"The Duke" "The Duke": Wie zwei Münchner den deutschen Gin-Markt aufmischen

München - Ein Hinterhof in München-Schwabing. Der Fahrer eines Getränkelasters lädt Bierfässer für das indische Restaurant nebenan ab. Weiter hinten steht eine Glastür offen, daneben döst ein großer, schwarz-brauner Hund. Kein Firmenschild.
Man muss schon durch die Tür treten, um Hinweisen auf eine Gin-Brennerei zu begegnen. Der allererste: Der Duft. Zartwürzig riecht es, scharf-zitronig, und, ja, nach Wacholder. Wer einmal im Leben an einem Glas Gin genippt hat, erinnert sich: So schmeckt das.
Auf einem Schreibtisch stapelt sich Papier um einen Computerbildschirm, darunter ein schmaler Pappkarton: „The Duke“ steht darauf. Und in geschwungenen Zierbuchstaben: „Munich Dry Gin.“ Also doch, das hier ist der richtige Ort. Im Regal an der Wand sind dicke Glasballons mit hellen Flüssigkeiten aufgereiht, daneben ein großer Holztisch, fast ganz bedeckt von schlichten Flaschen mit blau-weißem Wappen auf der Brust. In der Küchenzeile im Hintergrund stapelt sich Geschirr. Die Kommandozentrale der Münchner Ginmanufaktur sieht aus wie eine Mischung aus Wohngemeinschaft, Büro und Schnapsladen.
Aus dem freundlichen Durcheinander taucht Maximilian Schauerte auf. Er wirkt jünger als 35. Hellbraune Haare fallen ihm ins Gesicht. Sieht so der typische Chef einer Schnapsbrennerei aus?
Schauerte grüßt herzlich, bietet ein Getränk an und redet drauflos. 2008 haben er und sein Geschäftspartner und Mitgründer Daniel Schönecker nach einjähriger Tüftelei die erste Flasche ihres eigenen Gins auf den Markt gebracht. Seitdem sind die beiden ehemaligen Geschichtsstudenten daran gewöhnt, dass ihre Geschichte Aufmerksamkeit erregt.
Eine Geschichte, ebenso charmant wie verrückt: Es waren einmal zwei Freunde, geeint in ihrer Langeweile im Beruf und in ihrer Liebe zum Gin. Und während sie sich den Jobfrust an der Theke ein ums andere Mal mit einem Glas in der Hand von der Seele redeten, wurde eine Idee geboren: Wir brennen unseren eigenen Gin.
Obschon in der Kreativität des Alkoholrausches entstanden, ließ der Gedanke die Freunde auch Tage später nicht los. „Das war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee“, gibt Maximilian Schauerte zu. „Zwei Geisteswissenschaftler, die überhaupt keine Ahnung vom Schnapsbrennen hatten – mal abgesehen von Experimenten in unserer Studenten-WG.“ Aber da war es schon längst um die beiden geschehen. Schauerte kündigte seine Anstellung in einem Pharmazieunternehmen, Schönecker hängte den Job beim Fernsehen an den Nagel.
In Seminaren und durch „Über-die-Schulter-gucken“ bei den Profis lernten sie, was man wissen muss, schlugen sich mit Genehmigungen und Konzessionen herum und suchten besessen nach der perfekten Rezeptur. „Wir wollten einen ganz eigenen, charakteristischen und gleichzeitig klassischen Geschmack kreieren.“ Wacholderlastig sollte er sein, nicht zu parfümiert, aber trotzdem komplex.
Es war ein langer Weg, bis die perfekte Mischung gefunden war. „Wir sind analytisch vorgegangen und haben versucht, eine gute Basisrezeptur zu entwickeln, um darin komplexere Aromen einzubauen“, sagt Schauerte. Zu bestimmen, wann die endgültige Mischung gelungen war, das sei eine sehr persönliche, eine emotionale Entscheidung gewesen. Schauerte zeigt auf einen runden Tisch, auf dem in Gläsern die Hauptzutaten zur Ansicht aufgereiht sind: Wacholderbeeren aus Italien, Ingwerwurzel aus Indien, Kubebenpfeffer aus Indonesien, Zimt aus China, Zitronenschale und Lavendelblüten. Das Aroma der ganzen Welt in einer Flasche Gin.
