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"Schwalbendoktor" Holger Jeschke im Gespräch "Schwalbendoktor" Holger Jeschke im Gespräch: Darum ist die Simson Schwalbe weltweit einmalig

05.11.2014, 17:38

Holger Jeschke hat die Schwalbe erst nach dem Mauerfall entdeckt. Für den Hamburger war der Motorroller aus der DDR so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Vor sechs Jahren erfüllte er sich einen Traum und eröffnete eine Werkstatt für den Zweitakter. Seitdem ist Jeschke als „Schwalbendoktor“ bekannt: www.schwalbendoktor.de.

Herr Jeschke, seit 50 Jahren knattert die Simson Schwalbe jetzt schon durch die Welt. Und immer noch erfreut sich der Motorroller aus der DDR großer Beliebtheit. Haben Sie eine Idee, woran das liegen könnte? Ist das nur Ostalgie?

Sicherlich ist es keine Ostalgie, dass sich die Schwalben auch hier im Westen so großer Beliebtheit erfreuen. Gerade bei jungen Leuten gibt es kein Ost-West mehr. Eher ist es das Retrodesign – das ist ja heute sehr angesagt. Darüber hinaus sind die Schwalben robust, bei ausreichender Pflege wartungsarm und, das Allerwichtigste: Sie dürfen schneller fahren als andere Kleinroller.

Von Berufswegen ist der 1946 geborene Holger Jeschke eigentlich Dreher. Nach der Meisterprüfung im Maschinenbauhandwerk machte er sich als Handelsvertreter für Zerspanungswerkzeuge (Fräser, Gewindebohrer etc.) selbstständig; seit 15 Jahren gehört auch die Schwalbe in sein Sortiment.

Die Schwalbe wurde vom VEB Fahrzeug- und Gerätewerk Simson Suhl hergestellt. Die Produktion des Motorrollers begann 1964 und endete 1986; bis dahin haben über eine Million Schwalben die Simson-Werkshallen in Thüringen verlassen, in Ostdeutschland gehören sie immer noch zum Straßenbild. Die Baureihenbezeichnung des Gefährts lautet KR51, wobei KR für Kleinroller steht und die Fünf für den Nennhubraum von 50 Kubikzentimetern, die Eins dient lediglich zur Unterscheidung zum Vorgängermodell KR50.

Sie meinen die in dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag festgelegten 60 Stundenkilometer?

Ja. Die spielen für die meisten schon die entscheidende Rolle. Aber es gibt noch andere Vorzüge der Schwalbe, denken Sie nur an die stabilen Blechteile – die schützen nicht nur Sie, sondern auch das technische Innenleben bei Wind und Wetter. Und, was die meisten gar nicht wissen: Vorder- und Hinterrad sind gleich, das ist weltweit einmalig im Bereich der 50-Kubikzentimeter-Kleinroller und vereinfacht die Reparatur enorm.

Apropos 50 Kubikzentimeter: Die Schwalbe fährt immer noch mit einem Benzin-Gemisch? Die Motoren sind also noch original?

Ja, die Schwalben fahren immer noch mit dem Benzin-Öl-Gemisch, die gebläsegekühlten Motoren mit 1:33, das sind 30 Milliliter Öl auf einen Liter Benzin, und die luftgekühlten Motoren mit einem Verhältnis von 1:50.

Kann eine Schwalbe eigentlich mit einem Klassiker wie etwa dem Vespa-Roller verglichen werden?

Eine Schwalbe kann, was den Kultstatus anbelangt, sicherlich mit dem der Vespa mithalten. Wobei die Schwalbe gegenüber der Vespa allein schon durch die Stückzahl der heute noch fahrenden Maschinen im Vorteil ist. Die bekommen Sie leichter.

Wann und wie sind Sie eigentlich zur Schwalbe gekommen?

Seit nunmehr über 15 Jahren beschäftige ich mich mit den Rollern, mit der Technik und der Historie. Es hat mich einfach begeistert, was die Simson-Ingenieure damals auf die Beine gestellt haben. Die Sorge, dass diese Handwerks- und Ingenieurskunst durch die Wende in Vergessenheit geraten könnte, hat mich bewogen, mit dem Basteln und Sammeln von Ersatzteilen zu beginnen.

Wie viele Motorroller besitzen Sie?

Sagen wir mal so: Inzwischen besitze ich noch Teile für etwa 13 Schwalben, die ich aufbauen könnte. Mit meiner eigenen Schwalbe bin ich fast täglich unterwegs.

Würden Sie mir aus den Teilen auch einen Roller zusammenbauen? Und wie viel müsste ich heute für eine Schwalbe bezahlen?

Aus meinem Fundus könnte ich Ihnen eine Schwalbe zusammenbauen für ungefähr 1500 Euro. Hierbei können Sie wählen, ob Sie eine Drei-Gang-Gebläse-gekühlte oder, ein eher seltenes Modell, eine Drei-Gang-Gebläse-gekühlte mit Halbautomatikkupplung oder eine Luftgekühlte mit drei oder vier Gängen haben wollen.

Eine erstaunliche Vielfalt. Wer sind eigentlich Ihre Kunden? Immerhin ist Ihre Werkstatt in Hamburg, also im Westen der Republik.

In der Hauptsache sind junge Leute meine Kunden. Allerdings gibt es auch ältere Interessenten, die in der Tat so eine Maschine bereits in ihrer Jugend gefahren haben. Es gibt auch viele Wiederentdecker, die ihre alte Leidenschaft beim Aufräumen des Kellers oder der Garage wieder finden. Der Kundenkreis beschränkt sich nicht nur auf Hamburg und Umgebung.

Kann ich denn sicher sein, dass meine Schwalbe immer gut „versorgt“ ist? Wird die Beschaffung von Ersatzteilen nicht irgendwann zum Problem?

Die Nachfrage nach Ersatzteilen ist natürlich sehr hoch. Viele werden im stillen Kämmerlein wie kleine Schätze gehütet und erreichen dann irgendwann den Gebrauchtmarkt. Unsere guten Kontakte helfen dabei, diese aufzuspüren. Einige Teile werden auch neu produziert. Wir können aus unserem großen Fundus schöpfen, etwa 90 Prozent der Ersatzteile haben wir auf Lager. Ein Umstand, den unsere Kunden sehr zu schätzen wissen.

Die Motorroller erfahren heute eine beträchtliche Wertsteigerung. Es gibt sogar Schwalbe-Sammler – für die sind das Wertanlagen. Was sagen Sie dazu? Ist es nicht merkwürdig, immerhin haben wir es hier doch mit einem Gebrauchsgegenstand zu tun.

Die Schwalben haben heute einen bisher nicht erlebten Kultstatus erreicht. Das führte zu einer Wertsteigerung. So lange dabei eine gewisse Leidenschaft eine Rolle spielt, und davon ist auszugehen, wird es auch in Zukunft so bleiben.

Stellt die Schwalbe besondere Anforderungen an ihren Besitzer?

Nein. Aber sie ist und bleibt ein Oldtimer! Damit verbunden ist natürlich hin und wieder eine gewisse Zickigkeit. Mit der muss man sich anfreunden und das eine oder andere auch mal selbst richten können. Ein gewisses Maß an technischem Verständnis ist sehr hilfreich.

Das Gespräch führte Christian Schlüter.