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Sinterklaas-Auftritt Sinterklaas-Auftritt: Kulturkampf um den Zwarten Piet

Von Harald Biskup 02.12.2014, 16:18
Der Legende zufolge kommt Sinterklaas in den Niederlanden mit seinem Gehilfen Zwarte Piet per Boot in die Stadt.
Der Legende zufolge kommt Sinterklaas in den Niederlanden mit seinem Gehilfen Zwarte Piet per Boot in die Stadt. dpa Lizenz

Eisiger Ostwind fegt über den Marktplatz von Gouda. In den gemütlichen Cafés und Restaurants herrscht reger Betrieb. Eine Prozession bewegt sich aufs Rathaus zu, Kinder im Grundschulalter tragen bunte Lampions, die immer wieder auszugehen drohen. Alles erinnert an einen deutschen Martinszug, aber es ist Anfang Dezember, und der Mann im roten Mantel mit Bischofsmütze ist Sankt Nikolaus. In seinem Gefolge sind fünf pechschwarz geschminkte Begleiter in grellbunten Kostümen und Pumphosen zu erkennen. „Gleich fünf“, ruft die Frau am Maronenstand und es klingt triumphierend. Gleich fünf, und alles bleibt ruhig.

Bis vor kurzem hätte so ein Sinterklaas-Auftritt am frühen Abend im Zentrum der alten Stadt kaum einen der Restaurantgäste von ihrem Teller aufblicken lassen. Ein paar hundertmal wiederholt sich zwischen Maastricht und Groningen die alte Zeremonie zur Freude der Kleinen in den drei Wochen vor dem 5. Dezember. Dann ist „Pakjes-Avond“, Geschenkpäckchen-Abend, und die Kinder können endlich die Süßigkeiten und kleinen Präsente suchen, die der Nikolaus ihnen in die Schuhe gesteckt oder vor die Haustür gelegt hat. Für viele Niederländer, meint der Historiker Tabor Kozijn, ist Sinterklaas wichtiger als Weihnachten. Das ist auch eine von mehreren Erklärungen dafür, dass in Holland Mitte November ein Kulturkampf ausgebrochen ist, der lange unter der Oberfläche schwelte.

Dass sich die Leute, die es sich bei Kerzenschein im „Gewoon Gouts“ am Marktplatz gutgehen lassen, für den kleinen Aufmarsch am Rathaus überhaupt interessieren, hat mit der Gewalteskalation zu tun, die vor zweieinhalb Wochen Gouda in die Schlagzeilen brachte. Weltweit. Nicht gegen den heiligen Mann selbst, sondern gegen seinen Begleiter, den „Zwarte Piet“ richtet sich der Unmut vor allem linker und linksliberaler Gruppierungen. Sie sehen in der schwarz geschminkten Figur mit knallroten Lippen und Afro-Perücken ein fragwürdiges Erbe der unrühmlichen kolonialen Vergangenheit der Niederlande und werfen den Veranstaltern der Umzüge rassistische Motive vor.

Bei Rangeleien zwischen Gegnern und Anhängern des Zwarte Piet wurden 90 Demonstranten aus beiden Lagern vorübergehend festgenommen. Das kommt in der niederländischen Provinz nicht alle Tage vor. Allerdings war die Käse-Stadt an jenem Abend für ein paar Stunden zumindest medial Mittelpunkt des Landes, denn in diesem Jahr war Gouda für die im Fernsehen und im Internet live übertragene zentrale Sinterklaas-Eröffnungsfeier ausersehen.

Das wussten natürlich auch die aus vielen Gegenden angereisten Protestler, die just in dem Moment ihre Banner mit der bösen Aufschrift „Rassismus“ entrollten, als das Schiff mit Sinterklaas und seiner Entourage aus gleich mehreren schwarzen Petern angelegt hatte.

Einer frommen Legende zufolge kommt der Nikolaus alle Jahre wieder im November auf dem Seeweg von Spanien nach Holland, um den Kindern Geschenke zu bringen. Und seit Ewigkeiten assistiert dem Mann mit Rauschebart und wallendem roten Mantel dabei der Zwarte Piet, eine Art Knecht Rupprecht, zu dessen Ausstattung wie bei seinen deutschen Kollegen früher die obligatorische Rute gehörte. „Lange ausgedient“, versichert Brauchtumsspezialist Kozijn. Die harmlose Version, die Mehrheit der Niederländer für die wahre Wurzel der Geschichte hält, deutet die schwarze oder jedenfalls dunkle Gesichtsfarbe als Ruß. Schließlich sei der Piet früher durch den Kamin ins Haus gekommen, um die Geschenke abzuliefern.

