Prozess um ICE-Unglück Prozess um ICE-Unglück: Ingenieure und Techniker beteuern Unschuld

Celle/dpa. - Die Anklage wirft ihnen fahrlässige Tötung in 101 Fällen undfahrlässige Körperverletzung in 105 Fällen vor. Sie sollen bei der Einführung des Radsystems für die ICE-Züge die Belastbarkeit der gummigefederten Räder nicht ausreichend geprüft haben. Der Bruch eines Radreifens hatte den ICE 884 «Wilhelm Conrad Röntgen» am 3. Juni 1998 zum Entgleisen gebracht.
Zum Prozessauftakt schwiegen die drei Angeklagten zu denVorwürfen. Ihre Verteidiger wiesen die Schuld ihrer Mandanten an dem verheerenden Unfall zurück. Mehrere von der Deutschen Bahn in Auftrag gegebene Gutachten hätten gezeigt, dass das System der Radreifen nach damaligem Stand der Technik hinreichend geprüft worden sei und derDauerbelastung hätte standhalten müssen. In dem Verfahren gehe es allein um technische Fragen.
Auf der Anklagebank sitzen ein ehemaliger Abteilungspräsident der Bahn (67), ein technischer Bundesbahnoberamtsrat (56) und ein Betriebsingenieur des Bochumer Radherstellers (55). Oberstaatsanwalt Hans Probst und Staatsanwalt Heinrich Dresselhaus werfen den Männerngrobe Versäumnisse bei der Einführung der Radreifen-Technik vor. «Auf Festigkeitsberechnungen des Radreifens verzichteten die Angeschuldigten ganz. Dabei hätte bereits eine dem Stand der damaligen Technik entsprechende Berechnung der Spannungen und eine Abschätzung der Ermüdungsfestigkeit nach vorhandenen Regelwerken dieFestigkeitsproblematik aufgezeigt», heißt es in der 186 Seiten starken Anklageschrift.
Auch hätten die drei Männer nicht dafür gesorgt, dass dieUntersuchungstechnik der ICE-Betriebswerke entsprechend der neuen Räder fortentwickelt worden sei. Wäre dies geschehen, wäre der Riss in dem Unglücksrad bereits früher aufgefallen, und das Unglück in Eschede hätte vermieden werden können. Der geborstene Radreifen war von ursprünglich 60 Millimetern Stärke auf 31 Millimeter abgefahren.
Der Anwalt der Nebenkläger, Reiner Geulen, sagte, dass Risse im Radreifen schon mehr als ein halbes Jahr vor dem Unglück mit dem bloßen Auge erkennbar gewesen seien. Zugleich betonte er, dass Verantwortliche auch im damaligen Bahnvorstand zu suchen seien: «Die Bahn hat ihre Angestellten gedrängt, dass entgegen Bedenken und nichtvorhandener Prüfergebnisse der Radreifen eingeführt wurde.»
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, es sei auch einAnfangsverdacht gegen Mitglieder des Bahnvorstandes geprüft worden. Allerdings seien die Mitglieder nicht für die damalige technische Entscheidung verantwortlich gewesen.
Zu Beginn des Prozesses ließ das Gericht weitere Nebenkläger zu, so dass nun insgesamt 37 Hinterbliebene und Überlebende des Unglücks in dem Verfahren auftreten. Sie waren allerdings nicht alle am Mittwoch nach Celle gekommen. Insgesamt verfolgten etwa 50 Betroffeneden ersten der 22 angesetzten Verhandlungstage. Einige derNebenkläger schilderten nach der Verlesung der Anklage ihre Situation nach dem Unglück. «Bis zum 3. Juni 1998 war mir persönlich der Ort Eschede völlig unbekannt. Am 3. Juni trat eine Zeitenwende ein», sagte der Sprecher der Eschede-Selbsthilfegruppe Heinrich Löwen, der bei dem Unglück seine Tochter und seine Ehefrau verloren hatte.
Die Angeklagten selbst gaben am Mittwoch lediglich ihrePersonalien zu Protokoll. Weiter wollten sie sich zunächst nicht äußern. Weitgehend regungslos verfolgten sie das Verlesen der Anklageschrift und der Namensliste der 101 Toten und 105 Verletzten.

