Pakistan Pakistan: Regierungschef bittet um internationale Hilfe

Islamabad/Neu Delhi/dpa. - Das Ausmaß der Schäden der Jahrhundertflut in Pakistan ist nach Einschätzung des UN-Sondergesandten Jean-Maurice Ripert «viel schlimmer als erwartet». Ripert sagte dem ARD-Hörfunkstudio Südasien, die Wirtschaft Pakistans werde monatelang geschwächt sein. «Die Situation ist wirklich sehr besorgniserregend.» Da die Regenzeit noch andauern werde, habe jeder Angst vor weiteren schweren Monsun-Regenfällen.
«In der Erinnerung findet sich kein vergleichbares Drama», sagteRipert. Es seien die schwersten Fluten, die es jemals in Pakistan gab. Die internationale Gemeinschaft habe schnell und effektiv auf die Flutkatastrophe reagiert. Die Unterstützung müsse aber weitergehen. Die Hilfe bei einer Flutkatastrophe sei wesentlich schwieriger als bei einem Erdbeben wie dem in Nordpakistan 2005, bei dem fast 80 000 Menschen getötet wurden.
Der pakistanische Premierminister Yousuf Raza Gilani rief dieStaatengemeinschaft am Sonntag erneut zur Hilfe auf. Er sagte, sein Land habe nicht die «Kapazität», um mit der Katastrophe mit mehr als 1600 Toten fertig zu werden. Heftige Regenfälle im nordpakistanischen Katastrophengebiet behinderten am Sonntag die Rettungsarbeiten bei der Jahrhundertflut. Hubschrauber mussten am Boden bleiben.
Der Informationsminister der am schwersten betroffenen ProvinzKhyber-Pakhtunkhwa, Mian Iftikhar Hussain, sagte: «UnsereRettungsaktivitäten sind schon durch den Mangel an verfügbarenRessourcen beschränkt. Mehr Regen macht die Dinge schlimmer für uns.»
Die Behörden warnten, die Situation könne sich weiter verschärfen.Der Vorsitzende der Nationalen Katastrophenbehörde, Nadeem Ahmed,sagte am Sonntag: «Wir dachten zuvor, dass alles in Ordnung wäre,wenn das Wasser aus Khyber-Pakhtunkhwa herausfließen würde, aber dasist nicht geschehen, und der Wasserpegel ist in diesen Gebietenwieder gestiegen.»
Die Meteorologiebehörde teilte mit, die Regenfälle im Norden desLandes würden bis Dienstag dauern und könnten weiteres Hochwasserauslösen. Die Zeitung «The News International» berichtete am Sonntag,in Nordpakistan hätten die Fluten weitere 173 Menschen das Lebengekostet. 70 von ihnen seien gestorben, als ein Lastwagen umkippte,mit dem sie durch einen Fluss fahren wollten. Bereits vor denjüngsten Opfern waren mehr als 1600 Flutopfer zu beklagen.
Pakistan bat unterdessen die NATO um Hilfe im Kampf gegen dieFolgen der Überschwemmungen. Nach Angaben der NATO vom Samstag inBrüssel beauftragte der NATO-Rat ein spezielles Koordinationszentrumdes Bündnisses für Katastrophenhilfe, sich um Hilfe für Pakistan zukümmern. Vor allem werde es dabei darum gehen, den Lufttransport vonHilfsgütern und Rettungsmaterial zu organisieren.
Katastrophenschutz-Chef Ahmed sagte am Samstag, rund zwölfMillionen Menschen seien von der Flut betroffen. Diese Zahl ist runddreimal höher als jene der UN. Ahmed zufolge sind 650 000 Behausungenzerstört oder beschädigt. 10 000 Rinder seien verendet und mehr als500 000 Hektar Ackerland geflutet. Die zur Hilfe nötige Summe gabAhmed mit 2,5 Milliarden Dollar (rund 2 Milliarden Euro) an.
Sowohl Opfer als auch die Opposition hatten die Regierung für eineunzureichende Reaktion als die Katastrophe kritisiert. Besonders vielÄrger zog sich Präsident Asif Ali Zardari zu, weil er trotz der FlutStaatsbesuche in Europa absolvierte.
Aus Wut über Zardari bewarf ein Mann im britischen Birmingham amSamstagabend den Staatschef mit seinen Schuhen. Zardari wurde nichtgetroffen. Der Schuhwerfer wurde von der Polizei abgeführt. Nachseiner Freilassung sagte der 72-jährige Shamim Khan dempakistanischen Sender Geo TV: «Genug ist genug. Ich spreche für dieMillionen Pakistaner. Das ist die Stimme derer, die in Pakistanweinen und hungern.»
Das Bewerfen mit Schuhen gilt in der islamischen Welt als Ausdruckhöchster Geringschätzung. Prominente Wurfziele waren Ende 2008 US-Präsident George W. Bush und im Februar 2010 der türkischeRegierungschef Recep Tayyip Erdogan gewesen.
Nach den Fluten in der nordindischen Gebirgsregion Ladakh mit mehrals 130 Toten richtete die deutsche Botschaft in Neu Delhi einenKrisenstab ein. Die Botschaft rechnete mit rund 100 Deutschen in demGebiet, das bei Trekking-Touristen sehr beliebt ist. Nach Angaben derdiplomatischen Vertretung lagen auch am Sonntag keine Hinweise daraufvor, dass Deutsche unter den Toten oder Schwerverletzten sind.