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Nürnberg Nürnberg: Himmlischer harter Job

Von Manfred Präcklein 05.12.2006, 08:24
Christkind-Darstellerin Eva Sattler breitet am Freitag (01.12.2006) auf dem Balkon der Frauenkirche in Nürnberg (Mittelfranken) die Arme aus. (Foto: dpa)
Christkind-Darstellerin Eva Sattler breitet am Freitag (01.12.2006) auf dem Balkon der Frauenkirche in Nürnberg (Mittelfranken) die Arme aus. (Foto: dpa) dpa

Nürnberg/dpa. - «Ich habe diese Figur verinnerlicht», sagt die 17-jährige Gymnasiastin. «Wenn ich mein goldenes Kleid anhabe, fühle ichmich nicht mehr als Eva Sattler, sondern als Christkind.» Und das istwahrlich kein leichter Job. Bis zum Heiligen Abend hat dieSymbolfigur des weltberühmten Nürnberger Christkindlesmarktes eindicht gedrängtes, kontrastreiches Programm vor sich.

In diesem Jahr fallen der vierte Advent und der Heilige Abendzusammen. Deshalb stehen für Besuche in Kindergärten, Krankenhäusern,Altenheimen oder Behinderteneinrichtungen von der Eröffnung desChristkindlesmarktes bis Weihnachten lediglich 24 Tage zur Verfügung.«Im vergangenen Jahr hatte ich fast eine Woche mehr Zeit, um die rund150 Termine zu absolvieren», erinnert sich Eva an ihre erste Saisonals Christkind.

Schule und Führerschein müssen in der Adventszeit notgedrungenhinten anstehen. In den dreieinhalb Wochen als Christkind kann dasjunge Mädchen morgens zwar etwas länger schlafen als ihreKlassenkameradinnen. Ihr Terminkalender aber sieht aus wie der einesManagers. «Meistens ist erst gegen 22.00 Uhr Feierabend. Dann falleich todmüde ins Bett», stöhnt sie, lacht aber dabei, weil es einschöner Stress ist. Mit Tee und einem leichten Frühstück stärkt sichEva für einen langen Tag. Dann schlüpft sie in ihr ausladendesChristkindgewand mit den goldenen Engelsflügeln.

Mit ihrem langen, blonden Haar sieht die 17-Jährige schon imAlltag aus wie ein Engel. Dennoch muss sie die eigenen Locken jedenMorgen unter der Perücke verstecken. Vor ihrem Elternhaus wartenMichael Sauerbeck, Peter Kohler oder Harald Meyer, die sieabwechselnd im Kleinbus von Termin zu Termin chauffieren. DasChristkind setzt schnell noch seine Krone auf. Ein kurzer prüfenderBlick in den Spiegel, und schon geht's los zum ersten Kindergarten.

«Ich sehe mich als Botin der Nächstenliebe, will Licht und Freudeins Dunkel bringen», beschreibt Eva Sattler ihr himmlisches Amt aufErden. Die Drei- bis Sechsjährigen empfangen das Christkinderwartungsvoll mit leuchtenden Augen. Einige Knirpse betrachtenunsicher und ehrfürchtig die große pompöse Gestalt mit der Krone undden goldenen Flügeln. Andere konfrontieren sie mit keckenFeststellungen: «Du bist doch gar nicht das Christkind» oder «Dukannst doch gar nicht fliegen».

War überhaupt bei den Kleinen eine Hemmschwelle da, baut sie sichschnell ab. Skepsis und Ehrfurcht weichen flugs Staunen undBegeisterung. «Das geht mir oft selbst unter die Haut», erzählt dieWeihnachtsbotin. «Da lasse ich mich gerne anstecken.» Die Begegnungenmit Kindern erfordern Gewitztheit und Spontanität. «Wenn die Kinderdie Figur des Christkinds hinterfragen, muss ich oft ausweichendantworten.» Manchmal hilft einfach nur eine Gegenfrage. Manchmallässt Eva Sattler die Antwort einfach offen. «Ich muss erklären, ohnedie Illusionen und den Zauber zu zerstören, der bei Kindern mitWeihnachten verbunden ist.»

Den Mädchen und Buben liest das Christkind immer eine Geschichtevor. Eva wählt die Texte selbst aus und spricht mit den Kinderndarüber. «Ich halte nichts von inhaltslosem Quatsch, ich will denKleinen Geduld und Verständnis vermitteln und ihnen etwas Gutes mitauf den Weg geben.» Dann sammelt die Himmelsbotin die oft wunderschönbemalten Wunschzettel ein. «Manchmal muss ich die Kinder auch bremsenund ihnen aufzeigen, dass auch das Christkind nicht alle Wünscheerfüllen kann.»

Bis zu vier Kindergärten stehen vormittags auf dem Programm.Zwischendurch stärkt sich das Christkind, am liebsten mit einemLebkuchen. Binnen weniger Minuten muss sich die 17-Jährige umstellenvon der heilen Welt der gesunden Kinder zu Krankheit, Leid undGebrechen auch bei ganz jungen Menschen. Die Schattenseiten desAlltags erlebt sie bei den kleinen Patienten der Kinderkrebsstationin der Nachbarstadt Erlangen, in Behinderteneinrichtungen undPflegeheimen.

Christkind sein ist nicht nur Spaß. Als Himmelsbotin lernt EvaSattler die ganze Bandbreite des Daseins kennen: Auf der einen SeiteKinder, die mit Leichtigkeit an das Leben herangehen, auf der anderenSeite begegnet sie von schweren Schicksalsschlägen getroffeneMenschen. «Besonders berührt hat mich im vergangenen Jahr eine 26-jährige Wachkoma-Patientin», erinnert sich die Gymnasiastin. «Die warnur zehn Jahre älter als ich. Da lernt man die Dinge mit anderenAugen sehen. Man erkennt, dass nicht alles so selbstverständlich ist,wie es viele von uns gewohnt sind.» Oft weiß sie nicht, ob sie vonBetroffenen überhaupt wahrgenommen wird.

