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Selbsterfahrung Selbsterfahrung: Unterwegs auf der Reise ins Ich

Von IRIS STEIN 13.05.2009, 09:14

HALLE/MZ. - Den stellt sie dar, als Requisit hat sie eine macho-hafte Sonnenbrille gewählt, und als Drosselbart beantwortet sie die Fragen von Sylvia Knauer, Leiterin einer Psychodrama-Gruppe.

"Ich würde den Wolf gern besiegen, aber ich habe viele Ängste vor ihm. Er ist zu stark," sagt Angelika Falk (Name geändert) zu ihrer Rolle als Geißenmutter aus dem Märchen der Wolf und die sieben Geißlein. "Ich finde das gut, dass ich der Igel bin. Dann habe ich Stacheln und kann mich wehren", trotzt Julia Anders (Name geändert) in die Runde. Eine ist vom Mädchen Allerleirauh fasziniert, eine andere davon, dass sie als einer der sieben Schwaben nicht allein durch die Welt ziehen muss, und so geht es weiter, quer durch die Märchenwelt der Brüder Grimm.

Was passt zu wem, in welche Figur würde ich spontan hinein schlüpfen, welches Märchen könnte für wen interessant sein - das ist das Thema. Was die Frauen zur Sprache bringen, sagt eine Menge über sie aus. Mitunter sind sie von ihren Ideen überrascht, können nur schwer begründen, warum ihnen spontan das eine oder andere Märchen in den Sinn kam. Doch die Fragen von Sylvia Knauer lassen sie erkennen, welche Motive hinter ihren Spontanentscheidungen stecken, wie viel sie von sich einbringen mit der Wahl ihrer Rolle.

Genau darum treffen sie sich in einem Zehn-Wochen-Kurs: Um zu erfahren, wer sie sind und wie sie sind, um sich mit sich selbst zu beschäftigen. Bei Gesprächen, Rollenspielen, beim Reflektieren von Gedanken und Empfindungen. "Ich war einfach neugierig auf mich", sagt die 54-jährige Magdalena Kreisler (Name geändert). "Und ich wollte endlich einmal Bauchentscheidungen treffen können, nachdem ich mein Leben lang immer nur den Kopf entscheiden ließ."

Die Sozialpädagogin Sylvia Knauer bietet die Gesprächsreihe an, bei der jeder erfahren und ausprobieren kann, was er ist, wie andere ihn erleben und wie sein Verhalten wirkt. Für die Selbsterfahrungskurse hat sie eine Zusatzausbildung absolviert und nennt sich nun Psychodrama-Leiterin. Als Ehe-, Familien- und Lebensberaterin ist sie bei der Erziehungsberatung der Caritas Merseburg tätig.

"Die Leute, die sich für einen Selbsterfahrungskurs interessieren, sind sehr verschieden", sagt sie. "Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass es ganz bestimmte Persönlichkeiten sind." Eines allerdings ist deutlich: Es sind die Frauen, die sich vor allem mit ihrem Seelenleben beschäftigen. Sie stellen rund 80 Prozent der Kursteilnehmer. Altersabhängig ist die Reise ins Ich dagegen nicht. "Ich hatte Teilnehmer von 20 bis 72", sagt Sylvia Knauer. Die 45-Jährige entdeckte die Selbsterfahrung bei ihrer Tätigkeit als Beraterin. "Ohne uns selbst zu kennen, können wir andere Menschen nicht in tiefere Schichten ihres Inneren führen und sie auf ihrem Weg begleiten", sagt sie. Was sie für sich als großen Gewinn empfand, wollte sie auch anderen ermöglichen, so kam es zur Psychodrama-Gruppe.

Den Gewinn, die Anregungen, die sie mitnehmen, betonen auch die Kursteilnehmerinnen. "Ich wollte einfach einmal etwas ausprobieren, was ich mich sonst nicht trauen würde", sagt Magdalena Kreisler und hat dafür folgendes Bild gefunden: "Das ist wie mit einer Handwerkskiste, in der viel mehr Werkzeug ist, als man gewöhnlich benutzt. Es gibt aber für viele Probleme mehr Lösungsmöglichkeiten als die, auf die man sich im Allgemeinen verlässt." Allein, so glaubt sie, hätte sie sich nicht so ehrlich sich selbst gestellt. "Man findet sich zu toll", meint sie.

In der Gruppe entdeckte sie Anregungen, erkannte Probleme, erinnerte sich an lange zurück liegende Situationen und staunte, wie leicht es ihr fiel, auch einmal in eine andere Rolle zu schlüpfen und dann auf sich selbst zu schauen. Bekannte und Freunde, die von ihrem Selbsterfahrungskurs wussten, standen ihm allerdings zumindest skeptisch gegenüber. "Brauchst Du das? Bist Du krank?" Diese Fragen hat sie öfter gehört.

"Eine Psychotherapie kann so ein Kurs nicht ersetzen", sagt Sylvia Knauer. "Wenn ich spüre, dass jemand psychische Probleme hat, dann rate ich ihm deshalb, die Hilfe eines Spezialisten zu suchen." Um etwas über eigene Ängste, Konflikte und Probleme, aber auch Stärken und Gefühle zu erfahren, ist die Psychodrama-Gruppe allerdings der richtige Ort.

Das bestätigt auch Inga Schulz, die nicht zum ersten Mal bei einem solchen Kurs dabei ist. Vor einem etwaigen Seelen-Striptease hat die 31-Jährige keine Angst. "Nur mit der Hilfe anderer kann man etwas über sich erfahren", meint sie. Das Sich-Öffnen ist für sie entscheidend, denn "wenn man niemanden an sich heran lässt, kann man auch sich selbst nicht angucken". Dass in der Gruppe nur Frauen versammelt sind, hält sie für einen Vorteil, denn "dann fallen die Spielchen und das Flirten untereinander weg". In der Gruppe Verbündete zu finden, auch auf Ältere zu treffen, empfand sie besonders interessant. Ihre überraschendste Erkenntnis? "Ich habe mich meist mehr als Prinzessin gefühlt, die anderen sahen in mir bei einem Rollenspiel dagegen das tapfere Schneiderlein." Ihr Freundeskreis reagierte übrigens neugierig-interessiert auf den Kurs.

Nicht wenige Psychodrama-Teilnehmer sind Wiederholungstäter. Wer sich einmal darauf einlässt zu sich selbst zu finden, hat damit offensichtlich mehr Stoff als für nur einen Kurs.