1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. «Tempo»-Taschentuch: «Tempo»-Taschentuch: Als das Wegwerfen salonfähig wurde

«Tempo»-Taschentuch «Tempo»-Taschentuch: Als das Wegwerfen salonfähig wurde

23.01.2009, 08:12
Das Logo «Tempo» ist auf einem Papiertaschentuch in Düsseldorf angebracht. (FOTO: DPA)
Das Logo «Tempo» ist auf einem Papiertaschentuch in Düsseldorf angebracht. (FOTO: DPA) dpa

Neuss/dpa. - In diesen kalten Tagen ist es wieder vor allerMund und Nase: Das Papier-Taschentuch. Seit 80 Jahren hat sich fürdas Tüchlein der Name einer Marke als Gattungsbegriff in die deutscheSprache eingeschlichen: Wer um ein «Tempo» bittet, nimmt in seinerNot meist auch gerne Produkte der Konkurrenz. Und wer «die billigenTempos» verlangt, wird verstanden, obwohl er eigentlich gar keineTempos will.

Jedes dritte Papiertaschentuch in Deutschland ist eines der MarkeTempo, damit bleibt diese trotz der vielen namenlosen Produkte derDiscounter-Ketten die Nummer Eins. 20 Milliarden Schnupftücher werdenvon 460 Mitarbeitern in Neuss bei Düsseldorf jedes Jahr produziert,um von dort aus in ganz Deutschland Nasen zu schneuzen und Tränen zutrocknen.

Die Wiege der deutschen «Schneuzkultur» stand in Heroldsberg beiNürnberg. Am 29. Januar 1929 ließen sich die Vereinigten PapierwerkeNürnberg beim Reichspatentamt in Berlin das Warenzeichen «Tempo» alsMarke eintragen. Es war das erste Einmal-Taschentuch aus reinemZellstoff.

Die Hygiene erleichterte den Einstieg in die Einweg- und Wegwerf-Mentalität: Wer seiner Frau noch zumute, vollgeschnupfteStofftaschentücher zu waschen, wurde in den 1930ern von der Werbungziemlich unverhohlen als Unhold gebrandmarkt. Die Werber hatten diedeutsche Hausfrau bald davon überzeugt, dass ein Taschentuch zumEinmalgebrauch viel sauberer als ein konventioneller «Schnieflappen»aus Stoff sei. Wobei Mediziner betonen, dass ein gewaschenesStofftuch genauso unbedenklich ist, wenn es nur einmal benutzt wird.

Auch die Umwelt-Bewegung und der Mehrweg-Gedanke des Öko-Boomsrührten nicht am «Tempo». Während Plastiktüten bald ins Visier derÖko-Kämpfer gerieten, blieb das Einweg-Schneuztuch auch in grünenKreisen weitgehend tabu. Statistisch gesehen greift jeder Mensch inDeutschland mindestens einmal täglich zum «Tempo»: 90 Millionen Stückwerden Tag für Tag aus Cellulose hergestellt.

Dazu werden Holzfasern in kleine Chips gehäckselt und gekocht. DerPapierbrei wird dann getrocknet, zu großen Bahnen ausgerollt undanschließend geschnitten. Jeweils vier Lagen davon ergeben einTaschentuch.

Dass «Tempo» wie «Tesa» oder «Selters» zum Begriffsmonopol werdenkonnte, zeigt den Erfolg und Einfluss der massiven Marken-Kampagnen.In mehr als 40 Ländern ist die Marke ein Begriff, in Deutschlandliegt ihr Bekanntheitsgrad nahe 100 Prozent.

Ingenieure tüfteln nach wie vor daran, den technischen Spagatzwischen Hautfreundlichkeit und Reißfestigkeit zu verbessern. Auch amscheinbar einfachen Produkt gelangen noch nach vielen JahrzehntenNeuerungen wie die Z-Faltung (1975), durch die sich das Taschentuchschnell mit einer Hand entfalten lässt, und die wieder verschließbareVerpackung (1988).

  Zum Klassiker gesellt sich inzwischen ein ganzes Produktsortimentmit neun Varianten. Nachdem das ursprünglich deutsche Tempo seit 1994in US-Regie vom Konsumgüterriesen Procter & Gamble vertrieben wurde,gehört es seit 2007 zur schwedischen SCA Gruppe, die insgesamt 8600Mitarbeiter beschäftigt und zwei Milliarden Euro umsetzt.

Ein zerknülltes Tempo-Taschentuch liegt in einer Hand in Düsseldorf. (FOTO: DPA)
Ein zerknülltes Tempo-Taschentuch liegt in einer Hand in Düsseldorf. (FOTO: DPA)
dpa