Sachsen-Anhalt Rund um die Uhr einkaufen im Container im Dorf
In vielen kleinen Orten in Sachsen-Anhalt gibt es keinen Einkaufsmarkt mehr. Ein neues Konzept schafft Möglichkeiten - wie die vollautomatischen Läden in Sachsen-Anhalt funktionieren.

Burgkemnitz - Der moderne Container mit den großen Fenstern hebt sich ab von den anderen Häusern im Dorf. Touristen halten spontan mit ihrem Fahrrad an, Einheimische kommen zielsicher mit Einkaufskorb. Der Personalausweis ist die Eintrittskarte in den kleinen Laden - einmal durch den Scanner ziehen, und die Tür geht auf. Burgkemnitz, ein Ortsteil der Gemeinde Muldestausee (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) mit gut 800 Einwohnern, hat seit ein paar Monaten den Mini-Supermarkt „Unser Schopp“ - inklusive Kaffeeautomat, Sitzgelegenheiten und Kinderspielecke.
Etwa 1.600 Produkte auf einer Fläche von weniger als 80 Quadratmetern - von der Butter bis zum Toilettenpapier. „Wir müssen alles haben“, sagt „Unser Schopp“-Gründerin Sandy Hoppert, die das Projekt mit Marius Schiel initiiert hat. Welche Produkte den Burgkemnitzern fehlen, können sie an einer Wünschetafel im Laden notieren.
Älteste Kundin ist 91 Jahre alt
In Burgkemnitz ist der Selbstbedienungsladen rund um die Uhr geöffnet. Bezahlt wird bargeldlos an einer Kasse, an der man die Produkte selbst scannt. An drei Tagen kommt als Unterstützung für zwei Stunden eine Rentnerin, die sich als Verkäuferin etwas dazuverdient. Doch der stärkste Verkaufstag ist der Sonntag - und da ist kein Personal vor Ort. Die älteste Kundin sei 91 Jahre alt, sagt Hoppert. Die Seniorin bekomme den Bezahlvorgang selbst hin.
Damit solche Einkaufskonzepte möglich werden, hat die schwarz-rot-gelbe Koalition das Ladenöffnungszeitengesetz geändert. Voll automatisierte Verkaufsstellen dürfen nun auch an Sonn- und Feiertagen sowie an Samstagen zwischen 20.00 und 24.00 Uhr öffnen, soweit für deren Betrieb an diesen Tagen keine Mitarbeiter eingesetzt werden. Überwacht wird der Einkauf von diversen Kameras. Bisher habe es keinen vorsätzlichen Diebstahl gegeben, sagt Marius Schiel.
Lokale Erzeuger beteiligen sich
FDP-Fraktionschef Andreas Silbersack ist von dem Modell begeistert. „Da geht man gerne hin“, sagt er. Der Laden sei auch ein sozialer Treffpunkt. Silbersack lobt zudem, dass die Bürger die Ansiedlung mit privatem Kapital unterstützen und dann von der Beteiligung profitieren können. „Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl im Ort.“
Geliefert werden die Waren von einem Großhändler. Doch auch lokale Akteure sind dabei: Eine Floristin bietet Blumen an, eine Metzgerei diverse Fleischprodukte, ein Imker seinen Honig. Sie werden auf dem Laufenden gehalten, welche Produkte verkauft worden sind und können die Regale zeitnah auffüllen.
70 Ortschaften bekunden Interesse
An fünf weiteren Standorten wollen Hoppert und Schiel in diesem Jahr einen solchen Laden eröffnen. 70 weitere Ortschaften hätten Interesse bekundet, sagt Schiel. Besonders groß ist sei die Nachfrage im Harz, wo der touristische Faktor hinzukomme. Die Standorte werden sehr bewusst ausgewählt. „Wir gehen nicht in Ortschaften, wo es einen bestehenden Einzelhandel gibt“, sagt Schiel.
Auch andere Anbieter solcher voll automatisierten Verkaufsstellen bauen ihr Geschäft aus. „Tante Enso“ betreibt in Sachsen-Anhalt derzeit fünf Filialen, zwei weitere Standorte entstehen gerade im Schachdorf Ströbeck und in Letzlingen. Und es gebe weitere Anfragen, sagt eine Sprecherin. Voraussetzung ist bei dem Unternehmen, dass es zwischen 1.000 und 3.000 Einwohner gebe sowie keinen anderen Supermarkt im Umkreis von fünf Kilometern.
Abo-Modell garantiert Grundumsatz
Hoppert und Schiel setzen vor einer Entscheidung für einen Standort vor allem auf den Dialog mit den Einwohnern. Mit einem Abo-Modell soll dann Verbindlichkeit hergestellt werden: Einige Menschen verpflichten sich, beispielsweise 20 Euro im Monat zu zahlen. So wird vorab ein gewisser Wochenumsatz garantiert. Der Abo-Betrag wird bei den Einkäufen gegengerechnet.
„Das Feedback aus der Bevölkerung ist überragend gut“, sagt der Bürgermeister der Gemeinde Muldestausee, Ferid Giebler (parteilos). Jüngere wie ältere Menschen würden das Angebot nutzen, ebenso Durchreisende. „Wir haben bereits den nächsten Standort im Blick.“ Im Ortsteil Rösa soll ein Laden entstehen.
Container kann auch woanders aufgebaut werden
„Diese neuen Ladenkonzepte stärken die Attraktivität unserer ländlichen Regionen maßgeblich“, sagt Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU). „Damit wird die wohnortnahe Versorgung gesichert, besonders mit Waren des täglichen Bedarfs für alle Einwohnerinnen und Einwohner im ländlichen Raum.“ Da es keine spezielle Meldepflicht für den Betrieb von voll automatisierten Geschäften gibt, ist die genaue Anzahl solcher Verkaufsstellen in Sachsen-Anhalt derzeit nicht bekannt.
Gründer Schiel geht davon aus, dass sein Modell für viele weitere Orte interessant ist. „In den letzten Jahren haben so viele Läden geschlossen, das Potenzial ist da“, sagt er. Und wenn es an einem Standort mal nicht funktioniert, ist er mit seinem Konzept flexibler als bei einem Investment in ein bestehendes Gebäude. „Dann kommt der Kran, und der Container wird woanders aufgebaut.“