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Soziales Soziales: Immer mehr «Stricher» sind Migranten

Von Julia Lenders 04.11.2004, 09:08
Heike Schütte von «Marikas», der bayernweit einzigen Beratungsstelle für männliche Prostituierte, zeigt am 25.10.2004 in ihrem Büro in München, wie ein Beratungsgespräch geführt wird. Das Team dieser vom Evangelischen Hilfswerk München getragenen Einrichtung feiert am 29.10.2004 ihr zehnjähriges Bestehen. (Foto: dpa)
Heike Schütte von «Marikas», der bayernweit einzigen Beratungsstelle für männliche Prostituierte, zeigt am 25.10.2004 in ihrem Büro in München, wie ein Beratungsgespräch geführt wird. Das Team dieser vom Evangelischen Hilfswerk München getragenen Einrichtung feiert am 29.10.2004 ihr zehnjähriges Bestehen. (Foto: dpa) dpa

München/dpa. - Sie treffen sich auf Rastplätzen im Ruhrgebiet, inSzenekneipen rund um den Münchner Viktualienmarkt, in Sexshops und amBahnhof Zoo in Berlin: Junge Männer, die Freiern ihren Körperanbieten. Die große Nachfrage nach männlicher Prostitution ist längst kein Geheimnis mehr: Allein 3000 «Stricher» arbeiten Schätzungen vonStreetworkern zufolge in Berlin, 700 bieten ihre Liebesdienste inMünchen an. «Das ist eine gesellschaftliche Realität, die anerkanntwerden muss», fordert Heike Schütte, Leiterin der Beratungsstelle«Marikas» für anschaffende Jungen in München. Seit zehn Jahrenerhalten Prostituierte dort Rat und Unterschlupf.

Tom ist Mitte zwanzig. Er kommt aus einer kleinen Stadt in derSlowakei, wo auch seine Frau und sein einjähriger Sohn leben. Seitfünf Jahren gehört er zum Kern der Münchner «Stricher»-Szene,arbeitet dort für einige Wochen, bis er genug Geld für seine Familiezusammengespart hat. Seine Frau lässt er im Glauben, einen Job ineiner Restaurantküche gefunden zu haben. Gewissensbisse und Angst voreiner ansteckenden Krankheit belasten ihn schwer. 80 Prozent allerHilfesuchenden, die sich an «Marikas» wenden, sind Migranten.Zunehmende Reiseerleichterungen seien in der Szene deutlich zubemerken, heißt es bei der bayernweit einzigartigen Beratungsstelle.

«Das ist eindeutig eine Preisfrage, die sind billiger undexotischer als die Deutschen», erklärt Sozialpädagoge Martin Jautz.Für 20 Euro aufwärts bieten die überwiegend sehr jungen Männer ihrenKörper an. Das monatliche Pro-Kopf-Einkommen in der Slowakei liegtderzeit bei 330 Euro - ein Bruchteil dessen, was ein attraktiver Manndurch Sexarbeit in München verdienen kann. «Ich sehe das mittlerweileals eine Form der Armutsprostitution», ergänzt Schütte - eineAussage, die sie in dieser Form noch vor wenigen Jahren nichtunterschrieben hätte. Doch Schicksale wie die von Tom sind keinEinzelfall.

Zwischen 18 und 25 Jahre alt sind die Klienten von «Marikas», wasim Griechischen so viel wie «Liebesjunge» bedeutet. Im letzten Jahrsei auch einer dabei gewesen, der erst 14 war, sagt Schütte. «DieFreier wollen schon Frischfleisch», erklärt sie achselzuckend.Deswegen sei es in der Szene üblich, von Stadt zu Stadt zu reisen, umimmer neu und interessant zu sein - eine Tatsache, die Schätzungenüber die Gesamtzahl von «Strichern» in Deutschland fast unmöglichmacht. Schütte wird nicht müde zu betonen, dass die Nachfrage nachjungen Körpern von «Münchner Bürgern» ausgeht.

«Viele von denen sind verheiratet und leben in einerheterosexuellen Beziehung», lautet ein Freierprofil, das bei«Marikas» niemanden mehr überrascht. Auch die nahe liegende Annahme,männliche Prostituierte seien immer homosexuell, bestätigt sich inder Beratungsarbeit nicht. Einige nähmen schwule Sexualpraktiken nurbilligend in Kauf, erklären die Sozialpädagogen. Häufig hätten dieMigranten, die derzeit insbesondere aus Bulgarien und Rumänienkommen, keine Schlafgelegenheit. Sieben Nächte im Monat stehen ihnenBetten, Küche und Waschmaschine in den giftgrün gestrichenen Räumenvon «Marikas» zur Verfügung. Dabei will die Einrichtung vor allemeines: den jungen Männern die Möglichkeit geben sich auszuruhen.

«Wir haben keinen missionarischen Auftrag», bekräftigt Schütte -Trägerschaft durch das Evangelische Hilfswerk hin oder her. EinzigeAuflage zur Nutzung des Unterschlupfs ist eine Gesundheitsberatung,die jeder Neuling verordnet bekommt. Und trotzdem hat «Marikas» immerwieder mit Widerständen zu kämpfen. Es sei unheimlich schwer, für dieInstitution Spender zu gewinnen, klagt Schütte. Und auch bei denSchutzbefohlenen selbst müsse immer neu um Akzeptanz geworben werden:«Viele von den Migranten können sich unter einer öffentlichenEinrichtung nichts vorstellen außer staatlichen Repressalien»,ergänzt Jautz.