Das gewisse Etwas fanden Schauerte und Schönecker dann aber vor ihrer Haustür, in den wohl bayerischsten Zutaten, die man sich vorstellen kann: Hopfen und Malz. „Unsere Geheimwaffen“, sagt Schauerte stolz. „Für Gin sind diese Komponenten ziemlich einzigartig. Sie machen ihn schön weich.“
Typisch deutsches Produkt
Trotz der klassischen Bierzutaten mag Schauerte den Duke-Gin nicht als bayerisches Produkt bezeichnen. „Es sollte kein Touristenartikel werden. Wir wollten eher ein typisch deutsches Produkt herstellen.“ Verwendet werden dafür ausschließlich ökologisch angebaute Produkte, der Betrieb ist biozertifiziert. Erklärtes Ziel war das nicht. „Im Laufe der Zeit haben wir gemerkt, dass die Qualität der Bioprodukte am besten war“, sagt Schauerte. „Und wir wollten den besten Gin machen.“ Das ehrgeizige Ziel hat seinen Preis: Die Rohstoffe sind doppelt so teuer, es gibt strenge Auflagen, jeder Händler, von dem Schauerte und Schönecker Produkte beziehen, muss ebenfalls biozertifiziert sein. Und die Zutaten sind bloß der Anfang.
Schauerte führt in den hinteren Teil des Raumes. „Das ist unser Herzstück.“ Mehr muss er erst einmal nicht sagen, der Anblick spricht für sich. Die kupferfarbene, glänzende Destille füllt anderthalb Mann hoch fast die ganze Wand aus. Vom medizinballgroßen Kessel, der Brennblase, führen filigrane, kunstvoll gedrehte Röhrchen über Ventile und Filter zum Kühlbehälter.
Schauerte erklärt die einzelnen Schritte vereinfacht. Vor dem Brennvorgang kommt die Mazeration: Kräuter und Gewürze werden in hochprozentigem Alkohol eingelegt, der die Aromastoffe aus den Zutaten löst. Bei der anschließenden Destillation wird der aromatische Alkohol von Wasser und unerwünschten Fuselstoffen getrennt. Am Ende des Kühlerrohrs tröpfelt das Kondensat aus einem Hahn, zunächst der „Vorlauf“. Was dann kommt, nennt Schauerte das „Filetstück“: Der Mittellauf, der sich dann wieder in verschiedene Fraktionen unterteilt: Zuerst kommen Zitrustöne, danach filigrane Parfümnoten, Lavendelblüten und Orangenblüten. Dann wird es harziger, süßer. Das ist der Wacholder.
Der Vorgang ist kompliziert, man braucht viel Erfahrung, um Temperatur und Fließgeschwindigkeit zu bestimmen. Schauerte erkennt die Fraktionen inzwischen punktgenau am Geschmack. Seine Hände streichen zärtlich über das polierte Metall der Destille, während er spricht, sie illustrieren jedes Wort. Warum Gin? Eigentlich muss man diese Frage gar nicht stellen. Tut man es trotzdem, sagt Schauerte, es sei nicht nur die Leidenschaft zu dem Getränk, die sich durch das jahrelange Tresenstudium noch vertieft hat. „Ich mag die Handarbeit, den Bezug zu Lebensmitteln. Es ist toll, etwas herzustellen, vom Beginn bis zum Ende den komplexen Ablauf zu erleben.“
Schauerte öffnet die Brennblase, und der subtile Ginduft, der im Raum hängt, strömt heraus, in hundertfach konzentrierter Form – dabei ist der Kessel gerade leer. An Produktionstagen ist die Destille zweimal je sieben Stunden in Betrieb, so lange dauert der Durchlauf. Danach kommt der mühsame Teil: Die Fässer mit dem fertigen Destillat müssen über den Hof in die Verarbeitungsstätte im Keller geschleppt werden. Maximilian Schauerte zeigt den Weg.
Im Keller wird das Destillat mit enthärtetem Wasser in Tanks gefüllt und gefiltert. „Was rauskommt ist dann ganz weich“, sagt Schauerte. Die „Hochzeit“ nennt er das. „Danach gönnen wir dem Gin ein wenig Ruhe.“
Schließlich wird er abgefüllt, die Flaschen verkorkt und etikettiert. Sieben Mitarbeiter sind damit beschäftigt. „Am Anfang saßen wir hier zu zweit und haben jede Flasche einzeln befüllt und beklebt“, sagt Schauerte.
