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Mord im Rockermilieu Mord im Rockermilieu: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen drei LKA-Beamte

30.07.2018, 14:00
Den LKA-Beamten werde Totschlag durch Unterlassung vorgeworfen.  (Symbolbild)
Den LKA-Beamten werde Totschlag durch Unterlassung vorgeworfen.  (Symbolbild) picture alliance / Jens Büttner/

Berlin - Viereinhalb Jahre nach einem Mord im Berliner Rockermilieu ist die Polizei wegen massiver Fehler selbst ins Visier der Ermittler gerückt. Die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt leitete gegen drei Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags durch Unterlassen ein.

Es sei bekannt gewesen, dass das spätere Opfer gefährdet gewesen sei. Trotzdem sei der Mann nicht gewarnt worden und es habe keinen Plan zur Gefahrenabwehr gegeben, sagte Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra am Montag auf einer überraschend anberaumten Pressekonferenz. „Es ist für mich unvorstellbar, dass Polizeibeamte das gemacht haben sollen.“

„Personenschutz geht immer vor Ermittlungserfolg“

Es gebe tatsächliche Anhaltspunkte, dass die Polizei unsauber gearbeitet habe und es zu einer Reihe von Fehlern gekommen sei, so der Oberstaatsanwalt. Es sei zwar „kriminalistisch ein Ritt auf der Rasierklinge“, doch Personenschutz gehe immer vor Ermittlungserfolg. Der Leiter der Strafverfolgungsbehörde, Jörg Raupach, kündigte schnellstmögliche Ermittlungen an.

Im bislang größten Rockerprozess der Hauptstadt hatte das Landgericht in einem rechtlichen Hinweis in der vergangenen Woche festgehalten, das LKA habe gewusst, dass so ein Mord passieren könne, aber womöglich „bewusst und unter billigender Inkaufnahme“ keine ausreichenden Gegenmaßnahmen ergriffen. Hintergrund könnte gewesen sein, dass die Ermittler anschließend gegen das Rockermilieu vorgehen wollten.

Zehn Mitglieder der Hells Angels sitzen auf der Anklagebank

Laut Anklage sollen die Rocker am 10. Januar 2014 vermummt in ein Wettspiel-Café im Stadtteil Reinickendorf gestürmt sein. Der Mann an der Spitze erschoss im Hinterzimmer einen 26-Jährigen. Er soll acht Schüsse aus nächster Nähe in fünf Sekunden abgefeuert haben. Dies war aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Rache für eine Schlägerei einige Monate zuvor mit einem verletzten Hells-Angels-Rocker.

Der Prozess begann mit elf Angeklagten im November 2014. Inzwischen sitzen noch zehn Mitglieder der Hells Angels auf der Anklagebank.

Kommunikation im LKA funktioniert nicht

Raupach sagte, die 2014 erstmals aufgetauchten Vorwürfe gegen die Polizei seien schon damals geprüft worden, aber nicht ausreichend gewesen. Kamstra ergänzte, in dem Prozess hätten LKA-Mitarbeiter die Aussage verweigert, ein Zeuge habe aber in „seltener Klarheit“ Fehler der Polizei aufgelistet. Dass das Gericht nun mit dem Hinweis bislang als fahrlässig eingeschätztes Verhalten zu einem möglichen bedingten Vorsatz hochgestuft habe, sei „dramatisch“, so Kamstra.

Die oppositionelle FDP-Fraktion forderte personelle Konsequenzen. Offenbar funktioniere an vielen Stellen im LKA die Kommunikation nicht, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Marcel Luthe, im RBB-Inforadio. Dafür sei der LKA-Chef verantwortlich. Auch bei den Ermittlungen gegen den späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri werden dem LKA erhebliche Ermittlungspannen angelastet. Diese untersucht seit einem Jahr ein Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus. Bei dem Anschlag vom Dezember 2016 starben zwölf Menschen.

„Die im Raum stehenden Vorwürfe wiegen schwer“

Innensenator Andreas Geisel (SPD) teilte auf Anfrage schriftlich mit: „Die im Raum stehenden Vorwürfe wiegen schwer. Die Staatsanwaltschaft wird alles daran setzen, die Umstände aufzuklären. Selbstverständlich wird die Polizei bei den Ermittlungen unterstützen.“ Geisel warnte aber vor voreiligen Schlüssen. „Es gilt die Ermittlungen abzuwarten.“

Der Innenexperte der SPD-Fraktion, Tom Schreiber, sagte der Deutschen Presse-Agentur: Sollten die Vorwürfe zutreffen, „wäre es eine Katastrophe“. Die Glaubwürdigkeit des LKA sei beschädigt, es habe in dem Prozess keine gute Figur gemacht. „Jetzt muss aufgeklärt werden - ohne Ansehen der Person.“ Einen Rücktritt von LKA-Chef Christian Steiof forderte Schreiber aber nicht. „Die Forderung wäre verfrüht.“

Rechtliches Neuland

Laut Gerichtssprecher Raphael Neef wurde in dem Prozess ein nahendes Ende der Beweisaufnahme angekündigt. Der rechtliche Hinweis könnte sich auf das Strafmaß auswirken. Ein Teil einer verhängten Freiheitsstrafe könnte als bereits vollstreckt angerechnet werden, was eine kürzere Haftzeit zur Folge hätte. Die Untersuchungshaft wird ohnehin berücksichtigt. Kamstra, der in Anklagebehörde im Rockerprozess vertritt, sagte, er wisse noch nicht, wie die Staatsanwaltschaft damit umgehe. Es sei rechtliches Neuland.

Die Polizei erklärte, die Schwere des Verdachts habe die Behörde schwer getroffen. „Wir sehen den Schutz von Leben und Gesundheit als elementaren Bestandteil und Kern unserer Aufgaben an“, hieß es in einer Mitteilung. Die Beschuldigten seien suspendiert worden. Zudem würden Disziplinarverfahren folgen. 2014 eingeleitete Verfahren habe die damalige Polizeiführung an sich gezogen und ohne Feststellung eines Vergehens eingestellt. Schon damals seien die Polizisten in andere Bereiche umgesetzt worden. (dpa)