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Tag der Organspende Tag der Organspende: Vier Menschen vier Nieren

Von Alexandra Ringendahl 05.06.2015, 15:04

Köln - Wenn die Koberskis und die Westermanns nach einem ihrer regelmäßigen geselligen Abende auseinandergehen, gibt es ein Verabschiedungsritual. „Pass gut auf mein Nierchen auf“, sagt Gabriele Koberski (60) dann zu Richard Westermann (73). „Keine Sorge, ich streichle sie jeden Abend vor dem Einschlafen“, gibt Westermann lachend zurück. Die beiden Ehepaare aus Meckenheim und Köln sind eine Schicksalsgemeinschaft, wie sie selber sagen. So etwas wie Wahlverwandte, die ein Computer-Suchprogramm im Transplantationszentrum in Essen zueinander geführt hat. Anhand von 30 Faktoren in ihrem Blut, die das Programm positiv abgeglichen hat. Die vier Menschen am Tisch haben vier Nieren: Im Rahmen einer so genannten Crossover-Organspende haben die beiden Frauen über Kreuz dem Ehemann der jeweils anderen eine Niere gespendet.

In der Grauzone

Crossover-Spenden werden in Deutschland sehr selten vorgenommen, denn sie bewegen sich in einer Grauzone des deutschen Transplantationsgesetzes. Dieses sieht vor, dass Lebendspenden beschränkt sind auf enge Verwandte, Ehegatten oder andere Personen, die dem Spender besonders eng verbunden sind. Bei den Koberskis und den Westermanns kam dieser Weg über die Ehepartner – wie bei etwa einem Drittel der Paare – aufgrund unterschiedlicher Blutgruppen oder Gewebemerkmale nicht in Frage.

Auch die Blutgruppendesensiblisierung – eine Art Blutwäsche, die die Antikörper gegen das Spenderblut aus dem Körper des Empfängers filtert, funktionierte bei Wolfgang Koberski (64), der an einer ererbten Nierenkrankheit leidet, nicht. „Die Antikörper bauten sich immer wieder auf.“

Vor dem bundesweiten Tag der Organspende an diesem Samstag nimmt die Bereitschaft der Bundesbürger zur Organspende einer neuen Umfrage zufolge weiter zu. 80 Prozent der Befragten stehen einer Organspende positiv gegenüber, 71 Prozent sind damit einverstanden, dass man nach ihrem Tod Organe und Gewebe entnimmt, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mitteilte. 2013 lag die Zustimmung noch bei 68 Prozent.
Gleichwohl fehlt es nach wie vor an Organen. Der seit Jahren durch die Skandale an mehreren Transplantationskliniken ausgelöste Abwärtstrend bei den Spenderzahlen scheint jedoch gestoppt zu sein. Auch bei den Organspendern weisen die Zahlen nach oben. (epd)

Im Jahr 2014 warteten nach den Zahlen von Eurotransplant 10 689 Menschen auf eine Spenderniere. Dem gegenüber steht die Zahl von 1788 Menschen, die nach ihrem Tod eine Niere spendeten. Nach Jahren der Dialyse und einer verbliebenen Nieren im Körper, die 3,2 Kilo wog und so angeschwollen waren, dass er nicht mal mehr seine Schuhe binden konnte, wollte Koberski nicht mehr ohne Perspektive auf seine theoretische Chance warten. „Für mich und meine Frau war klar, dass die Crossover-Spende für uns die Riesenchance war.“

2004 urteilte das Bundessozialgericht, dass Überkreuzlebendspenden zwischen zwei Ehepaaren „grundsätzlich keinen verbotenen Organhandel darstellen“. Die Grenze bildet die im Transplantationsgesetz geforderte „besondere persönliche Bindung“. Damit schuf das Gericht einen gewissen Spielraum, den Mediziner wie Dr. Wolfgang Arns, Leiter des Transplantationszentrums in Köln-Merheim, ausschöpfen. Er hat mit dem Transplantationszentrum in Essen für NRW eine Sondererlaubnis für diese Art der Lebendspende erkämpft. Rein medizinisch betrachtet ist die Lebendspende die erfolgsversprechendste Lösung. Die Funktionsrate sei 50 Prozent besser als bei Organen von Toten, erläutert Arns.

Juristisch kommt es darauf an, dass Paare, die sich gegenseitig ihre Niere spenden wollen, vor dem Eingriff eine persönliche Nähe und Verbundenheit aufbauen. Genau deshalb sollten sich die beiden Ehepaare auch erst einmal genauer kennenlernen. „Das hat bei uns sofort gepasst“, erinnert sich Uschi Blank, die Frau von Richard Westermann, an erste Zusammentreffen mit den Koberskis in der Cafeteria des Krankenhauses. „Als die reinkamen, dachte ich, hoffentlich sind die das.“ Die Chemie habe einfach spontan gestimmt. Vier reiselustige Rheinländer mit Liebe zum Karneval und gutem Essen: Die persönliche, freundschaftliche Beziehung ergab sich mühelos.

Monatelange Vorbereitung

Aber der Weg zur Transplantation war noch weit. Über Monate wurden die beiden Paare psychologisch vorbereitet. In Einzelgesprächen und solchen zu zweit und zu viert, eruierten Mediziner und Psychologen, dass die beiden Paare die Belastungen nicht nur körperlich überstehen.

Auch die Freiwilligkeit ist ein zentraler Faktor. Die Experten prüfen, ob an irgendeiner Stelle vielleicht subtil Druck aufgebaut wurde. „Das Ganze ist ein hoch sensibler Bereich“, erläutert Professor Arns, der mit seinem Team jedem Paar mit viel Idealismus sehr viel Zeit widmet, um die Risiken für alle Beteiligten zu minimieren. Schließlich überprüft die Ethikkommission „Lebendspende“ der Ärztekammer Nordrhein Faktoren wie die Freiwilligkeit der Spende und schließt die finanziellen Motive des Spenders aus.

Als die grünes Licht gibt, werden an einem Morgen im August alle vier zur selben Zeit in die Narkose versetzt, zur selben Zeit beginnen die Operationen. Nur so ist garantiert, dass keiner abspringen kann. Den ersten Satz der Krankenschwester: „Es ist gut gegangen“, den werde er nie vergessen, sagt Wolfgang Koberski und man spürt, wie selbst die Erinnerung daran, tiefe Gefühle hervorruft. „Das ist auch deshalb gut gegangen, weil wir uns so gut verstehen“, ist Uschi Blank überzeugt.

In der Tat spielten solche Faktoren für den Erfolg eine große Rolle, bestätigt Arns, da es sich ja eben nicht um eine anonyme Spende handele, wie sie etwa in den Niederlanden im Rahmen von Ringtauschen möglich sei. „Am 5. August sind wir wieder verabredet“, erzählt Gabriele Koberski. „Den Jahrestag feiern seither zu viert als zweiten Geburtstag.“