Schmökel-Prozess Schmökel-Prozess: «Ich will böse sein»

Neuruppin/dpa. - «Bei meiner nächsten Flucht werde ich mehr Aufruhr verursachen. Ich werde eine Bestie sein ohne Gnade. Am besten wäre es, Vater und Mutter zu töten. Eine sechs bis sieben Jahre alte Maus in den Wald zu entführen, dort zu vergewaltigen und zu töten. Auch Pfleger und Sozialarbeiter umbringen.» Es sind ins Detail ausgearbeitete Pläne für ein Massaker, die der mehrfach vorbestrafte Kinderschänder Frank Schmökel 1999 in sein rotes Notizbuch schreibt.
Fünf Mal ist der in Mecklenburg-Vorpommern geborene Polizistensohn schon aus psychiatrischen Kliniken geflohen. Oft hat er sich «draußen» ein Kind gesucht, es missbraucht. Beim sechsten Mal will er eine Blutspur durch Deutschland ziehen. «Oh Gott, ich habe Angst vor mir», schreibt Schmökel. Wenige Monate später wird er zum meistgesuchten Verbrecher der Republik.
Das Massaker gibt es nicht, aber dennoch ein erschütterndes Ausmaß an Gewalt. Auf der 13-tägigen Flucht durch den Osten Deutschlands verletzt der als unberechenbar geltende Mann im Herbst 2000 drei Menschen schwer. Einen Rentner erschlägt er ohne Gnade mit einem Spaten. Seit Ende Oktober sitzt der 1,92-Meter-Mann wegen dieser Taten in Neuruppin (Brandenburg) auf der Anklagebank. Das rote Notizbuch und andere persönliche Aufzeichnungen werden nun wichtige Beweismittel im Mordprozess.
Genau eine Woche vor der Flucht verfasst der seit fast zehn Jahren im Maßregelvollzug untergebrachte 40-Jährige mehrere Abschiedsbriefe. Seinen engsten Vertrauten kündigt er die gewaltvolle Flucht an. «Ich habe jemanden gesucht, der mir eine gewaltlose Flucht ermöglicht. Nun muss ich es anders versuchen - vielleicht Mord», schreibt der Schwerverbrecher einer Bekannten. Briefe von Patienten im Maßregelvollzug werden - im Gegensatz zu Post von Häftlingen im normalen Gefängnis - in der Regel nicht kontrolliert.
«Opfer wird es auch geben. Unschuldige? Ja. Vielleicht legen die mich vorher um. Wäre besser.» Das teilt der Hüne einem ehemaligen Mitpatienten mit. Immer neue Worte findet Brandenburgs berüchtigtster Verbrecher für den geplanten Gewaltrausch. «Wenn ich dem Trieb nachgebe, wird es viele Tote geben. Erwachsene und unschuldige Kinder.» Zugleich versucht der Mann, den die Polizei als «lebende Zeitbombe» bezeichnet, sich für die Grausamkeit zu entschuldigen. «Warum bin ich so? Nicht, weil ich so sein will. Ich habe immer von Frau und Kindern geträumt», meint der Vater einer zwölfjährigen Tochter.
«Acht Jahre Maßregel - und ich bin immer schlimmer geworden, im Fühlen und im Denken. Ich verkümmere an Geist und Seele», schreibt der psychisch kranke Straftäter, der wegen seiner vielen Fluchten in Brandenburg als Symbol für Sicherheitslücken gilt. «Der Maßregel ist mein Untergang.» Die Therapie bezeichnet er als «Theater, um die Bevölkerung zu beruhigen». «Die erziehen uns hier zur Lüge. Würde gibt es hier nicht. Muss ich hier bleiben, gibt es eines Tages ein Blutbad.» Vor Gericht berichtet er der Strafkammer, dass er gemeinsam mit anderen Patienten vor einigen Jahren an die damalige brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) geschrieben hat. «Wir haben sie gebeten, dass sie uns mehr Ärzte schickt.» Seit Jahren hat er sich über ausfallende Therapiestunden und schlechte Therapeuten beschwert.
Auf die Frage der Richter, warum er so oft geflohen ist, antwortet der Angeklagte spontan: «Ich wollte Aufmerksamkeit erregen, damit im Maßregelvollzug was passiert.» Und mit klarer Logik umschreibt der Acht-Klassen-Abgänger, was er von der Therapie eigentlich erwartet: «Dass die Gespräche über die Kindheit den Hass auf die Eltern abbauen, sich so die Selbstwertgefühle aufbauen und Minderwertigkeitsgefühle gegenüber Frauen abbauen und ich dann nicht mehr Kinder missbrauche.»
