1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Österreich: Österreich: Systematische Vergewaltigungen im Kinderheim

Österreich Österreich: Systematische Vergewaltigungen im Kinderheim

Von Miriam Bandar 18.10.2011, 14:26
Schloss Wilheminenberg: In dem ehemaligen Kinderheim wurden nach Zeugenaussagen Kinder systematisch vergewaltigt. (FOTO: DPA)
Schloss Wilheminenberg: In dem ehemaligen Kinderheim wurden nach Zeugenaussagen Kinder systematisch vergewaltigt. (FOTO: DPA) APA

Wien/dpa. - Ihr Schloss solle für die Kinder ein Ersatz-Zuhausesein, erzählt die damalige Leiterin des städtischen WienerKinderheims Schloss Wilhelminenberg lächelnd in einer Archivaufnahmedes ORF aus den 1970er Jahren. Was ehemalige Zöglinge, die nachJahrzehnten ihr Schweigen brechen, nun erzählen, sind Berichte ausder Hölle: Über Jahrzehnte soll es hinter der schmucken Fassade imNeo-Empire-Stil zu Massenvergewaltigungen von Kindern imGrundschulalter, systematischen Demütigungen und extremer Gewaltgekommen sein.

Dabei seien auch Kinder zu Tode gekommen, berichtet nun zusätzlicheine Zeugin. Sie habe mit eigenen Augen gesehen, wie eine Lehrerinein Mädchen zu Tode getreten habe, zitiert die Zeitung «Kurier» dieFrau. Von weiteren Todesfällen habe sie gehört. Die WienerStaatsanwaltschaft war für eine Stellungnahme am Dienstag nichterreichbar, soll Ermittlungen zu dem Fall nach Berichten abereingestellt haben. Ehemalige Erzieherinnen weisen Vorwürfe zurück.

«Wir haben immer gebetet, dass man uns erlöst und befreit undkeiner war für uns da», erzählt eine Frau Ende 40 im ORF-Interview.Sie und ihre Schwester waren in den 1970er Jahren in dem Heim undhatten den Skandal am vergangenen Wochenende aufgebracht, als siesich mit einem Anwalt an die Medien wandten.

Die Berichte der Schwestern schockieren: Physische und psychischeBrutalität gehörte in Wilhelminenberg zum Alltag, die dortuntergebrachten Sonderschüler wurden geschlagen und musstenErbrochenes essen: «Als Begrüßung haben sie zu uns Kindern gesagt,dass sie uns bespucken und auf uns hinschlagen, weil wir nichts wertsind auf dieser Welt.» Für das Personal - teilweise ohne Ausbildung -sind die Mädchen Freiwild.

«Das hat ihnen dann alles nicht genügt, was sie mit uns gemachthaben, vom Schimpfen und Demütigen - sie haben uns auch noch anMänner verkauft», berichtet eine der Schwestern unter Tränen.Regelmäßig seien nachts Gruppen von Männern in die Schlafsälegekommen und brutal über die Mädchen hergefallen: «Die ... mir allesvon meinem jungen Leben genommen haben, ohne Rücksicht, ob ich daswill oder nicht.» Darunter seien im Heim arbeitende Männer wieUnbekannte gewesen. Die Erzieherinnen sollen die Kinder sogar mitReizwäsche für die Überfälle zurechtgemacht haben.

In den österreichischen Medien tauchen nun immer mehr ehemaligeHeimkinder auf, die die Berichte der Schwestern teils oder ganzbestätigen. «Bei uns laufen die Telefone heiß, es melden sichfortwährend Opfer vom Wilhelminenberg», sagt die Sprecherin derOpferschutzorganisation Weißer Ring, Erika Bettsein.

Auch Historiker und Experten der Stadt Wien halten die Vorwürfefür plausibel, selbst wenn Einzelschicksale noch überprüft werdenmüssten. Gewalt und Missbrauch seien gleich für mehrere Heime derStadt Wien belegbar. «System hat gehabt, dass in totalitärenInstitutionen Strukturen entwickelt worden sind, die faschistoidwaren. System hat gehabt, dass Leute dort beschäftigt waren, dieteilweise Verbrechen gemacht haben», sagt die Kinder- undJugendanwältin der Stadt Wien, Monika Pinterits über das Schloss fürHeimkinder, das Ende der 1970er Jahre geschlossen wurde.

Heute ist der schicke Bau auf einem Hügel über Wien ein Hotel undein beliebter Ort für Romantik-Hochzeiten.