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Supershow Supershow: Bauen am Pop-Olymp

Von STEFFEN KÖNAU 19.12.2008, 21:20

Halle/MZ. - Doch das hier ist nicht Österreich und André Rieu, der Mann, der da vorn mit dem Bogen die Saiten streichelt, spielt nicht vor dem echten Kleinod im Wiener Bezirk Hietzing. Rieu gastiert in Australien, am anderen Ende der Welt. Heute Abend in Adelaide zeigt das Thermometer 25 Grad, es ist Sommer in Down Under und das AAMI Stadium, in dem sonst der Adelaide FC spielt, ist ausverkauft.

Hinter den Kulissen atmen sie durch in diesen Momenten. Die größte Show der Welt, mit der der Walzerkönig aus den Niederlanden "Eine romantische Nacht in Wien" zu seinen Fans auf dem fünften Kontinent bringt, läuft wie am Schnürchen. Im improvisierten Büro der Produktionsleitung darf jetzt auch Kay Schöttner ein paar Augenblicke verschnaufen. Fünf Tage hat das Team aus 250 Spezialisten aus aller Welt und einhundert einheimischen Helfern gebraucht, den gewaltigen Prunk-Palast aus Stahl, Aluminium, Holz und Stoff auf australischen Boden zu stellen. 220 riesige Seecontainer füllt das Material, das große Kräne dann zu einer 34 Meter hohen und 125 Meter breiten Bühne mit Platz für 250 Mitwirkende ausfalten.

Kay Schöttner ist kein Neuling im internationalen Konzert-Geschäft. Seit Anfang der 90er Jahre hat der 42-Jährige für große Stars von Phil Collins über Meat Loaf und die Scorpions bis zu U2 gearbeitet. Er war mit den Prinzen und Phillip Boa auf Tour, hat Metallica- und Stones-Konzerte organisiert und mit dem With-Full-Force-Festival das größte Treffen von Metal-Fans in ganz Ostdeutschland produziert. Doch das hier ist auch für Schöttner, seit zwei Jahren geschäftsführender Gesellschafter beim halleschen Veranstalter Känguruh Event-Net, eine ganz neue Dimension. "Wir haben pro Show etwa 120 bis 130 Truck-Anhänger, die im richtigen Moment rein und wieder raus müssen", beschreibt der Hallenser. Dazu kommen zahllose kleine Lkw, Stapler, Kräne, Busse und Materiallagerplätze rund um die Stadien. "Wir müssen die Zufahrten prüfen, die Personalpläne führen und stundengenau anpassen", erklärt Schöttner seinen "SiteCo" genannten Job als Bauleiter am Pop-Olymp, "außerdem bin ich erster Kontakt für die örtlichen Partner und muss zwischen den Gewerken vermitteln."

Ein Job mit Zeitdruck, ein Job mit Nachtschichten, ein Job voll plötzlich auftauchender Probleme und schneller Entscheidungen. Mal gibt es nur eine Zufahrt für die vielen Fahrzeuge, ein anderes Mal darf der Rasen nur befahren werden, wenn er mit den "Michael Jackson's Hair" genannten Kunststoffmatten abgedeckt wurde. "Dann wird diskutiert, es wird entschieden und es geht weiter."

Kay Schöttner genießt es, bei der größten Tourneeproduktion dabei zu sein, die jemals unterwegs war. Dauerte der Bau des echten Schlosses Schönbrunn fast fünf Jahre, reichen der Rieu-Mannschaft knapp fünf Tage. Wie in einer Maschine greifen die Rädchen ineinander, Männer aus Belgien und Holland, Kanada, Deutschland, Österreich und Australien arbeiten "sehr einvernehmlich und ergebnisorientiert zusammen", sagt Kay Schöttner, "und dabei geht es immer familiär zu - es ist wirklich eine Riesen-Erfahrung für mich."

Der Walzerkönig, der abends auf der Bühne die Menschen verzaubert, ist nie weit weg. "Andrè Rieu ist nicht nur der Star", beschreibt Schöttner, "er ist der Macher." Der Holländer habe die Ideen, und er sei in jeder Phase der Umsetzung maßgeblich beteiligt. "Es ist seine Show", sagt Kay Schöttner bewundernd, "und manchmal fragen wir uns, woher er diese Kraft nimmt."

Vielleicht, weil er den Traum lebt, den er schon als junger Geiger träumte. Mit einem eigenen großen Orchester um die Welt reisen und mit Musik Freude bereiten, so hat es der 59-Jährige Star-Violinist selbst einmal formuliert. Dabei wollte er aber unabhängig sein und nach seinen eigenen Vorstellungen arbeiten. Auch in Australien, wo die DVD-Aufzeichnung von Rieus ersten Auftritten im November gerade das neue Album der Nationalheiligen AC / DC von der Hitparadenspitze verdrängt hat, folgt das Familienunternehmen der Vision. Von 120 Mitarbeitern am Hauptsitz Maastricht generalstabsmäßig vorbereitet, schnurrt die Rieu-Tour auch unter australischer Sonne wie von selbst: Es wird dunkel, 20 000, 30 000 Menschen strömen in die Arena und die wird für drei Stunden zu einem Stück vom alten Wien, dank der Zeitverschiebung allerdings mitten in der europäischen Nacht.

Daheim schlafen sie jetzt. Kay Schöttner hat zwar gleich nach seiner Ankunft eine australische Handy-Karte gekauft und sich bei einem Internet-Telefondienst angemeldet. So spät nachts kann er Frau, Tochter und Sohn nicht anrufen. Wieder nicht. "Sehr seltsam, in zwei Zeiten simultan zu leben", sagt er, und nennt es mit der Gelassenheit des Weitgereisten "eine spannende Erfahrung". Man müsse dieses Business eben lieben, glaubt der Hallenser, "sonst kann man dieses ewige Unterwegssein, die Veranstaltungen an Abenden oder Wochenenden und den ständigen Wechsel zwischen Tages- und Nachtarbeit nicht lange ertragen."

Aber hier, das ist ihm auch in Australien aufgefallen, arbeitet eben "schon ein sehr spezieller Menschenschlag". Leute, die aus verschiedenen Ländern, von unterschiedlichen Kontinenten kommen und doch genauso ticken. "Die Aussies sind ein wenig lockerer, die Deutschen ein bisschen schneller", sagt Schöttner, "aber wir sind alle vom selben Schlag." Abends, wenn auf der Bühne die Lichter glänzen, die Tänzer im Walzertakt wirbeln und André Rieu seine Stradivari weinen lässt, sitzen die Produzenten bei einer Tasse Kaffee im großen Cateringzelt und sprechen die wichtigsten Punkte des bevorstehenden Abbaus durch. In drei Stunden geht es los. Es wird wieder eine lange Nacht. Und nächste Woche sind sie mit ihrem Schloss schon in Brisbane, 2 000 Kilometer entfernt.