Die Hauptschuld dafür, dass er zum Verbrecher wurde, gibt Schmökel seiner Mutter. «Du hast mich zu dem gemacht, was ich bin. Ich hasse Dich abgrundtief», schreibt er der Frau, die den jüngeren ihrer zwei Söhne nach dessen Aussage missbrauchte und prügelte, als er ein kleiner Junge war. «Meine Mutter hat die falschen Gefühle in mich gepflanzt», lässt er zeitgleich seinen ehemaligen Mitpatienten «Schröderich» wissen. Eine Woche darauf fährt der 40-Jährige mit zwei Pflegern und einem Sozialarbeiter nach Strausberg nahe Berlin, um die Mutter zu besuchen. Auf der Fahrt wird gescherzt, die Stimmung ist gut, die Begleiter des Straftäters hegen keinen Argwohn.
Das Kaffee-Kränzchen bei der Mutter beschreibt der Sohn später ausführlich: «Mutter zeigt Familienbilder von Mädels meiner Schwester. Ich stocksauer. Gehe in die Küche, wasche ab. Herzklopfen, zittere von oben bis unten. Pfleger und Sozi (Sozialarbeiter) gehen eine rauchen. Denke, warum nimmst Du nicht einfach das Küchenmesser und steckst es dem S. ins Gesicht.» Von einer Minute auf die andere verwandelt sich der nette Patient Schmökel in den Verbrecher Schmökel, attackiert seinen Pfleger, mit dem er in den Wochen zuvor oft gemeinsam in Neuruppin einkaufen war. «S. guckt, dachte wohl, ich will eine Torte aufschneiden. Und Ruck-Zuck hat er das Messer im Gesicht.» Ein medizinischer Gutachter betont später im Mordprozess: «Es grenzt an ein Wunder, dass der Pfleger überlebt hat.»
Der Pfleger selbst, der als Nebenkläger in der Gerichtsverhandlung nur wenige Meter von seinem ehemaligen Patienten entfernt sitzt, berichtet als Zeuge: «Ich hatte zu Schmökel ein gutes Verhältnis, habe versucht, ihm zu helfen und ihm das Leben schöner zu machen. Ich habe in ihm nicht den Verbrecher gesehen, sondern den Menschen.» Der Mann, der an fast allen Prozesstagen im Saal sitzt, ist sich sicher: «Er wollte meinen Tod.» Sein Angreifer versucht nach diesen Worten, das Niedergeschriebene und das Geschehene rückgängig zu machen. «Dass ich seinen Tod wollte, stimmt nicht. Ich hab einfach Rot gesehen und kann nur sagen, dass es mir Leid tut», sagt der Gewalttäter zu Überraschung aller Prozessbeteiligter.
Doch schon kurz darauf verliest das Schwurgericht weitere Notizen, die diese Bekundung unglaubwürdig erscheinen lassen. «Dass der S. überlebt hat! Er konnte es gar nicht fassen, dass der brave Schmökel auf ihn einsticht. Seine Angst war Wiedergutmachung», heißt es da. «Waren die Briefe von Ihnen», fragt die Vorsitzende Richterin Jutta Hecht deshalb Richtung Anklagebank. «Ja» lautet die Antwort. «Wenn ich zehn Jahre im Maßregelvollzug bin, ist es für mich ganz natürlich, dass Hassgefühle gegen die Pfleger aufkommen! Und anderen Patienten gegenüber würde ich nie zugeben, dass ich mich mit anderen Pflegern gut verstehe», erklärt Schmökel. «S. war für mich ein väterlicher Freund.»
An jedem Verhandlungstag im scharf bewachten Saal 1 des Neuruppiner Landgerichts wiederholt sich das Prozedere: Die Kammer verliest Notizen des schreibfreudigen notorischen Ausbrechers - und er ist emsig bemüht, diese zu verharmlosen: «Ich hab viele Sachen reingeschrieben, die ich später nicht gemacht habe. Es waren Stimmungen oder Fantasien. Es war nicht so richtig ernst gemeint.» Die Tagebücher und Briefe, die das jüngste Verbrechen des Angeklagten exakt dokumentieren, werden zu wichtigen Beweismitteln der Anklage.
Nicht in jedem Fall darf ein Straftäter anhand seiner Tagebücher der Tat überführt werden. «Steuerhinterziehung, Diebstahl oder Raub dürften damit nicht bewiesen werden», erklärt Oberstaatsanwalt Hartmut Oeser, der die Schmökel-Anklage erhoben hat. Aus verfassungsrechtlicher Sicht gehören die Aufzeichnungen zur Intimsphäre, die es grundsätzlich auch im Prozess zu schützen gilt. Nur bei schweren Straftaten können die geheimen persönlichen Aufzeichnungen in die Gerichtsverhandlung als Beweise einbezogen werden.
