Österreich Österreich: Tochter sagt per Video aus

ST. PÖLTEN/MZ. - Am zweiten Verhandlungstagim Inzest-Prozess gegen Josef Fritzl vor demLandesgericht St. Pölten stand das 24 Jahrewährende Martyrium seiner heute 43-jährigenTochter im Kellerverlies des elterlichen Hausesim Mittelpunkt. Den Geschworenen wurde - innichtöffentlicher Sitzung - eine Videoaufzeichnungder Vernehmung von Fritzls Tochter vorgespielt.Zwischendurch wurde der 73-jährige Angeklagteimmer wieder mit Fragen der Schwurgerichtskammerkonfrontiert.
Auf eigenen Wunsch sucht Fritzl seit Montagin Verhandlungspausen und in seiner Zelledas Gespräch mit einem Psychiater. Ein Justizsprecherbestätigte, dass die Betreuung "auch mit Suizid-Präventionzu tun hat".
Fritzl habe die Video-Vernehmung "aufmerksamverfolgt", erklärte Franz Cutka, der Vizepräsidentdes Landesgerichts, im Anschluss. Über "Gefühlsregungen"des Angeklagten wollte er keine Angaben machen.Die Befragung der mit ihren Kindern unterneuer Identität in Oberösterreich lebendenFritzl-Tochter dauert insgesamt mehr als elfStunden.
Österreich hatte 1983 als eines der erstenLänder der Welt die "schonende kontradiktorischeEinvernahme" in seine Strafprozessordnungeingeführt. Dadurch wird, vor allem bei Sexualdelikten,dem Opfer ein persönliches Erscheinen in derHauptverhandlung und eine erneute Begegnungmit dem Täter erspart.
Eine Schlüsselfunktion kommt im Amstetten-Fallden Geschworenen zu, weil allein sie überdie Schuldfrage zu befinden haben. Über dasStrafmaß entscheiden die acht Laienrichteranschließend gemeinsam mit den drei Berufsrichternder Kammer. Gerade nachdem StaatsanwältinChristiane Burkheiser ihnen bei der Verlesungder Anklageschrift in ungewöhnlich eindringlicherWeise ins Gewissen geredet hatte, ist dieRolle der Geschworenen besonders ins Blickfeldgeraten. Fritzls Verteidiger Rudolf Mayerhatte an die Adresse der Jury-Mitglieder gesagt,sie seien "keine Rächer". Viele Praktikerhalten die im Gesetz vorgeschriebene Unvoreingenommenheitfür eine Farce. Auch wenn sie während desVerfahrens von der Öffentlichkeit abgeschirmtwerden, ist es angesichts des Medienrummelsum den "Jahrhundert-Prozess" schwer vorstellbar,dass sie völlig unbeeinflusst urteilen.
Unterdessen ist das internationale Medieninteresseweiterhin gewaltig. Fernsehteams aus ganzEuropa sowie die TV-Sender CNN und Al Jazeerahaben ihre Übertragungswagen auf einem freienPlatz neben dem Gerichtsgebäude aufgebaut.Unterdessen wächst der Unmut an der restriktivenHandhabung der Zulassung von Journalisten.Gerichtssprecher Cutka sah sich mit kritischenFragen österreichischer und ausländischerReporter konfrontiert. Er wies Darstellungenzurück, wonach das Wiener Justizministeriumden weitgehenden Ausschluss der Öffentlichkeitangeordnet habe. Es handle sich "einzig undallein" um eine Entscheidung der Schwurgerichtskammer.
Auf besonderes Unverständnis stieß, dass am Dienstag ein Facharzt für Neonatologie (Neugeborenen-Medizin)als Sachverständiger ohne Zuhörer vernommenwurde. Seine Expertise kann großes Gewichthaben, weil zu klären ist, ob ein im AmstettenerKellerverlies geborenes Zwillingsbaby Überlebenschancengehabt hätte, wenn ihm die (von Fritzl verweigerte)medizinische Hilfe zuteil geworden wäre.
Die Staatsanwaltschaft bejaht diese Frageund wirft ihm Mord durch Unterlassen vor.Von Mittwoch an soll die Öffentlichkeit wiederzum Prozess zugelassen werden. Das Urteilwird bereits für Donnerstag erwartet.