Gegensätze, wie sie größer kaum sein könnten, erlebt dasChristkind auch in Seniorenheimen, bei Menschen - oft erst 50 oder 55Jahre alt - die schon erschreckend stark abgebaut haben. Das nimmtmit. Eine 95-Jährige hingegen beeindruckt das junge Mädchen sehr.«Die war noch so enorm rüstig, ihr Zimmer im Wohnstift war picobelloaufgeräumt. Die Frau ist total fit, die hat ihren jüngerenMitbewohnern Mut gemacht und sehr viel für ihre Mitmenschen getan.»

Vier Mal in der Woche macht das Christkind Station «auf seinemMarkte», den es alljährlich traditionell mit den Worten aus demProlog eröffnet: «Die Kinder der Welt und die armen Leut, die wissenam besten, was Schenken bedeut't, Ihr Herrn und Frau'n, die Ihr einstKinder wart, Seid es heut' wieder, freut Euch in ihrer Art.» Dannschüttelt das Christkind - umweht von Glühweinduft undLebkuchenaromen - unzählige Hände, spricht mit Händlern undBesuchern, sammelt Wunschzettel ein und lädt die Kinder ein, mit ihmeine Runde auf dem großen Dampfkarussell zu fahren. Hier sieht EvaSattler wieder in erwartungsvolle Augen. Hier gibt sie den Gäste ausNah und Fern Gelegenheit für ein Erinnerungsfoto mit dem Christkind.

Hinter den Kulissen koordiniert Edith Kerndler vom Presseamt derStadt Nürnberg die Christkindl-Termine. Immer wieder schaut sie dabeiauf die Uhr. Aber bei allem Zeitdruck: Auch bei ihr ist Leidenschaftzu spüren. Eva Sattler ist schon das neunte Christkind, das sie inder Vorweihnachtszeit betreut und auch zu Fernsehauftrittenbegleitet, wie beispielsweise zum Adventsfest der Volksmusik mitFlorian Silbereisen in Zwickau.

«Wir versuchen das Christkind so wenig wie möglich zukommerzialisieren», sagt die 55-Jährige. «Das Christkind ist dieSymbolfigur für unseren Christkindlesmarkt.» Werbung für dieWeihnachtsstadt Nürnberg spielt nur eine untergeordnete Rolle. «90Prozent der Termine haben einen sozialen Hintergrund.» Aus ihrer fast20-jährigen Erfahrung als Ansprechpartnerin für die Botschafterin derStadt weiß sie genau: «Das ist harte Arbeit und absolut toll, was dasChristkind in der Adventszeit leisten muss.»

Die letzten Termine des Christkinds gelten Männern und Frauen, diedas Fest der Feste allein verbringen müssen oder in absoluterBescheidenheit. Bei den Obdachlosen in der Wärmestube der Stadt hatEva schon im vergangenen Jahr am Heiligen Abend Harmonie und Freudeerlebt. «Ich war beeindruckt von der Offenheit und Dankbarkeit dieserMenschen», erinnert sie sich. «Da merkt man, dass nicht allesselbstverständlich ist im Leben.»

Am Heiligen Abend endet die zweijährige Amtszeit diesesChristkindes. Dann wird Eva erschöpft, aber ganz sicher zufriedenKleid, Perücke und Krone ablegen und mit ihrem Freund und ihrerFamilie Weihnachten feiern wie Millionen andere auch: «ohne Hektikund Stress.» Für den Heiligen Abend wird Mutter Elisabeth wie jedesJahr ein kaltes Buffett vorbereiten. Die traditionelle Weihnachtsgansgibt es bei Sattlers erst am zweiten Feiertag.

Von Januar an wird Eva Sattler wieder die Schulbank drücken undsich nebenbei auf ihre Führerscheinprüfung vorbereiten. Im Oktoberdann gehört sie zu den Juroren, die ihre Nachfolgerin als Christkindauswählen. Die Bewerberinnen müssen - wie auch Eva - zwischen 16 und19 Jahre alt sein und mindestens 1,60 Meter groß. Höhenangst dürfensie auch nicht haben. Ein vom Himmel gesandtes Christkind, demschwindelig wird, wenn es zur Eröffnung des Christkindlesmarktes inluftiger Höhe vom Balkon der Nürnberger Frauenkirche den bekanntenProlog spricht, wäre schon fatal.

Eva Sattler ist nicht traurig, dass am 24. Dezember ihrhimmlischer Job in Nürnberg zu Ende ist. «Die Feststellung einerVorgängerin "Einmal Christkind, immer Christkind" wird wohl auch fürmich gelten», ist sich die 17-Jährige sicher. Wenn am Abend des 2.Dezember 2007 das 20. gewählte Christkind den Weihnachtsmarkt-Prologsprechen wird, dann sitzt Eva Sattler im Flugzeug nach Chicago. Denndort wird sie als Botschafterin der Stadt Nürnberg den dortigenWeihnachtsmarkt eröffnen. «So endet die Zeit als Christkindwenigstens nicht so abrupt.»

Das Nürnberger Christkind Eva Sattler bekommt am Freitag (01.12.2006) im Nürnberger Staatstheater (Mittelfranken) die Krone aufgesetzt. (Foto: dpa)
Das Nürnberger Christkind Eva Sattler bekommt am Freitag (01.12.2006) im Nürnberger Staatstheater (Mittelfranken) die Krone aufgesetzt. (Foto: dpa)
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