Neurodermitis Neurodermitis: Wie gefährlich ist die neue Salbe?

Köln/dpa. - Eine rosafarbene Salbe sorgt schon vor ihrer Marktzulassung Mitte November für heftigen Wirbel. Vor 20 Jahren ist sie gegen die Hautkrankheiten Neurodermitis und Schuppenflechteentwickelt worden, aber niemand wollte sie produzieren. Nun hat ein WDR-Film heftige Debatten um die angeblich fast nebenwirkungsfreie Salbe Regividerm ausgelöst.
Die bisherigen klinischen Studien sind einwandfrei, meinenMediziner, der Kreis der Probanden ist aber noch sehr klein. Der im Ersten jüngst gezeigte und viel beachtete WDR-Film über die Salbe aus Vitamin B12 und Avocado-Öl lobt das Medizinprodukt als wirkungsvoll. Einige Experten äußern sich vorsichtig optimistisch, warnen aber vor Euphorie oder überzogenen Erwartungen. Deutliche Kritik kam vomDeutschen Neurodermitis Bund (Hamburg).
Etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland leiden unterNeurodermitis, zwei Millionen unter Schuppenflechte. Entsprechend groß ist das Interesse an Neuentwicklungen bei Patienten und auch der Pharmaindustrie.
Ein Mediziner und ein Chemiker hatten Regividerm laut WDR-Film in ihrer Wuppertaler Wohnung vor 20 Jahren erfunden und bei einer erkrankten Freundin mit Erfolg getestet. Es folgten eine Studie an der Ruhr-Universität Bochum mit 48 Beteiligten und zwei weitere Untersuchungen mit kleineren Patientenzahlen. Der an der Bochumer Studie beteiligte Dermatologe Markus Stücker sagte am Donnerstag, das neue Präparat sei eine «zusätzliche Option, aber kein Zaubermittel».
Die Untersuchung in Bochum 2004 habe bei den meisten Patientengezeigt, dass die Salbe helfen könne. Man habe über mehrere Wochenauf einen Arm jeweils ein Placebo, auf den anderen Arm den Wirkstoffgegeben. «Wir haben einen signifikanten Unterschied festgestellt»,erklärte Stücker. Eine kleine Probandenzahl sei nicht ungewöhnlich,es solle nun aber wissenschaftlich beobachtet werden, wie die Wirkungbei größerer Anwenderzahl ausfalle. «Das Präparat kann helfen, nichtheilen, aber von einem Durchbruch zu sprechen, wäre nach bisherigerDatenlage wohl nicht gerechtfertigt.» Er gehe von der «Wirkung einesleichten Cortisons» aus.
Der WDR-Film «Heilung unerwünscht - Wie Pharmakonzerne einMedikament verhindern» suggeriert, dass einige Pharmakonzerne ausfinanziellem Kalkül eine Produktion der Salbe ablehnten. Obwohleinige Manager sich von der Wirkung überzeugt gezeigt hätten, seieine Salben-Produktion abgelehnt worden, um das eigene teurerePräparat nicht zu gefährden, berichtet Film-Autor Klaus Martens.
Die neue Salbe soll 28,85 Euro pro 100-Gramm-Tube kosten. Kritikermeinen, der zeitliche Zusammenhang zwischen der Film-Ausstrahlung unddem Verkaufsstart vier Wochen später sei doch «sehr bedenklich». DerNeurodermitis Bund kritisierte: «Schade, dass sich jetzt auch schoneine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt völlig kritiklos für solchePR-Aktionen hergibt.» Die beiden unheilbaren Hautkrankheiten werdeauch die neue Salbe nicht heilen, schon gar nicht nebenwirkungsfrei.Dies zu behaupten, sei zynisch.
Der Geschäftsführer und Patentinhaber Rüdiger Weiss war amDonnerstag nicht zu sprechen. Auf der Homepage der Remscheider Firmaheißt es, nach der TV-Doku am vergangenen Montag habe es weltweiteNachfragen zu Regividerm gegeben. Das Mittel werde nun zusammen mitder Schweizer Pharmafirma Mavena schnell auf den Markt gebracht, auchin Österreich und der Schweiz.
Ein Mavena-Sprecher erklärte, es gebe seit langem ein Interesse aneinem Vertrieb, nach der Marktzulassung im August habe man nun Gasgegeben. Die Salbe seit als Medizinprodukt zugelassen, für dasklinische Studien nachgewiesen werden müssen. Die Salbe rangiere abereine Stufe unter dem Status Arzneimittel, bei dem für eine Zulassungsehr umfangreiche Langzeitstudien nötig sind.
Nach Angaben von Medizinern gibt es bereits mehrere Cremes, dieNeurodermitis-Beschwerden cortisonfrei lindern können. Cortison hilftbei akuten Schüben, macht die Haut aber dünner und empfindlicher.Die Ursachen für Neurodermitis sind nicht ganz erforscht, dieVolkskrankheit ist nicht heilbar und trifft viele Kinder.
Der Kölner Kinderarzt Eckhard Korsch rät zur Vorsicht: «Es gibtHinweise darauf, dass die Behandlung mit der Salbe funktioniert. Aberfür die Kinderhaut ist es noch zu früh, den Eltern zu sagen:"Probiert es alle aus"». Es sei nicht klar, ob die Creme vielleichtAllergien auslöse. «Es wäre schön, wenn das Mittel eine Wirkung wieCortison hätte», meint der Mediziner. «Man kann es ausprobieren, aberes ist ein Experiment.»