Schweinegrippe Schweinegrippe: «Deutschland hat Impfstoff relativ spät bestellt»
Hamburg/dpa. - «Es ist so, dass Deutschland den Impfstoff relativ spätbestellt hat - im Ausland wurde das zum Teil früher gemacht», sagte der Virologe Prof. Alexander Kekulé von der Universität Halle-Wittenberg am Freitag dem Radiosender NDR info. «Ich gehe davon aus, dass wir irgendwann im November oder vielleicht noch später in Deutschland dann im großen Stil impfen werden. Nach der zweiten Impfung, die nach einem Monat erfolgt, ist der Impfschutz sicher. Man kann natürlich sagen, dass ein großer Teil der Menschen bis dahin die Infektion schon hinter sich hat.»
In den nächsten Wochen stehe mit dem Ende der Reisezeit eine Welle von Neuerkrankungen bevor, sagte Kekulé. Infizierte fühlen sich häufig zunächst krank und schlapp, bekommen Fieber und später auch Halsschmerzen und Husten. Bisher verliefen die Erkrankungen in Deutschland mild. Mit zunehmend mehr Erkrankten werde es aber auch erste Todesfälle geben, warnte Kekulé. Derzeit sind beim Robert Koch-Institut in Berlin bundesweit mehr als 2800 Erkrankungen registriert, Neuerkrankungen werden vor allem bei Spanien-Urlaubern diagnostiziert. An der «normalen» Grippe erkranken jedes Jahr Millionen Menschen, 8000 bis 11 000 sterben.
Die von den Bundesländern am Freitag bestellten Impfdosen reichen für etwa 30 Prozent der Bevölkerung. Die Kosten belaufen sich auf rund 700 Millionen Euro, teilte das Thüringer Sozialministerium mit, das zurzeit die Gesundheitsministerkonferenz leitet. Der Impfstoff wird noch entwickelt. Von Herbst an sollen zunächst gefährdeteGruppen wie Asthmatiker, chronisch Kranke und Beschäftigte imGesundheitswesen geimpft werden.
Mit den steigenden Fallzahlen gewinnen Pandemiepläne fürUnternehmen zunehmend an Bedeutung. Für die großen Konzerne könne das globale Arbeiten nun ein Nachteil sein, sagte Peter Höbel, Experte für Krisenmanagement in Frankfurt. «Der Austausch von Erregern ist dort eher wahrscheinlich als bei einem Mittelständler.» Wie gut die Unternehmen auf eine Pandemie vorbereitet sind, sei - größenunabhängig - von Firma zu Firma sehr unterschiedlich. «Es gibt Großunternehmen, die sehr mäßig auf Krisen vorbereitet sind. Das hatwas mit dem allgemeinen Risikobewusstsein zu tun», sagte Höbel.
Einen ausgefeilten Plan gibt es beim Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) - in dessen Sächsischen Serumwerk Dresden der Impfstoff gegendas Virus produziert wird. «Der Pandemie-Plan für alle Standorte istin Kraft», sagte GSK-Sprecherin Daria Munsel in München am Freitag.Dazu gehöre, dass alle Mitarbeiter und im Haushalt lebende Angehörigeein Medikament zugeschickt bekämen, das in Absprache mit einem Arztbei ersten Symptomen oder prophylaktisch eingenommen werden könne.
Beim Hamburger Kosmetikhersteller Beiersdorf AG kümmert sich eineigener Krisenstab um die Bevorratung von Medikamenten undSchutzkleidung, teilte das Unternehmen mit. Im Intranet würdenBeschäftigte über Verhaltensempfehlungen informiert. Bei derDeutschen Telekom in Bonn wurden vor den Kantinen Hygieneboxenaufgestellt, an denen sich die Mitarbeiter die Hände desinfizierenkönnen. Die Sanitäranlagen werden häufiger gereinigt. EinigeDienstreisen werden nach Angaben eines Sprechers durch Telefon- oderVideo-Konferenzen ersetzt. Mitarbeiter der Landesbank WestLB sollenbei der Begrüßung besser auf den Handschlag verzichten, so dieAnweisung.
IT-Mitarbeiter beim Sportartikel-Hersteller adidas im fränkischenHerzogenaurach werden mit Laptops ausgestattet, um notfalls von zuHause aus arbeiten zu können. «Wir haben einen Krisenreaktionsplan,in dem genau alle Schritte festgelegt sind, die gemacht werdenmüssen», sagte Sprecherin Katja Schreiber. In den Plänen des MainzerTechnologiekonzerns Schott ist geregelt, welcher Mitarbeiter imKrankheitsfall durch wen ersetzt werden kann und wer seine Aufgabenauch gut von zu Hause aus erledigen könnte. «Jeder Geschäftsbereichhat Pläne für bestimmte Szenarien entwickelt», sagte ein Sprecher.Die Pläne gebe es seit Ausbruch der Vogelgrippe 2006.
Die Fluggesellschaft TUIfly berichtete, dass Flugbegleiterinzwischen beim Abräumen der Speisetabletts Handschuhe tragen. AmFlughafen Hannover dürfen Maschinen, in denen ein Passagier mitSchweinegrippe-Verdacht an Bord ist, nur auf weiter entferntenAußenpositionen landen. Ein Sprecher sagte, es habe bisher dreisolche Fälle gegeben.
Die Behörden in den Bundesländern sehen die Situation nochgelassen. «Es ist alles im grünen Bereich», sagte ein Sprecher dessächsischen Sozialministeriums der Deutschen Presse-Agentur dpa.Momentan gebe es keine Überlegungen, Großveranstaltungen oderKonzerte wegen zu hoher Ansteckungsgefahr ausfallen zu lassen. BeimBayerischen Landesamt für Gesundheit in Erlangen sagte eineSprecherin, auch ein Ausbau der Krankenhaus-Kapazitäten sei derzeitnicht notwendig. Die meisten Erkrankten würden ohnehin von ihremHausarzt behandelt.
In der Hauptstadt erklärte eine Sprecherin derGesundheitsverwaltung: «Wir sind weit davon entfernt, in Berlin einekritische Anzahl von Fällen zu haben.» Über eine Absage vonVeranstaltungen werde erst nachgedacht, wenn 30 Prozent derBevölkerung erkrankt seien.
In Großbritannien ist die Lage bereits wesentlich angespannter:Britische Gesundheitsexperten warnten am Freitag davor, dassdie Intensivbetten und Beatmungsgeräte in den Krankenhäusern wegender Schweinegrippe knapp werden könnten. Um mit der zu erwartendenWeiterverbreitung Schritt zu halten, müsse die Zahl der Betten imSchnitt um knapp zwei Drittel erhöht werden. Zudem bräuchten dieKrankenhäuser in einigen Regionen etwa ein Fünftel mehrBeatmungsgeräte, warnten die Mediziner. Bisher sind 31 Menschen inGroßbritannien gestorben, nachdem sie sich mit der Schweinegrippeangesteckt hatten. Die meisten von ihnen waren durch Vorerkrankungengeschwächt.