1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Prozess in Darmstadt: Prozess in Darmstadt: Nadja Benaissa ist die «Quelle für die Infektion»

Prozess in Darmstadt Prozess in Darmstadt: Nadja Benaissa ist die «Quelle für die Infektion»

Von THOMAS WOLFF 25.08.2010, 08:44
Nadja Benaissa, Sängerin der Band «No Angels», sitzt am 25.08.2010 in einem Verhandlungssaal des Landgerichts in Darmstadt auf der Anklagebank. (FOTO: DPA)
Nadja Benaissa, Sängerin der Band «No Angels», sitzt am 25.08.2010 in einem Verhandlungssaal des Landgerichts in Darmstadt auf der Anklagebank. (FOTO: DPA) dpa pool

DARMSTADT/HALLE/MZ. - Das Ergebnisdes mit Spannung erwarteten medizinischenGutachtens im Fall Benaissa belastet die Angeklagteschwer. "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeitist festzustellen, dass Frau Benaissa dieQuelle der Infektion" des KünstlerbetreuersS. ist, der sie angezeigt hat. Das erklärteder Münchner Virologe Josef Eberle am viertenVerhandlungstag im Darmstädter Amtsgericht.Die Staatsanwaltschaft ist nun überzeugt,dass die Sängerin ihre HIV-Infektion an denMann weitergab, ohne ihn über das Risiko aufgeklärtzu haben.

Gemeinnützige Arbeit angeregt

Im anschließenden Plädoyer forderte StaatsanwaltPeter Liesenfeld zwei Jahre Freiheitsentzugwegen "vollendeter gefährlicher Körperverletzung"in diesem und "versuchter gefährlicher Körperverletzung"in zwei weiteren Fällen. Gleichzeitig solledas Gericht berücksichtigen, "dass eine solcheStrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann".Auch gemeinnützige Arbeit soll Teil der Strafesein. Liesenfeld regte an, Benaissa könnte300 Stunden in einer Einrichtung für Aidskrankeableisten. Die Verteidigung schlug kein Strafmaßvor. Am Donnerstag will Richter Dennis Wacker dasUrteil verkünden.

Das medizinische Gutachten sollte den Gradder Verwandtschaft der HI-Viren von Benaissaund S. klären, der im Prozess als Nebenklägerauftritt. Laut Anklage soll die Sängerin imSommer 2004 den Mann beim ungeschützten Sexangesteckt haben. Das Gutachten liefert nachAnsicht des Mediziners deutliche Hinweisedarauf.

Auch der Virologe Albrecht Oehme vom Institutfür Medizinische Mikrobiologie der UniversitätHalle-Wittenberg hält eine solche Schlussfolgerungfür gerechtfertigt. HI-Viren hinterlassennach seinen Angaben eine Art genetischen Fingerabdruck.Weil diese Viren vergleichsweise vielen Veränderungenim Erbgut unterliegen, lasse sich durch eineSequenzierung (Bestimmung der Nukleotid-Abfolgein einem DNA-Molekül) des Erbgutes mit hoherWahrscheinlichkeit feststellen, wer sie aufwen übertragen habe, erklärt er der MZ. Allerdingswies auch Experte Eberle das Gericht daraufhin, dass es sich bei der Analyse-Methodeim Prinzip um ein Ausschlussverfahren handelt.Immer sei die Wahrscheinlichkeit der Aussage"nur angenähert an 100Prozent".

Für Staatsanwalt Liesenfeld aber sind alleZweifel beseitigt. "Wie wir heute wissen,hat Frau Benaissa Herrn S. mit HIV angesteckt",sagte er. Und das, obwohl sie um die Risikendes ungeschützten Verkehrs wusste. Benaissaerfuhr 1999 mit 17 von ihrer Infektion.

Auch die Männer, mit denen sie seither verkehrte,"hätten nach Kondomen fragen können, vielleichtmüssen", so Liesenfeld. Die VerantwortungBenaissas stuft er höher ein: "Das überlegeneSachwissen verpflichtet sie", ihre Partneraufzuklären. Benaissas Verhalten sei daher"bedingt vorsätzlich".

Späte Entschuldigung

Die ehemaligen Liebhaber Benaissas, dieals Zeugen aussagten, sieht Verteidiger OliverWallasch hingegen stärker in der Pflicht.Es gelte "bei sexuellen Begegnungen das Prinzipder geteilten Verantwortung" - eine Linie,die auch die Deutsche Aids-Hilfe seit Jahrenfährt. Ein Strafmaß mochte Wallasch nichtnennen. Aber: "Ich halte es für ausgeschlossen,dass eine eventuelle Freiheitsstrafe in diesemFall nicht zur Bewährung ausgesetzt wird."

Das letzte Wort hatte Benaissa selbst: "Ichkann mich nicht dafür entschuldigen, was ichgetan habe - dafür gibt es keine Entschuldigung."Was sie dem Nebenkläger angetan habe, "wirdmir immer Leid tun". Auf ein persönlichesWort des Bedauerns hatte der Mann, wie erzu Prozessbeginn erklärt hatte, lange vergeblichgewartet. Jetzt hofft die Angeklagte, "dassman sich einmal an einem neutralen Ort treffenund reden kann".