Dass die Gewalttat in der Wohnung seiner Mutter und die anschließende Flucht geplant waren, bestreitet der mutmaßliche Mörder immer wieder. «Ich wollte keine Flucht machen, bei der jemand zu Schaden kommt. Ich wollte mit k.o.-Tropfen die Pfleger und die Mutter betäuben, sie mit einer Pistole in Schach halten und dann fesseln. Ich hatte nicht vor, jemandem weh zu tun», beteuert der stets in wohl durchdachten Sätzen sprechende Schmökel. Doch als er die k.o.-Tropfen an sich ausprobiert habe, sei nichts passiert. Und die von einem Kumpel versprochene Pistole habe er nie erhalten.
Seine Flucht durch Brandenburg und Sachsen hält der gelernte Rinderzüchter bis in die kleinsten Details fest - von der ersten Minute an. «Oh Gott, ich laufe an Häusern vorbei, über Straßen, in denen ich mich nicht auskenne. Überall Sirenen», beschreibt der sportliche Hüne die ersten Minuten in Freiheit. «Ich sehe großen Laubhaufen, springe rein, liege da bis nachts. Ich glaube, der ganze BGS lief an mir vorbei.» «Ich suche altes Zeug und decke mich zu. Warum haben die Hunde mich nicht gefunden? Ich denke ans Aufgeben.»
Auf einer seiner vorherigen Fluchten hatte er sich selbst gestellt, doch diesmal verwirft Frank Schmökel den Gedanken ans Aufgeben. «Ich will durchhalten und zusehen, dass ich irgendwie über den Winter komme. Kriegen die mich doch, was ich nicht hoffe, mache ich einen auf durchgeknallt, Blutrausch usw.» Nach einer Woche keimt Hoffnung in ihm: «Früher habe ich schon geglaubt, ich schaffe keine Flucht mehr. Langsam glaube ich, dass ich eine Chance habe, abzutauchen. Vielleicht für immer.» Um nicht geschnappt zu werden, will der Flüchtige sogar den Sexualtrieb steuern. «Das mit den kleinen Mädchen ist schon schön, aber so können sie mir immer wieder auf die Spur kommen. Im Ausland würde ich mir auch mal was Jüngeres kaufen.»
Während hunderte Polizisten nach ihm suchen und die Menschen im Osten Deutschlands ob des frei herumlaufenden Verbrechers in Angst und Schrecken geraten, richtet dieser sich in einer Gartenlaube in der Nähe von Berlin gemütlich ein und sinniert über sein inneres Wesen. «Gut und böse. Das eine geht ohne das andere nicht. Ich will böse sein», stellt er fest. Seine Gedanken gehen aber auch in genau die entgegengesetzte Richtung. «Ich will doch kein Massenmörder sein. Kann auch arbeiten, Liebe machen, Kinder erziehen - aber ohne Prügel und Gewalt.»
Auf der Flucht beobachtet der Triebtäter potenzielle Opfer: Kleine Mädchen, die er «Frischling» oder «Maus» nennt. «Frischlinge machen ne Radpartie, reiten zu zweit und zu Dritt aus. Wenn die wüssten!», schreibt der Sexualstraftäter in sein Fluchttagebuch. Doch der Hang zur Freiheit ist noch stärker als der Trieb. «Ich brauche was fahr- oder flugfähiges, um hier wegzukommen. Um in den Besitz eines Autos zu kommen, würde ich auch töten.» Wenige Stunden später überrascht der Verbrecher einen auf einer Sonnenliege ruhenden Rentner, haut einen Spaten mit aller Wucht auf dessen Kopf, bis der Stiel des Gartengerätes bricht. Binnen 30 Minuten verblutet das Opfer.
Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass der 60-Jährige sterben musste, weil Schmökel dessen Wagen als Fluchtauto brauchte - wie im Tagebuch angedeutet. Doch diese Version von Mord aus Habgier bestreitet der Angeklagte vehement. Er habe den auf der Gartenliege liegenden Mann für ein junges Mädchen gehalten. «Ich hatte vor, dem Mädchen mit dem Spaten auf den Kopf zu hauen, bis es bewusstlos ist», sagt der Verbrecher. Als sich das Kind als Mann «entpuppte», habe er aus Panik zugeschlagen.
Wenn Schmökel wegen Raubmordes verurteilt wird, muss er mit einer lebenslangen Haftstrafe mit Sicherungsverwahrung rechnen, falls die Richter ihn für voll schuldfähig und für nicht therapierbar halten. Wenn der 40-Jährige - etwa wegen einer Persönlichkeitsstörung - als eingeschränkt schuldfähig gilt und festgestellt wird, dass er therapierbar ist, dann bleibt er weiter im Maßregelvollzug - für viele weitere Jahre. «Dass es nicht so ist, dass man mir eine Tablette gibt, und dann bin ich wieder gesund, ist mir schon klar», sagt der Straftäter. Das Urteil soll am 11. Dezember gesprochen werden. Nach dem Willen der Staatsanwaltschaft soll der Triebtäter für immer hinter Gitter.