Selbst mitten im Sommer wurde in Gouda über das Für und Wider der Nikolaus-Ankunftszeremonie in traditioneller Gestalt diskutiert. Wir sind mit Hans Paul Andriessen verabredet, Lokaljournalist bei der Regionalausgabe des „Algemeen Dagblad“. Er druckt ein gutes Dutzend Artikel aus, die zeigen, dass schon Ende Mai, wenn die Leute sich eigentlich auf den Sommer freuen, über den Zwarte Piet gestritten wurde. Damals veröffentlichte die Zeitung einen Offenen Brief an den Bürgermeister, in dem sich die Psychologin und Psychotherapeutin Danielle Oprel für eine multi-kulturelle Gestaltung des Traditionsfestes stark machte. Und daran erinnerte, dass Gouda eine Partnerschaft mit Elmina im heutigen Ghana unterhält, dem Zentrum des einstigen niederländischen Sklavenhandels.

Mit Unbehagen erinnert sie sich als schwarze Mutter eines Sechsjährigen an die Vorweihnachtszeit in einem niederländischen Dorf, in dem eine Minderheit von Molukkern und Menschen aus dem südamerikanischen Surinam lebten, dunkelhäutig wie sie. Bis heute kann sie nicht vergessen, dass sie in jedem Jahr zwei Monate lang besonders unter ihrer Herkunft gelitten hat. Wenn Schulkameraden ihr an den Haaren zogen, um auszuprobieren, „ob die Kräusel echt waren“, und ihr „Kakao“ oder ,je näher der Nikolaustag rückte, „Zwarte Piet“ hinterher riefen.

Aus dieser gebildeten Schicht von Niederländern mit familiären Wurzeln in Überseegebieten stammen die Wortführer der Anti-Piet-Fraktion. Einen kleinen Erfolg könnten sie und ihre Mitstreiter ja immerhin verbuchen, sagt die Spezialistin für forensische Psychiatrie mit eigener Praxis in einer ruhigen Goudaer Wohngegend.

Sie führt den Kampf um ein Umdenken längst nicht so verbissen, wie es ihre zahllosen Gegner im ganzen Land unterstellen, sondern charmant und durchaus humorvoll. In Gouda wurde Sinterklaas bei seiner Ankunft per Schiff auf einem Kanal erstmalig von zwei Piets mit hellem Teint eskortiert – vom „Käse-Peter“ mit gelb angemaltem Gesicht und einem „Stroopwafel-Pieter“, dessen Hautfarbe dem hellbraunen Karomuster der ganzjährig populären Sirup-Waffeln nachempfunden ist.

Im Redaktionsraum des „Algemeen Dagblad“ entstehen in diesen Tagen Berichte über die Langzeitfolgen der Vogelgrippe, die in der Region auf zwei Höfen aufgetreten ist. „Aber der Zwarte Piet bleibt uns erhalten“, unkt Redakteur Andriessen. Es sieht nicht so aus, als würden die Puristen sich mit einer halben Lösung abfinden, dem Zwarte Piet light sozusagen. Die Wutausbrüche bei der Nikolaus-Eröffnungsfeier hätten ja gezeigt, dass die Hardliner unter den Anti-Piet-Aktvisten nicht aufgeben wollten. Aber natürlich lassen auch die Traditionalisten nicht locker.

Von dem Zank ist an diesem Abend auf dem Goudaer Markt nichts zu spüren. Der Sinterklaas genießt seine Rolle sichtlich und die fünf schwarzen Peter an seinen Seiten haben mit dem Make-up nicht gespart. Sie schauen trotzig und selbstbewusst drein, als sich die Musikkapelle zum Spalier aufstellt. „Was sind das für angeblich liberale Leute, die bei einem Kinderfest Angst und Schrecken verbreiten?“, fragt Karen Witbraad, die mit ihrem Sohn und zwei Nachbarskindern gekommen ist.

