Prozess Nadja Benaissa Prozess Nadja Benaissa: «No Angel» muss sich bewähren

DARMSTADT/MZ. - Gemeinnützige Arbeit für HIV-Infizierte, Fortsetzung der Psychotherapie: So sieht die nahe Zukunft für die Sängerin Nadja Benaissa nach dem Urteilsspruch aus. 300 Arbeitsstunden in einer entsprechenden Hilfseinrichtung sind Teil der Bewährungsauflagen, die das Jugendschöffengericht in Darmstadt im Strafprozess gegen den Popstar verhängte. Sollte die 28-Jährige dagegen verstoßen, drohen ihr zwei Jahre Gefängnis. BenaissasAnwalt Oliver Wallasch sagte nach der Verkündung, seine Mandantin werde das Urteil annehmen.
Das Gericht unter Vorsitz von Dennis Wacker sieht es als erwiesen an, dass Benaissa mit zwei Männern ungeschützten Sex hatte, ohne ihre Partner über ihre HIVInfizierung aufzuklären. Der Künstlerbetreuer S., der als Nebenkläger auftrat, hat sich dabei im Jahr 2004 bei ihr angesteckt - diesen Schluss lege das medizinische Gutachten nahe, so der Richter. Eine Genanalyse der Viren von S. und seiner Ex-Partnerin habe eine "auffällig hohe Übereinstimmung" gezeigt, so dass von einer Übertragung auszugehen sei. Damit ist für Richter und Schöffen der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt.
Was nach diesem Prozess, nach der Ausbreitung intimer Details von einem halben Dutzend junger Menschen, nach Vorverurteilungen und teils ahnungslosen Äußerungen über HIV und Aids nun an öffentlicher Debatte folgt, auch das hat Richter Wacker bereits im Blick. Es sei nie darum gegangen, ein Exempel zu statuieren, sagte er. "Es geht nicht um die Stigmatisierung von Menschen, die mit HIV infiziert sind", sondern einzig um die Beurteilung des Fehlverhaltens eines Einzelnen. Bedenklich fand der Richter gleichwohl die verbreitete Ahnungslosigkeit unter den Prozessbeteiligten, wenn es um HIV geht. Äußerungen während des Verfahrens "belegen ein erschreckendes Wiedererstarken von Unkenntnis". "Fehleinschätzungen" der realen Ansteckungsgefahr hätten schließlich auch bei Benaissa dazu geführt, dass sie die Männer über ihre Infektion im Unklaren ließ, so Dennis Wacker in seiner Urteilsbegründung. "Eigensüchtig" und "verantwortungslos" habe sie in diesen Fällen gehandelt. "Letztlich wäre es der Angeklagten zu jeder Zeit möglich gewesen, auf der Benutzung von Kondomen zu bestehen" - auch ohne sich ihren Partnern zu offenbaren.
Dass es immer Benaissa war, die auf Schutz beim Verkehr bestand - bis eben auf drei bis vier Ausnahmefälle - , dass sich die Männer nicht um Kondome scherten: Das erkennt das Gericht nicht als relevant für die Straftaten an. Benaissa besaß ein "überlegenes Sachwissen", sagt der Richter. Ihr sei bewusst gewesen, "dass jeder Geschlechtsverkehr der eine sein kann, der eine Ansteckung zur Folge hat". Das bedeute nicht, dass sie die Männer absichtlich in Gefahr brachte. Aber: "Es besteht kein Zweifel, dass dieses Verhalten nicht nur grob fahrlässig, sondern bedingt vorsätzlich gewesen ist." Die Erkrankung ihrer Partner habe sie billigend in Kauf genommen.
Als strafmildernd sieht das Gericht die unsteten Lebensumstände der Angeklagten an. Eine Jugend, in der sie der Familie den Rücken kehrte, zwei Jahre im Frankfurter Drogenmilieu, der Trubel bei den "No Angels": All das habe wohl "erhebliche Defizite in der persönlichen Gesamtreife" bewirkt. Vor allem aber das frühe Schuldeingeständnis am ersten Prozesstag habe das Strafmaß beeinflusst.
Benaissa selbst, in schwarzer Bluse und Jeans, die Haare nach hinten gebunden, war der nochmaligen Schilderung ihres Lebenswegs zunächst mit gesenktem Blick gefolgt. Bis ihr nach einer halben Stunde die Tränen kamen.
