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Porträt Porträt: Dr. Manfred Seiss - Einzelrichter leitet Prozess

Von Paul Winterer 17.06.2002, 05:46

Salzburg/Kaprun/dpa. - Name: Dr. Manfred Seiss, Beruf: Richter,Alter: 48, Familienstand: verheiratet, zwei Kinder. Auf diesen Mannmit einer bislang eher unspektakulären Vita schaut am nächstenDienstag (18. Juni) alle Welt. Als alleiniger Richter leitet er denSalzburger Prozess um die verheerende Brandkatastrophe vom 11.November 2000 im österreichischen Kaprun. Bei dem Inferno im Tunnelder Gletscherbahn zum Kitzsteinhorn kamen 155 Menschen qualvoll umsLeben. 16 Männer sind wegen «fahrlässiger Herbeiführung einerFeuersbrunst» angeklagt.

Zu dem spektakulären Prozess kam Seiss durch das am SalzburgerLandesgericht geltende Rotationsprinzip. «Unter sechs möglichenRichtern erwischte es mich», erklärt der Jurist. «Meine ersteReaktion war: Oh je.» Seiss macht keinen Hehl daraus, «dass es mirlieber gewesen wäre, ich hätte das Verfahren nicht bekommen». Derbevorstehende Prozess beschäftigt ihn «rund um die Uhr». Am 21. März2002 wurden ihm die Akten zugeteilt, «seit 1. Mai bin ich für diesesVerfahren freigestellt». Durch 53 Aktenordner mit 23 000 SeitenPapier und noch einmal drei Waschkörbe voll Beweisunterlagen wie zumBeispiel das Genehmigungsverfahren für die verunglückte Stand-Seilbahn hat Seiss sich seitdem gewühlt.

Zwar kann der 48-Jährige «noch gut schlafen, aber beimSpazierengehen gehen mir Details zum Prozess immer wieder durch denKopf». Seiss ist sich der schier untragbaren Last dieses Verfahrensbewusst. «Es geht bei den Beschuldigten um die nackte Existenz.»Neben einer möglichen Verurteilung - maximal sind fünf Jahre Haftmöglich - gehe es auch um die berufliche und finanzielle Zukunft derAngeklagten. «Andererseits kamen bei dem Unglück 155 Menschen umsLeben. Ganze Familien wurden zerstört. Auch in diesem Fall geht es umexistenzielle Fragen», macht Seiss das ganze Ausmaß deutlich.

Dennoch ist er auch ein wenig stolz «über das Vertrauen, das dieJustiz in mich setzt». Seiss ist seit 1979 Richter. Anfangs alsUntersuchungsrichter eingesetzt, kam er nach mehreren Stationen anGerichten in Oberösterreich ans Salzburger Landesgericht. Dortwickelt er im Jahr gut 300 Verfahren ab, die überwiegende Mehrheitdavon als Einzelrichter, die übrigen als Vorsitzender eines Senatsoder eines mit drei Berufsrichtern und acht Schöffen besetztenGeschworenengerichts. Von Rauschgiftvergehen über Vermögensdeliktebis hin zum Mordprozess reicht die Palette der von ihm geführtenStrafverfahren.

Spätestens im Oktober will Seiss sein Urteil zu der Katastrophevon Kaprun verkünden. Bei der Urteilsfindung ist er ganz allein aufsich gestellt. Als Einzelrichter kann er niemanden um Rat fragen.Freimütig gesteht Seiss, «dass ich mich in diesen Tagen manchmal sehreinsam fühle». Freizeit wird in den nächsten Monaten knapp bemessensein. Dennoch will sich der Vater einer 16-jährigen Tochter und eines15 Jahre alten Sohnes Zeit für einige Städtetouren nehmen.Kunstreisen sind die Passion des mit der Leiterin eines SalzburgerGymnasiums verheirateten Mannes. Und wenn die Last des Prozesses umden Tod von 155 Menschen einmal kaum zu ertragen ist? «Dann lege ichmir eine CD mit Musik von Mozart auf.»