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Mordserie in Delmenhorst Mordserie in Delmenhorst: Massenmörder im weißen Kittel

Von Bernhard Honnigfort 22.06.2016, 13:05
Am Klinikum Delmenhorst mordete Niels H.. Wie oft, wird wohl nie vollends aufgeklärt werden.
Am Klinikum Delmenhorst mordete Niels H.. Wie oft, wird wohl nie vollends aufgeklärt werden. dpa

Die Mordserie des ehemaligen Delmenhorster Krankenpflegers Niels H. ist noch schlimmer als befürchtet: „Das Grauen hört nicht auf! Die Ermittlungen können noch nicht abgeschlossen werden", sagte Polizeipräsident Johann Kühme am Mittwochmittag. Die Ermittler gehen davon aus, dass der 39-jährige Mann womöglich mehrere Dutzend Menschen zu Tode gespritzt hat, nicht nur am Klinikum Delmenhorst, sondern vorher auch in Oldenburg.

Am Mittwoch stellten Polizei und Staatsanwaltschaft einen Zwischenbericht zu den seit Jahren laufenden Ermittlungen vor. In den vergangenen Monaten waren in Norddeutschland 99 Verstorbene exhumiert und deren Überreste auf verdächtige Medikamentenspuren untersucht worden waren. In 27 Fällen war Ajmalin entdeckt worden, ein Wirkstoff des Medikaments Gilurytmal, das Niels H. Patienten gespritzt hatte.

Der Mann, der nach seiner dritten Verurteilung im Februar 2015 bereits wegen mehrfachen Mordes und zweifachen Mordversuchs lebenslang im Gefängnis sitzt, hatte in den Jahren 2002 bis 2005 mit Patienten gespielt: Er hatte ihnen Medikamente gespritzt, damit sie in Lebensgefahr gerieten, um sie anschließend zu retten und vor den Augen der Pfleger und Ärzte als toller Kerl dazustehen.

H. flog 2005 auf, als er am Bett eines Patienten gesehen wurde, wo er nichts zu suchen hatte. Das unglaubliche Ausmaß seiner Verbrechen kam allerdings nur ans Licht, weil er später gegenüber Mitgefangenen geprahlt hatte, er sei wohl der größte Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bei 50 habe er aufgehört zu zählen.

Elf Vergiftungen mit Kalium

Da legten Kripo und Staatsanwaltschaft richtig los. Anschließend bestritt der Intensivtäter allerdings die Prahlereien. Die Kriminalpolizei nennt ihn einen „Massenmörder“ und geht fest davon aus, dass er nicht nur in Delmenhorst, sondern auch an der Oldenburger Klinik getötet hat. Insgesamt hat H. mittlerweile 30 Taten eingeräumt, nachdem ihm die neuesten Ermittlungsergebnisse vorgehalten wurden. Doch Soko-Leiter Schmidt geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Opfer bedeutend höher sein könnte, weil der Krankenpfleger auch andere Medikamente nutzte, die heute nicht mehr nachweisbar sind. Von 417 Todesfällen auf der Delmenhorster Intensivstation seien zwei Drittel in der Zeit passiert, als H. dort arbeitete. Die Untersuchung von Krankenakten in Oldenburg habe ergeben, dass es elf Vergiftungen mit Kalium gegeben habe. In aufeinanderfolgenden Dienstschichten habe der Pleger manche Patienten mehrfach vergiftet; eine Frau soll von ihm dreimal mit Spritzen traktiert worden sein.

Hätten Morde verhindert werden können?

Aus den Worten der Ermittler klang ein deutlicher Vorwurf heraus: Hätten Kollegen und Vorgesetzte des Krankenpflegers in Oldenburg und Delmenhorst etwas besser aufgepasst, hätte es nicht soweit kommen müssen. „Schnelleres Handeln hätte Taten verhindern können“, meinte Oberstaatsanwalt Thomas Sander. In Delmenhorst habe es Indizien und Hinweise auf Niels H.s seltsames Treiben gegeben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, inwieweit ehemaligen Verantwortlichen eine Mitschuld an den Todesfällen zukommt. Nächsten Monat soll sich entscheiden, ob Anklagen erhoben werden.

Die Ermittlungen gegen den Krankenpfleger werden so lange fortgesetzt, „bis wir sicher sind, dass wir das unselige Wirken von Niels H. an den unterschiedlichen Wirkungsstätten aufgeklärt haben." Es sei heute gar nicht absehbar, was dabei noch alles ans Tageslicht komme, so Sander.

„Wir werden jeden Stein umdrehen“, meinte Soko-Leiter Schmidt. „Mag es so lange dauern und so viel kosten, wie es will. Das sind wir den Angehörigen der Opfer schuldig.“ Dass da noch mehr ans Licht kommen könnte, gilt als wahrscheinlich. Immer, wenn es in einer Schicht im Delmenhorster Klinikum auf der Station „Mehrfachsterbefälle“ gegeben habe, war Niels H. im Dienst. In zweieinhalb Jahren sei es neun Mal passiert, dass in einer Schicht drei Patienten starben,. „Das war immer nur in Niels H.s Dienstzeit.“

„Wir werden nie alles wissen“

Dennoch gehen die Ermittler genau so fest davon aus, dass nie ganz herauskommen wird, wie viele Menschen der Krankenpfleger tatsächlich auf dem Gewissen hat. „Wir werden nie alles wissen“, meinte Kriminaloberrat Schmidt. Es habe 101 Feuerbestattungen gegeben, ein Nachweis einer Vergiftung sei deshalb unmöglich. Rund 30 Taten hat der Kranken pfleger „pauschal eingeräumt“. Genaue Angaben konnte er nicht machen, weil er sich nicht mehr an all die Namen und Einzelheiten erinnern konnte.

In Oldenburg habe man damals um die Auffälligkeiten und um H.s Getue bei Reanimationsversuchen gewusst. „Ich weiß nicht, warum man nicht die Polizei eingeschaltet hat“, meinte Polizeipärsident Johann Kühm. Auch in Delmenhorst hätten Morde verhindert werden können.

Als Niels H. 2015 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, meinte der Richter in der Urteilsbegründung an ihn gewandt: "Die Menschen waren Spielfiguren für Sie in einem Spiel, in dem nur Sie gewinnen und die anderen alle verlieren konnten."