Die Schlepperei und die hohe Miete sind der Preis für die Lage der Brennerei mitten in München. Die Duke-Gründer haben sich bewusst gegen eine Produktion in einem Gewerbegebiet am Stadtrand entschieden. „Wir wollten den Gin dort herstellen, wo die Menschen sind, die ihn trinken“, sagt Schauerte. „Außerdem: Wie hätten wir ihn sonst ‚Munich Dry Gin’ nennen können?“ Auch der Name „The Duke“ ist ein Tribut an die Stadt München: Herzog Heinrich der Löwe, Stadtgründer Münchens, feierte ein Jubiläum als der Duke-Gin auf den Markt kam.
Schönecker und Schauerte sind Pioniere – bevor sie loslegten, war das Geschäft vor allem in der Hand der Engländer. Inzwischen hat Gin eine Renaissance erlebt, das The-Duke-Konzept etliche Nachahmer gefunden. „Es sind gute Produkte darunter“, sagt Maximilian Schauerte, „aber auch schlechte, unkreative Kopien.“ Er sagt es gelassen. „Es gibt genug Platz für alle.“
Ihr eigener Erfolg war nicht abzusehen. „Es hätte auch total schief gehen können“, sagt Schauerte. Ohne elterliche Unterstützung hätten er und Schönecker das Projekt ohnehin nicht starten können. Waren ihre Familien denn zufrieden mit dem Produkt, das am Ende herauskam? Schauerte lacht: „Die waren zufrieden, dass überhaupt etwas herauskam. Sie hatten ihre berechtigten Zweifel, wie jeder andere übrigens auch.“
Inzwischen hat die Firma insgesamt 14 Mitarbeiter. „The Duke“ wird überall in Deutschland verkauft, außerdem in Spanien, Österreich und der Schweiz. Selbst in England haben die Münchner einen Fuß in der Tür. Die beiden Gründer sind mittlerweile vor allem für Vermarktung und Organisation zuständig. „Am Anfang haben wir alles selbst gemacht, vom Ansetzen der Mischung bis zum Verpacken jeder einzelnen Flasche“, sagt Schauerte wehmütig. „Aber das Ganze muss auch verkauft werden, es nützt ja nichts, in Schönheit zu sterben.“
Apropos Schönheit: Schauerte nimmt eine Flasche aus dem Regal und füllt ein Schnapsglas. „Erst riechen und dann einen Mini-Schluck nehmen“, rät er. Zarter Lavendel-Duft steigt in die Nase. Der erste Schluck schmeckt nach Ingwer, dann nach Zitrone und Pfeffer. Der Geruch aus dem Brennkessel tanzt auf der Zunge. Die Zutatenmischung stellen Schauerte und Schönecker immer noch persönlich zusammen, für jeden einzelnen Brennvorgang.
Und das Rezept? Liegt das irgendwo sicher im Tresor? Maximilian Schauerte lächelt. „Daniel und ich sind die einzigen, die die Zusammensetzung kennen. Wir haben das Rezept nie aufgeschrieben. Es existiert einzig und allein in unseren Köpfen.“
Vorläufer des Gins war der aus Wacholderbeeren gebrannte Genever. Der Mediziner Franz de la Boe soll ihn das erste Mal um 1650 in den Niederlanden als Arzneimittel gegen Nierenleiden hergestellt haben.
Das Wort Genever leitet sich vom lateinischen Begriff „juniperus“ für Wacholder ab. Das Getränk wurde in den Niederlanden bald auch als Genussmittel immer beliebter. Die Engländer, die die Niederländer Ende des 16. Jahrhunderts im Achtzigjährigen Krieg unterstützten, brachten den Schnaps mit in ihre Heimat, nannten ihn Gin und verfeinerten die Destillationsmethoden.
Maximilian Schauerte empfiehlt, „The Duke“ auch einmal pur zu probieren.
Außerdem hat er zwei persönliche Favoriten unter den Mixgetränken, den klassischen „Gin and Tonic“ und den „Gimlet“:
4 – 5 cl Gin
2 cl Zuckerrohrsirup
2 cl Zitronen- oder Limettensaft
Der Drink kann gerührt oder im Cocktail-Shaker mit Eis geschüttelt werden. (tab)



