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Tag nach dem Amoklauf Tag nach dem Amoklauf: München trauert, aber die Gelassenheit kehrt zurück

Von Jochen Arntz 23.07.2016, 12:00
Viele Menschen legen am Tatort Blumen nieder
Viele Menschen legen am Tatort Blumen nieder X90146

München - Diese Nacht in München war eigentlich keine Nacht, noch um halb drei am Morgen gibt die Polizei eine Pressekonferenz, durchsucht eine Wohnung in der Stadt, und immer mehr Sicherheitskräfte aus ganz Bayern kommen in die Stadt. Als die Sonne aufgeht, liegen schon die ersten Blumen an einer Ampel vor dem Olympia-Einkaufszentrum, die Polizei lässt hier niemanden mehr durch, aber bis zu dem Ampelmast, an dessen Fuß Sonnenblumen und Nelken im Gras liegen, winkt sie die Menschen doch heran - an diesem Morgen danach in München, an dem auch die 17-jährige Bärbel Hofmann mit einem Strauß Rosen in der Hand auf der Straße steht.

Viele Teenager unter den Opfern

Sie ist ein Teenager, sie ist im Alter der meisten Opfer des Amoklaufs von München. Und zehn Minuten bevor die Schüsse fielen, hat sie noch ihr Fahrrad losgeschlossen gleich hier an der U-Bahn um die Ecke, sie ist dann nach Hause gefahren, ein paar hundert Meter nur. Als die Familie beim Abendbrot saß, hörte sie, was los ist, drüben am Einkaufszentrum, da hatten sie eigentlich noch hingewollt, später, ein paar Sachen besorgen.

Jetzt, gut fünfzehn Stunden später, steht Bärbel Hofmann wieder vor der U-Bahn-Station, diesmal mit ihrer Mutter Petra. Die Mutter legt mit ihrer Tochter die Rosen nieder, sie weint. Um sie herum sagen die Fernsehreporter ihren Nachrichtentexte in die Kameras, in so vielen Sprachen, über so viele Satellitenantennen in die Welt.

München ist in diesen Stunden Projektionsfläche für so viele geworden. Für Politiker, die glaubten, den Amoklauf für ihre Ziele nutzen zu können,  für Gerüchtestreuer und Panikmacher – und für Terrorismusexperten, die am Ende doch nichts gewusst haben, als klar wird, dass ein junger Deutsch-Iraner, der hier in der Stadt geboren wurden und aufwuchs, zum Mörder wurde.

Menschen bedanken sich bei der Polizei

München hat aber auch in diesen Stunden wieder ein paar bemerkenswerte Momente und Menschen gezeigt, auch das ist am Tag danach klar. Als die U-Bahnen, die Busse und Straßenbahnen wieder fahren, als die Geschäfte wieder öffnen, da reden die Münchner über ihren Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins, der so klar und ruhig geblieben ist in der Nacht. Der nie spekuliert hat. Überhaupt danken sie ihrer Polizei, das wäre in anderen deutschen Städten so wohl nicht denkbar. An dem Ampelmast am Einkaufszentrum hängt schon am Morgen ein Plakat, selbstgebastelt und beschrieben, darauf steht: „Wir sind den Münchner Polizisten und allen anderen Beamten und involvierten Helfern dankbar für die Arbeit, die sie geleistet haben…“ Darüber hängt noch ein Zitat von Johannes Paul II. über die Menschheit und den Terror, über Hoffnungslosigkeit.

Eine Familie kommt an die Absperrungen, die Mutter redet darüber, dass sie versuchen will, ohne Angst weiter zu leben, weil sie gerade jetzt ihren Kindern zeigen möchte, dass man sich von der Angst nicht klein machen lassen darf. Eines ihrer Kinder weint, die Mutter hatte noch gesagt,  dass sie auf normale Tage hofft, möglichst schnell.  „Einkaufen, verweilen, genießen“, steht auf einer Fassade hinter der Polizeiabsperrung. Wahrscheinlich war das vorher nie jemandem aufgefallen.

Gelassenheit kehrt zurück

Am Tag danach gibt es aber auch eine Gelassenheit in der Stadt, die fast ein wenig grimmig und wehrhaft erscheint. Viele Münchner lassen sich ihre Art zu leben nicht nehmen. Jetzt erst recht nicht. Ein paar Kilometer vom Ort des Amoklaufs entfernt, im Stadtzentrum am Marienplatz, sind schon wieder die Touristenführer unterwegs, beim Feinkosthaus Dallmayr gleich um die Ecke sind die Schlangen an den Theken lang. Die Surfer am Eisbach stehen auch schon wieder auf ihren Brettern und reiten die Welle, es ist ein Sommertag. Vor der alten Staatskanzlei, am Eingang zum Englischen Garten geht ein Hochzeitspaar über den Kies. Die Eheleute laufen an den großen bayerischen, deutschen und europäischen Fahnen vorbei, die allesamt auf Halbmast hängen, für die Opfer der Nacht.

Es ist ein schmaler Grat zwischen der Verteidigung der Freiheit und des Lebens - und der Trauer. Und manchmal sind es ganz kleine Abweichungen vom Gewohnten, die zeigen, dass etwas anders ist. Vor dem Hofbräuhaus warten am Morgen schon die Männer von den Stammtischen und die Touristen, sie warten vor dem verschlossenen Eingang, ganz ruhig. Erst um kurz vor zwölf, viel zu spät, schwingen zwei Kellner die Türen auf, einer von ihnen sagt nur knapp: „Wegen gestern.“ Mehr muss er nicht sagen.