Neulich waren mehrere Hundertschaften Polizei im Einsatz, jetzt ist ein einzelner Polizist per Fahrrad aufgeboten. Es geht ein Riss durch das Land, und es ist niemand in Sicht, der den vor allem in Amsterdam und in den großen Städten gestörten vorweihnachtlichen Frieden schnell und zugleich nachhaltig wiederherstellen könnte.

Entweder ein echter Piet oder gar keiner

Eine für einen allmählich einsetzenden Stimmungswandel typische Diskussionsveranstaltung, zu der das „Dagblad“ nach Rotterdam eingeladen hatte, erbrachte überwiegend Zustimmung für die Abschaffung des Zwarte Piet. Kleine optische Retuschen, die das Fest für farbige Einwanderer akzeptabel machen sollen, könnten ein Anfang sein.

Nach einer aktuellen Studie, die Gabor Kozijn im Auftrag des Niederländischen Instituts für Volkskultur erstellt hat, wollen dagegen fast 90 Prozent seiner Landsleute den Zwarte Piet nicht missen. „Das sind doch keine Rassisten“, sagt er, „sondern ganz normale Leute wie zum Beispiel meine sozialdemokratisch orientierten Eltern. Sie wollen einfach nicht einsehen, warum ein Kinderspaß, der in Millionen von Familien seinen festen Platz hat, plötzlich nicht mehr opportun sein soll.“

Auf komplettes Unverständnis treffen die Vorstöße zur Verdrängung des schwarzen Helfers in der stillen Provinz. In Losser bei Enschede unweit der deutschen Grenze treffen wir eine muntere Runde aus Sinterklaas und zwei Gehilfinnen. „Das Gerede vom angeblichen Rassismus ist Quatsch“, sagt resolut Christel Eulderink, die mit ihrer Freundin Riet Oldenkotte den Schulhausmeister Aloys Mekkelholt bei seinen Sinterklaas-Einsätzen begleiten. „Wir sind keine Sklaven, nur Helfer, der arme Mann kann ja nicht alles allein machen.“ Das sei so wie beim Weihnachtsmann mit seinen Elfen. Schulen, Kindergärten, Betriebe, Kaufhäuser und natürlich Familien – für mehr als 40 Einsätze lässt sich das Team noch bis Freitag buchen. Schon vor Jahren haben die beiden Piet-Darstellerinnen auf braune Schminke umgestellt. Aber nicht weil „irgendwelche politisch korrekten Gutmenschen“ sie dazu aufgefordert hätten. „Es wirkt einfach freundlicher.“ Die gelben Piets in der Käsestadt Gouda halten sie für einen Marketing-Gag, der verpuffen werde.

Entweder ein echter Piet oder gar keiner, da sind sich Mekkelholt und seine Assistentinnen, in blau-goldener Pluderhose die eine, in Schwarz-orangefarbenem Outfit die andere, einig. Schwarze Handschuhe und goldene Ohrringe sind wie überall auch in Losser Pflicht-Accessoires.

In Leserbriefspalten und vor allem im Netz giften sich Befürworter und Gegner des umstrittenen Treibens unterdessen weiter an. Dem in Curaçao auf den Niederländischen Antillen geborenen Künstler und Aktivisten Quinsy Gario wird nahegelegt, „zurückzukehren, wo er herkommt“. Auch der Rechtspopulist Geert Wilders versucht, die aufgeputschte Stimmung für sich zu nutzen und fordert, „der Schwarze Peter muss schwarz bleiben“. Die großen Supermarktketten in seiner Heimatstadt Venlo reagieren unterschiedlich auf Boykottaufrufe der schwarzen Front. Hema und Albert Heijn in der City bieten diesmal bunt bemalte Piet-Figuren an, Jumbo macht den „Multi-Kulti-Irrsinn“ nicht mit. Mutig sei das, findet ein Familienvater Ende 30 und lässt sich drei rabenschwarze Peter-Figuren einpacken. Sein Name tue nichts zur Sache. „Nennen Sie mich einfach Normalo.“

Protest mit Aufschrift: „Zwarter Piet ist Rassismus“
Protest mit Aufschrift: „Zwarter Piet ist Rassismus“
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Erstmals bei der Nikolaus-Saison dabei: der Käse-Peter.
Erstmals bei der Nikolaus-Saison dabei: der Käse-Peter.
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