Partnerschaft Partnerschaft: Cybersex als Beziehungskiller
KÖLN/MZ. - Manche Männer verbringen mehr Zeit mit virtuellen Bekannten im Internet als mit ihrer eigenen Frau. Cybersex kann durchaus ein Beziehungskiller sein, meint Sextherapeutin Hannie Rijsingen. Claudia Lehnen hat mit der Buchautorin gesprochen.
Sie haben ein Buch über virtuelle Untreue im Internet geschrieben. Ist Pornografie im Netz wirklich ein Beziehungskiller?
Van Rijsingen: Es kann zumindest ein Beziehungskiller sein. Es kommt darauf an, in welcher Weise Männer diese Pornos gucken. Ich hatte gerade zum Beispiel einen Anruf von einer Frau, die seit neun Monaten mit einem Mann zusammen ist, der Pornofilme anschaut. Immer wenn er es gemacht hat, nimmt seine Lust auf Sex mit ihr stark ab. Wenn sie doch miteinander schlafen, bleibt es bei einem mechanischen Akt. Er sieht sie gar nicht, kann keine Gefühle zum Ausdruck bringen.
Das ist natürlich ein extremer Fall. Können Pornos aber nicht auch irgendwie ein, sagen wir, harmloses Hobby sein?
Van Rijsingen: Klar, die Frage ist immer, ob die Partner ein Problem damit haben. Wenn beide das für angemessen halten, habe ich kein Recht, da reinzuquatschen. Aber im Grunde finde ich Pornografie nicht in Ordnung. Die Frage ist doch: Warum braucht man das? Warum geht es nicht ohne Bilder? Männer, die viele Pornos konsumieren oder Cybersex haben, fühlen ihren Körper nicht. Ihre Sinne sind zu wenig entwickelt. Sie können nur durch Pornografie oder ihre Vorstellungen im Kopf erregt werden. Mit dem Kopf zu fühlen, ist aber nicht möglich.
Finden es die meisten Frauen nicht harmlos, wenn ihre Männer ab und zu Pornofilmchen im Netz gucken, sonst in der Beziehung aber alles in Ordnung ist?
Van Rijsingen: Ich glaube, die meisten Frauen denken, sie müssten es harmlos finden. Ich will sie dazu ermutigen, sich die Frage zu stellen: Will ich eine Beziehung mit einem Mann haben, der Pornos guckt? Finde ich das gesund? Ich finde es nicht gesund. Frauen dürfen das sagen. Sie dürfen fordern, dass ihr Mann mit dem Kopf ganz bei ihnen ist.
Okay, das verstehe ich. Aber was, wenn der Sex für mich gut und der Mann sonst ein ganz toller ist? Muss man als Frau dann so ein Drama daraus machen? Er ist ja nicht wirklich untreu.
Van Rijsingen: Es ist eine unsichtbare Untreue. Und es bleibt ja meistens nicht beim Gucken. Alles beginnt mit erotischem Chatten, geht weiter zu Live-Cam-Sex und endet letzten Endes dann doch beim realen Sex.
Gucken nicht auch Frauen irgendwelche Filmchen im Netz?
Van Rijsingen: Zumindest kommen zu mir keine Frauen, die sich wegen einer Sex-Abhängigkeit behandeln lassen wollen.
Woran liegt es, dass manchen Männern die Sinnlichkeit abhandengekommen ist?
Van Rijsingen: Im Grunde sind das meist Menschen, die generell über wenig Libido verfügen.
Einen Moment. Man würde doch denken, dass Pornografie-Konsumenten - im Gegenteil - zu viel Libido haben?
Van Rijsingen: Ja, das ist aber gar nicht der Fall. Sie haben wenig Libido, aber dafür viel Unruhe, viel Stress im Job oder im Alltag mit der Familie. Diesen Stress reduzieren sie mit außergewöhnlichen Sexpraktiken. Vor wirklich intimen Beziehungen haben diese Männer Angst. Sie flüchten vor den eigenen Gefühlen in den Rausch. In Cybersex ebenso wie in Alkohol oder andere Drogen. Sie müssen aber lernen, damit umzugehen. Sie müssen akzeptieren, dass sie Gefühle haben und diese auch benennen.
Liegt der Ursprung dieser Abhängigkeit in der Kindheit oder Pubertät?
Van Rijsingen: Manchmal ja. Ein Kontakt mit Sexualität oder Pornografie in jungen Jahren sowie eine strenge Sexualerziehung können das entspannte Verhältnis zum anderen Geschlecht zerstören. Außerdem denken Männer, die früh viel Pornografie konsumiert haben, dass sie im Bett etwas leisten müssten. Dass sie eine gute Performance hinlegen müssten.
Die Möglichkeit, zu genießen und zu empfangen, kann sich gar nicht entwickeln. Aber erst dann, wenn Sexualität auf Gefühlen basiert und nicht auf Leistung, kann sie den Wert bekommen, den sie verdient.
Emotionale Kälte ist natürlich ein Problem. Muss Pornografie immer dazu führen? Oder sind diese Männer vielmehr schon vorher nicht fähig, mit ihren Gefühlen umzugehen?
Van Rijsingen: Natürlich kann das Problem schon vorher bestehen. Pornografie verändert die Beziehung aber dennoch. Zumindest sagen das die Männer in meiner Praxis. Das Problem ist, dass sie ihre Energie nicht mehr in die Beziehung stecken, sondern in das Internet. Sie gucken dauernd, ob es Sex-Nachrichten gibt. Sie sind nur noch mit ihren virtuellen Beziehungen beschäftigt. Dadurch haben sie keine Zeit mehr für ihre Frau.
Sie reden nicht mehr mit ihr, sie schlafen nicht mehr mit ihr. Sie sind schnell aggressiv, sitzen schon vor dem Frühstück am Computer.
Muss Sexualerziehung für Kinder und Jugendliche heute anders aussehen?
Van Rijsingen: In jedem Fall. Es geht nicht mehr hauptsächlich um Verhütung. Es geht darum, diese Internetgeneration darüber aufzuklären, was Sex wirklich ist. Dass eine gesunde Sexualität kein Spielzeug, keine Pornos und keine Sexclubs braucht. Intimität geht anders.
Wie denn?
Van Rijsingen: Die Partner müssen sich Zeit füreinander nehmen. Sie sollten auch über Sex reden, was oft schwer fällt. Beide sollten von Anfang an verletzlich sein dürfen. Es muss eine Atmosphäre herrschen, in der auch schwierige Themen angesprochen werden dürfen. Bilder im Kopf sind dazu gar nicht nötig. Es herrscht die Meinung, dass Sex nur in angeregtem Zustand möglich ist. Das stimmt nicht. Es kann auch zu Sex führen, wenn man im Arm des anderen liegt und ein gutes Gespräch hat.