Schock über mutmaßlichen Kindesmissbrauch auf Jersey
London/dpa. - Der Skandal um mögliche Misshandlungen in einem Kinderheim auf der britischen Kanalinsel Jersey weitet sich aus: Nach schockierenden Berichten von Betroffenen haben Spürhunde am Mittwoch bei der Suche nach weiteren Kinderleichen angeschlagen.
Die Reaktion der Polizeihunde sei «sehr stark gewesen», sagte der stellvertretende Polizeichef von Jersey, Lenny Harper. «Wir müssen damit rechnen, weitere sterbliche Überreste mutmaßlicher Opfer von Kindesmissbrauch zu entdecken.» Die Polizei rechnet damit, dass mehr als 160 Menschen Opfer der Gewalt wurden. Zudem sei ein weiterer zugemauerter Kellerraum des ehemaligen Kinderheims «Haut de la Garenne» in der Ortschaft St. Martin entdeckt worden. Er soll nun untersucht werden.
In einem ähnlichen Kellerraum hatte die Polizei am Wochenende ein Kinderskelett gefunden. Derzeit gehen die Ermittler Hinweisen auf sechs mutmaßliche Kindermorde und auf zahlreiche Sexualverbrechen hauptsächlich aus den 70er und 80er Jahren nach. Zahlreiche Betroffene berichteten erst jetzt, nach jahrelangem Schweigen, in dem Heim gequält und vergewaltigt worden zu sein. Unterdessen riefen Abgeordnete in London die britische Regierung auf, eine unabhängige Untersuchung zu den Vorfällen einzuleiten. Sie vermuten Vertuschung durch die Behörden der Kanalinsel.
Systematisch seien ältere Kinder von Angestellten angestachelt worden, Jüngere anzugreifen und zu vergewaltigen, berichtete der heute 59-jährige Peter Hannaford. Er selbst sei als Heimkind mit zwölf Jahren «fast jede Nacht» Opfer solcher Gewalttaten geworden. Andere Zeugen berichteten, wie sich Heimmitarbeiter bei Partys betranken und dann Kinder missbrauchten. «Vergewaltigungen von Mädchen ebenso wie Jungen in allen Altersgruppen waren an der Tagesordnung», sagte eine 49 Jahre alte ehemalige Heimbewohnerin aus.
Insgesamt hätten sich inzwischen mehr als 150 mutmaßliche Opfer und Zeugen von Vergewaltigungen gemeldet, die bis Anfang der 60er Jahre zurückreichen sollen, hieß es bei der Polizei. «Dies sind sehr, sehr traumatische Vorfälle. Viele Menschen, die uns in den letzten Tagen kontaktiert haben, wollten dies vorher nicht tun, weil sie Angst vor ihren Erinnerungen hatten», sagte Harper. Mehrere ehemalige Heimangestellte waren in den letzten Tagen festgenommen worden und sollten weiter befragt werden. Harper betonte, die Polizei gehe nicht davon aus, dass es sich um einen «organisierten Ring» von Kinderschändern gehandelt habe.
Mutmaßliche Missbrauchopfer berichteten auch von gewalttätigen Übergriffen auf Kinder in einem anderen Heim auf Jersey. In «Les Chennes» seien Minderjährige sadistisch gequält worden, erklärte eine 38-jährige Frau, die vom 13. bis zum 16. Lebensjahr in der Einrichtung war. Die Polizei in der südenglischen Grafschaft Hampshire teilte mit, dass sie neue Hinweise auf sexuelle Gewalttaten in einem Heim in der Hafenstadt Portsmouth erhalten und deshalb eine ältere Untersuchung wieder aufgenommen habe. Diese Ermittlungen waren 1996 eingestellt worden, nachdem die 17 des Missbrauchs beschuldigten Mitarbeiter des Heims gestorben waren.