der Wohnung seiner Mutter verdurstet. (Foto: dpa)
Ein Frau stellt am Freitag (15.12.2006) in Sömmerda (Thüringen) eine Kerze vor einem Hauseingang ab. Ein zehn Monate altes Baby ist hier in der Wohnung seiner Mutter verdurstet. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Sömmerda/Erfurt/dpa. - Der toteSäugling wurde am Donnerstag gefunden, als das Jugendamt die Kinderin seine Obhut nehmen wollte. Seine Schwester Lena überstand dasMartyrium nach Polizeiangaben vom Freitag trotz akutenFlüssigkeitsmangels und wurde zur Beobachtung in ein Krankenhausgebracht.

Der Junge starb laut Obduktionsergebnis wahrscheinlich bereits amSonntag oder Montag. Frühestmöglicher Todeszeitpunkt sei Samstag,sagte Oberstaatsanwältin Anette Schmitt. Wenige Stunden nach dem Fundder Babyleiche war die Mutter bei einer Bekannten in Sömmerda von derPolizei festgenommen worden. Gegen sie wurde am Freitag vomAmtsgericht Haftbefehl unter anderem wegen Totschlags erlassen. DieFrau habe sich überfordert gefühlt und die Kinder seit vergangenemSonntag in der Wohnung zurückgelassen, sagte sie nach Angaben desErfurter Kriminalpolizeichefs Herbert Bauer. Die Ermittler hättenjedoch keine Hinweise auf monatelange Unterernährung oderMisshandlung gefunden.

Nach dem Fall Kevin in Bremen, der verhungerten Jessica in Hamburgund dem Tod von Leon kritisierte der Bund Deutscher Kriminalbeamter(BDK), dass die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland nichtfunktioniere. Nach BDK-Angaben sterben in Deutschland statistischgesehen mindestens drei Kinder pro Woche an den Folgen von Gewaltoder Vernachlässigung. 2005 seien es 178 gewesen. ThüringensMinisterpräsident Dieter Althaus (CDU) sprach von einem tragischenVorgang und unterstützte eine Bundesratsinitiative zu verpflichtendenFrüherkennungsuntersuchungen für Kinder bis fünfeinhalb Jahren.«Besonders für Kinder aus so genannten Risikofamilien ist eine solchegesetzliche Regelung vonnöten.»

Die Mutter habe nach ihrer Festnahme zwar einen sehr verstörtenEindruck gemacht, sei aber in der Lage, die Situation zu verstehen,sagte Bauer. «Ihr ist bewusst, dass ihre lange Abwesenheit für dieKinder ernste Konsequenzen haben konnte.» Die Ermittler gingen abernicht von Vorsatz aus.

Das Jugendamt war nach Angaben der Staatsanwaltschaft von einerNachbarin darauf aufmerksam gemacht worden, dass sich die Mutterwahrscheinlich zu wenig um ihre Kinder kümmere. Bei einem TerminMitte November hätte das Jugendamt jedoch nichts Auffälliges bei denKindern feststellen können. Schmitt konnte zunächst nicht sagen, obdas Treffen am 15. November in der Wohnung stattfand, in der nachAngaben des Energieunternehmens mehr als eine Woche zuvor der Stromwegen unbezahlter Rechnungen abgestellt worden war. Das Unternehmenwusste nach Angaben des Geschäftsführers nicht, dass Kinder in derWohnung waren.

Anders als vom Jugendamt angeordnet, ließ die junge Frau dieKinder nicht ärztlich untersuchen. Daraufhin plante das Amt, dasSorgerecht für den Jungen und das Mädchen per Gerichtsbeschluss anden Vater zu übertragen, den die Frau ein Vierteljahr zuvor aus derWohnung geworfen hatte. Als die Eltern zu dem Termin am vergangenenMontag nicht erschienen, beantragte das Jugendamt, die Kinder selbstin Obhut zu nehmen.

Das Amtsgericht Sömmerda erließ nach eigenen Angaben einenentsprechenden Beschluss am Mittwoch. «Es gibt derzeit keineAnhaltspunkte für strafrechtliche Versäumnisse des Jugendamtes»,sagte Schmitt. Das Gericht hatte nach eigenen Angaben im gesamtenVerfahren keine Hinweise, die einen sofortigen Sorgerechtsentzuggerechtfertigt hätten. Die gesundheitliche Situation der Kinder seiweder als lebensbedrohend noch Besorgnis erregend beschrieben worden.

Ein Fahrzeug der Polizei-Kriminaltechnik steht am 15. Dezember 2006 in Sömmerda (Thüringen) vor einem Hauseingang. Ein zehn Monate altes Baby war hier in der Wohnung seiner Mutter verdurstet. (Foto: dpa)
Ein Fahrzeug der Polizei-Kriminaltechnik steht am 15. Dezember 2006 in Sömmerda (Thüringen) vor einem Hauseingang. Ein zehn Monate altes Baby war hier in der Wohnung seiner Mutter verdurstet. (Foto: dpa)
dpa-Zentralbild